
Wenn sich am Donnerstag Mario Draghi mit seinen 24 Ratskollegen in der 41. Etage des neuen Zentralbank-Turms in Frankfurt trifft, werden die Finanzchefs von Deutschlands großen Konzernen noch genauer hinsehen, als sonst. Die Finanzmärkte erwarten auf der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) zwar keine Änderung am Zins, wohl aber hoffen sie auf neue Details zum geplanten Kaufprogramm für Unternehmensanleihen.
Nicht nur die Finanzchefs, auch alle anderen Marktakteure haben noch viele Fragen. Zwar hat die EZB im März verkündet, in Kürze neben Staats- auch Unternehmensanleihen kaufen zu wollen. Viele Details zu dem Programm sind allerdings noch nicht bekannt. In den Protokollen zur Sitzung heißt es dazu lediglich, das Programm solle „bis zum Ende des zweiten Quartals 2016 anlaufen“. Die Liste der zugelassenen Anleihen umfasse Euro-Unternehmensanleihen mit einem Investment-Grade, also einem Rating von BBB- oder höher, – „deren genaue Definition stehe allerdings noch aus“. Anleihen von Banken will die EZB nicht kaufen, ob sie aber Bonds von Versicherungen kauft, ist noch offen. Das Kleingedruckte zum Kaufprogramm wird nicht nur gespannt erwartet, es könnte am Markt auch nochmal einiges durcheinander wirbeln.
„Es wird sehr stark auf die Details des Programms angekommen“, sagt Tom Mondelaers, leitender Portfolio-Manager des Euro-Investmentgrade-Portfolios bei Blackrock. Dabei gehe es beispielsweise um die Zahl der Investmentgrade-Ratings, die ein Unternehmen benötigt, oder den Standort der jeweiligen Firmenzentrale als mögliche Voraussetzung, um in das Kaufprogramm aufgenommen werden zu können.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
Wie viele Unternehmensanleihen die EZB kaufen wird, ist noch völlig offen, ein Volumen für das Kaufprogramm wurde bisher nicht genannt. Die Schätzungen der Analysten fallen unterschiedlich aus. Michael Schubert, Notenbank-Experte der Commerzbank, schätzt das monatliche Kaufvolumen auf grob drei Milliarden Euro. Der Markt für EZB-fähige Anleihen sei weder besonders liquide noch besonders groß.
Lediglich die DZ Bank rechnet mit einem deutlich höheren monatlichen Volumen von 7,5 Milliarden Euro. Insgesamt wird das Volumen der kauffähigen Anleihen auf etwa 430 bis 600 Milliarden Euro geschätzt. Sollte sich die EZB bei Unternehmensanleihen ähnliche Grenzen auflegen wie bei Staatsanleihen, so das beispielsweise nur 33 Prozent eines Emittenten gekauft werden dürfen, rechnen Analysten mit einem deutlich geringeren verfügbaren Volumen von gerade mal rund 165 Milliarden Euro. Kristian Tödtmann, Notenbank-Experte der Deka Bank, erwartet, dass Mario Draghi am Donnerstag betonen dürfte, dass „sein Erfolg nicht allein am gekauften Volumen von Anleihen gemessen werden darf“.
Mit einem Kauf nach dem Kapitalschlüssel der Notenbank, also den Anteilen der Länder am Euro-System, rechnet allerdings kaum ein Beobachter, das würde den Handlungsspielraum der EZB zu stark einschränken. Dann wären es vor allem Anleihen von deutschen Emittenten, welche die Zentralbank kaufen müsste, da Deutschland mit rund 25 Prozent den größten Teil des eingezahlten Kapitals stellt.