Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hat bereits mehrfach erklärt, dass Geldpolitik nicht dafür da ist, den Sparer glücklich zu machen. Prinzipiell stimmt das auch. Dass aber eine Zentralbank den Sparern einmal so viele Steine in den Weg legen würde wie jetzt, damit haben wohl die wenigsten gerechnet.
Am Donnerstag überraschte Draghi die Märkte mit einem wahren Maßnahmenfeuerwerk. Er schraubte nicht nur wie erwartet am Einlagezins, sondern senkte zusätzlich den Leitzins auf null. Zudem bläht die EZB ihr Anleihekaufprogramm massiv auf, kauft nun monatlich Anleihen für 80 Milliarden Euro statt bisher 60 Milliarden Euro. Als wäre das nicht genug, feilt Draghi auch noch an den Statuten des Anleihekaufprogramms und legt neue Langfrist-Kredite für Banken zu Schnäppchenpreisen auf (TLTROs).
Einen Zins gibt es also faktisch nicht mehr. Banken dürfen sich nun zum Nulltarif Geld bei der EZB leihen. Sie könnte also quasi im Geld schwimmen, es besteht ein Überangebot an Liquidität. Leidtragende der Geldschwemme sind unter anderem die Sparer. Fraglich wird allerdings sein, wie stark die Auswirkungen sein werden. "Die Zinssenkung von fünf Basispunkten wird für Sparer keinen große Unterschied machen", sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Diba. Schon vor der Entscheidung am Donnerstag lag der Leitzins mit 0,05 Prozent auf einem absoluten Rekordtief. "Für die Realwirtschaft spielen der negative Einlagezins und die erneute Liquiditätsspritze für Banken eine größere Rolle", sagt der ING-Ökonom. Mit diesen Instrumenten hoffe die EZB, dass die Kreditvergabe steige und so Investitionen und Konsum anziehe. "Hier ist viel Wunschdenken im Spiel, denn die EZB kann nur Grundvoraussetzungen schaffen, kann Menschen und Unternehmen allerdings nicht zur Kreditaufnahme zwingen", erklärt Brzeski.
Das sagen Ökonomen zur EZB-Entscheidung
"Die Beschleunigung der Anleihekäufe unter dem 'Quantitative Easing' erhöht die Dosis des Gifts. Die Notenbanken werden zu den größten Gläubigern ihrer Staaten, das ankaufbare Material wird immer knapper. Die Maßnahmen sind Ausdruck einer verzweifelten Suche der EZB nach immer mehr Stimulanz für die Märkte. Dabei sind diese gar nicht mehr nötig. Besser wäre gewesen, erst die Wirkung der ohnehin schon expansiven Schritte vom Dezember abzuwarten."
"Die EZB-Entscheidung stellt die Banken auch in Zukunft vor massive Probleme und ist ein Risiko für die Finanzmarktstabilität in Europa. Gerade die kleinen und mittelgroßen Banken sowie Sparkassen, die von Fristentransformationen leben, werden durch die Entscheidung benachteiligt. Sie werden in Zukunft Probleme haben, profitabel zu arbeiten. Zudem ist nicht klar, ob die Strategie der EZB aufgeht. Die Banken könnten gezwungen sein, die Zinsen zu erhöhen, um profitabel zu arbeiten. Dies würde der Strategie der EZB widersprechen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen der EZB mittelfristig zu nachhaltigem Wachstum führen."
"Die Kritik an der Linie der Notenbank sollte nicht überzogen werden. Denn solange für deutsche Finanzanlagen eine Sicherheitsprämie gezahlt wird, ist das extrem niedrige Zinsniveau hierzulande eben auch und vor allem ein Ergebnis der hohen Unsicherheit über die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa."
