
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf die um sich greifende Konjunkturschwäche in der Euro-Zone reagiert und den Leitzins von den ohnehin geringen 0,75 Prozent auf 0,5 Prozent gesenkt. So niedrig lag der Schlüsselzins noch nie seit Einführung des Euro. An den Finanzmärkten war in den vergangenen Tagen schon auf eine Zinssenkung spekuliert worden. Denn immer mehr Konjunkturdaten auch aus Kernländern wie Frankreich und Deutschland waren schwächer ausgefallen. Außerdem hat der Teuerungsdruck nachgelassen. Da aktuell somit keine Inflationsgefahr droht, hatte die EZB sehr viel Spielraum.
Fragen und Antworten zum EZB-Zinsentscheid
Weil der Leitzins auf seinem bisherigen Rekordtief von 0,75 Prozent nicht genügend Durchschlagskraft hatte: Der Euroraum steckt weiterhin tief in der Rezession. Zwar ist umstritten, ob der niedrigere Zins die Konjunktur spürbar antreiben kann. Aber die Notenbank signalisiere mit dem Schritt, dass sie „den Ernst der Lage erkannt habe“, sagte Michael Krautzberger, Leiter des Teams für europäische Anleihen bei Blackrock. Aus Sicht von Helaba-Ökonom Ulf Krauss sind die Vorteile einer Zinssenkung eher psychologischer Natur: „Vielleicht reicht ja ein kleiner Flügelschlag der Geldpolitik aus, um der zuletzt gedrückten Stimmung bei den Unternehmen den entscheidenden Anschub zu geben, wird sich der eine oder andere Notenbanker denken“, schrieb Krauss vor der EZB-Sitzung.
Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite. Unternehmen können dann im Prinzip mehr investieren und Verbraucher mehr kaufen, was nicht sofort aus eigener Tasche bezahlbar ist. Beides kann die Konjunktur ankurbeln. Solche Wachstumsimpulse sind aktuell vor allem in den Krisenstaaten im Süden Europas gefragt: Griechenland, Italien, Portugal, Spanien - sie alle ächzen unter harten Reformen, rigiden Sparauflagen und hoher Arbeitslosigkeit. Aber auch in Deutschland profitieren zumindest einige vom billigen Zentralbankgeld: Darlehen für Hausbauer und Wohnungskäufer sind derzeit extrem günstig.
In der Tendenz ja. Die Wirtschaft in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren deutlich besser entwickelt als im Euroraum. Auch der Arbeitsmarkt steht gut da, das macht hohe Tarifabschlüsse wahrscheinlicher. Daher kann billiges Geld hierzulande schneller die Inflation anheizen als in Spanien, Zypern oder Griechenland. Doch im Moment ist das nicht in Sicht. Kommt es zum Preisauftrieb, könnten höhere Zinsen dagegen helfen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte kürzlich auf das Dilemma der EZB aufmerksam gemacht: Die Zinsen für Deutschland seien eigentlich schon zu niedrig, während die EZB für andere Länder eigentlich noch mehr tun müsse. Allerdings ist die Lage hierzulande ebenfalls noch gedämpft - im Schlussquartal 2012 schrumpfte die deutsche Wirtschaft und auch 2013 läuft bisher nicht wirklich rund.
Billiges Geld kann zu Inflation, also Geldentwertung, führen. Je mehr das Geld entwertet wird, umso weniger Waren und Dienstleistungen können Verbraucher kaufen. Die Kaufkraft sinkt also, ebenso der Wert der Ersparnisse. Auf der anderen Seite zehrt Inflation aber auch Schulden auf. Die EZB strebt mittelfristig eine Teuerungsrate von „unter, aber nahe bei“ 2,0 Prozent als stabiles Preisniveau an. Im April sank die Inflation im Euroraum auf 1,2 Prozent - trotz der seit Monaten weit geöffneten Geldschleusen der EZB.
Tendenziell ja. Verbraucherschützer haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass Banken eine Erhöhung der Leitzinsen bei Krediten schneller an ihre Kunden weitergeben als eine Senkung.
Im Prinzip ja. Zwar ist die Inflation derzeit auf dem Rückzug, dennoch liegen die Sparzinsen meist noch deutlich darunter. Heißt: Wer Geld auf Sparbuch, Tagesgeldkonto oder in Bundesanleihen anlegt, macht nach Abzug der Inflation zumeist ein Verlustgeschäft. In einer gemeinsamen Erklärung vor der EZB-Sitzung hatten die Verbände von Volksbanken, Sparkassen und Versicherungswirtschaft in Deutschland davor gewarnt, die Zinsen noch weiter zu senken: „Jeder Zinsschritt nach unten lässt die Sparguthaben schmelzen. Sinkende Zinsen bedeuten einen sinkenden Anreiz für das Sparen und Vorsorgen. Dabei müssen die Menschen heute mehr als bisher vorsorgen, um ihren Lebensstandard im Alter zu sichern.“
Viele haben die Zinssenkung herbeigesehnt. So begrüßte beispielsweise KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner die Entscheidung mit den Worten: "Die EZB denkt europäisch." Maxence Mormede, Leiter Rentenmanagement Deutschland von Allianz Global Investors, ergänzte, die EZB habe ihre Hausaufgaben erledigt: "Jetzt haben die Krisenländer die einmalige Chance, sich zu reformieren. Das ist jetzt viel einfacher umzusetzen als in Phasen mit hohen Zinsen."
Nur die Sparkassen, Genossenschaftsbanken und die deutsche Versicherungswirtschaft hatten bereits in den vergangenen Tagen vor