"Das ist eine gute Nachricht für die Börsianer und für die Schuldenländer im Süden. Für die deutsche Bevölkerung ist das katastrophal. Die Sparer werden enteignet. Das ist eine gigantische Umverteilung von Norden nach Süden. Politisch birgt das einen großen Sprengsatz, wenn man das mit der Flüchtlingskrise zusammentut. Das ist brandgefährlich.
Im Ergebnis wird das nichts bringen. Man lullt die Schuldenstaaten ein. Sie machen keine Reformen, die Produktivität steigt nicht. Nord und Süd driften so noch weiter auseinander. Die deutschen Exporteure können vielleicht kurzfristig ein bisschen profitieren, weil der Euro weiter geschwächt wird. Auf der anderen Seite ist es aber schlecht für die Importeure."
"Die EZB hat die von ihr selbst geschürten Erwartungen noch übertroffen und den geldpolitischen Expansionsgrad mit zahlreichen Instrumenten weiter ausgeweitet. Allerdings ist dies nicht positiv zu beurteilen. Sobald die Kapitalmärkte etwas mehr Volatilität zeigen, 'verspricht' Mario Draghi, dass er 'etwas tun werde'. Die EZB 'tut' tatsächlich sehr viel. Aber es ist nicht Aufgabe der EZB, für dauerhaft steigende Kurse zu sorgen. Auch bewegt sich die EZB mittlerweile außerhalb ihres Mandats. Die Grenzen zur direkten Staatsfinanzierung werden fließend. Die Entscheidung von heute war ein weiterer Schritt in die falsche Richtung."
"Die EZB hat mit der Verkündung ihrer Maßnahmen massiv überrascht und im Prinzip alles auf den Markt geworfen, was sie kann. Dabei geht sie technische und politische Risiken ein. Mit diesen Maßnahmen nimmt die EZB in Kauf, Marktblasen zu erzeugen, wenn die Liquidität in der blutleeren konjunkturellen Entwicklung nicht in die Realwirtschaft findet."
"Die heute vom EZB-Rat beschlossenen Maßnahmen zur Ausweitung der Liquidität werden nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Noch mehr billiges Geld und noch niedrigere Zinsen führen nicht zu mehr Investitionen. Im Gegenteil: Die bizarre Welt der negativen Zinsen verunsichert Unternehmen und Verbraucher, belastet die Altersvorsorge und erhöht die Anreize zur Verschuldung, sowohl der Unternehmen und Privathaushalte, als auch der Staaten. Ohnehin malt die EZB mit ihrer Konjunktureinschätzung unnötig schwarz."
"Die EZB sendet mit ihrer Entscheidung ein starkes Signal, dass sie alle ihre Instrumente entschieden nutzen wird, um ihrem Mandat der Preisstabilität wieder gerecht zu werden. Die weitere Expansion der Geldpolitik ist massiv und überraschend. Das anhaltende Risiko der Deflation und die sich abschwächende europäische Wirtschaft lassen der EZB keine andere Wahl, als ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Es sollte nicht vergessen werden - bei allen Sorgen in Deutschland über die Nebenwirkungen der expansiven Geldpolitik -, dass es Aufgabe der EZB ist, Geldpolitik für die Eurozone und nicht nur für Deutschland zu machen. Die Entscheidung der EZB bedeutet eine noch längere Phase der Nullzinspolitik in Europa."
"Die EZB hat sich noch tiefer in die Sackgasse manövriert. Mit größter Sorge sieht die Versicherungswirtschaft, dass die Notenbank ihre schon extrem expansive Geldpolitik noch weiter signifikant gelockert hat. Denn immer mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass diese monetären Anreize ihr Ziel nicht erreichen. Besonders deutlich wurde das seit Jahresbeginn auf den Aktienmärkten oder beim Euro-Wechselkurs, wo Verluste beziehungsweise eine Aufwertung im krassen Gegensatz zur Haltung der Geldpolitik standen.
Schlimmer noch: Mittlerweile ist sogar zu befürchten, dass diese unorthodoxe Geldpolitik das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich beabsichtigt ist - nämlich mehr Wachstum und eine höhere Inflation. Die Notenbank läuft daher zunehmend Gefahr, von den Risiken und Nebenwirkungen ihres Tuns eingeholt zu werden."
"Doktor Draghi hat die Dosis deutlich erhöht. Wie von uns befürchtet, hat er die Geldpolitik der EZB leider deutlicher gelockert als die meisten erwartet hatten. Diese Geldpolitik wird kaum in der Realwirtschaft ankommen. Denn die Nebenwirkungen sind massiv. Das Produktivitätswachstum lässt nach, weil auch unrentable Investitionen wegen der niedrigen Zinsen attraktiv erscheinen. Es steigt das Risiko, dass es in Deutschland am Immobilienmarkt zu Überhitzungen kommt. Außerdem wird der Anreiz für Euro-Länder gesenkt, notwendige Reformen durchzusetzen. Alles in allem verschlechtert diese lockere Geldpolitik langfristig die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, so dass sie sich heute schon zurückhalten. Die Medizin wird nicht wirken, auch wenn man die Dosis erhöht."
"Die EZB hat heute abermals ein umfangreiches Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht und setzt ihren immer expansiveren Kurs fort. So wurden die Zinssätze zurückgenommen und die QE-Maßnahmen ausgeweitet. Wir gehen davon aus, dass eine Abkehr von diesem Pfad - zumindest bis auf weiteres - nicht in Sicht ist."
"Es handelt sich um eine weitere massive geldpolitische Lockerung. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit QE (geldpolitische Lockerung) halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Ausweitung der Anleihekäufe die Inflation nachhaltig erhöhen wird. Der Markt für Unternehmensanleihen ist in Europa zu klein, als dass sich aus deren Einbeziehung ein großer Effekt ergeben dürfte. Gleichzeitig setzt die weitere Senkung der Einlagenzinsen die Erträge der Banken noch stärker unter Druck.
Ich halte Instrumente wie die langfristigen Kreditlinien (TLTROs), die direkt an der Kreditvergabe ansetzen, für sinnvoller als den weiteren Ankauf von Anleihen. Allerdings hängt auch hier die Wirksamkeit davon ab, ob es überhaupt eine Kreditnachfrage gibt, die zu befriedigen ist."
"Die EZB beschleunigt ihre geldpolitische Irrfahrt. Die heutige Zinsentscheidung der EZB verstärkt den Abwärtsstrudel für die Sparer. Langfristige Altersvorsorgekonzepte werden ebenso entwertet, wie zinsabhängige Institute in risikoreichere Geschäfte gedrängt werden. Es ist absolut unnötig, die deutsche Kreditwirtschaft zu einer umfangreicheren Kreditvergabe zu nötigen."
"Mit ihren heute verkündeten Maßnahmen ist die EZB ihrem monetären Kurs extrem treu geblieben. Allerdings zeugt das große Bündel an Maßnahmen von einer enormen Nervosität seitens der obersten Währungshüter. Denn auch sie müssen sich eingestehen, dass ihre Geldpolitik bislang die Wirkung verfehlt hat. Die Bilanz ist ernüchternd: So ist es der EZB nicht einmal gelungen, die am leichtesten von ihr zu beeinflussenden Indikatoren in die gewünschte Richtung zu drehen."
"Es ist vollkommen unnötig, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Geldhahn heute noch weiter aufgedreht hat. Die Notenbank überzeichnet die Deflationsrisiken. Der Geldmarkt im Euro-Raum ist durch die EZB-Politik faktisch stillgelegt. Wirtschaftsreformen sowie die Sanierung von Bankbilanzen werden verschleppt. Doch auf all diesen Feldern hat die EZB heute noch einmal eine Schippe draufgelegt."
Die heutige Entscheidung der europäischen Zentralbank, den Leitzins auf Null Prozent zu senken, hat gravierende Folgen für sämtliche Formen der kapitalgedeckten Vorsorge. Nach Ansicht des Bund der Versicherten e. V. (BdV) steht die private Versicherungswirtschaft vor einem Wendepunkt. Alle Formen der privaten Vorsorge basieren darauf, dass an den Kapitalmärkten Zinsen erwirtschaftet werden können. „Sowohl die private Krankenversicherung als auch die private Altersvorsorge haben bei dauerhaftem Null-Zins keine Zukunft“, erklärt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des BdV.
Reale Rendite entscheidet
Sparer müssen allerdings auf die reale Rendite achten. Denn die tatsächliche Verzinsung von Sparanlagen zeigt nicht die nominale, sondern die reale Verzinsung, unter Berücksichtigung der Inflationsrate. In der Euro-Zone steigen die Preise kaum, das wirkt sich positiv auf die realen Renditen aus. In Deutschland lag die Teuerungsrate im Februar bei null Prozent, weil der niedrige Ölpreis das Preisniveau drückte.
Die Bundesbank hat in einer Studie ausgerechnet, dass die reale Rendite unter Berücksichtigung der Inflationsrate zwischen Anfang 2008 und Ende 2014 im Schnitt bei 1,8 Prozent lag. Berechnet wurde der Wert für Vermögen aus Bargeld, Bankeinlagen und Lebensversicherungen.
Aber selbst wenn die reale Rendite leicht höher ist als die nominale, sie bleibt mager. Hinzu kommt, dass der steigende Strafzins die Gefahr birgt, dass Banken die Gebühren früher oder später an ihre Kunden weitergeben und der Sparer am Ende der Dumme ist - auf doppelte Weise. Auch die Wechselwirkung einiger EZB-Instrumente lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Welche direkten Folgen die EZB-Entscheidung für die wichtigsten Sparformen der Deutschen hat:
Tagesgeld/Girokonto
Bisher bekommen Sparer bei vielen Banken noch Tagesgeld. Oft sind das allerdings günstige Angebote für Neukunden, Bestandskunden müssen sich zumeist mit weniger zufrieden geben. Der durchschnittliche Tagesgeldzins liegt laut dem Vergleichsportal Biallo aktuell bei 0,29 Prozent. Das beste Angebot kommt mit 1,25 Prozent von der Audi Bank. Aber Vorsicht: dieses gilt nur für Neukunden in den ersten vier Monaten ab Eröffnung des Kontos. Beträge, die über eine Grenze von 100.000 Euro hinausgehen, werden zudem mit nur 0,3 Prozent verzinst.
Das ordinäre Girokonto der Filialbank liefert dagegen nur noch selten einen höheren Zins, einige sind schon bei null Prozent. Gleichzeitig erhöht der gestiegene Einlagezins weiter den Druck auf die Banken. "Es ist wahrscheinlich, dass viele Banken in den kommenden Wochen den Einlagenzins weiter senken werden, wenn sie überhaupt noch Zinsen auf Tagesgeld zahlen", sagt Brzeski. Negativzinsen hält der ING-Ökonom dagegen für eher unwahrscheinlich, weitere Gebührenerhöhungen dagegen schon.
Bereits seit einigen Wochen nutzen Institute Gebührenerhöhungen bei Kontoführung oder Kreditkarten als Mittel, um den Strafzins zumindest indirekt an den Sparer weiterzugeben. Denn den direkten Weg, nämlich Kundeneinlagen mit einem negativen Zins zu belegen, traut sich bisher keine Bank. Zu groß ist der Wettbewerb zwischen den Instituten. Diese Tendenz dürfte weiter anhalten. „Die Beschlüsse der EZB werden für immer mehr Menschen in der Euro-Zone zu einer Belastung“, kritisiert der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Georg Fahrenschon die EZB-Entscheidungen. Auch wenn viele Bankenchefs betonen, sie wollten ihren Kunden keine negativen Zinsen zumuten, dürfte die Belastung für Anleger größer werden.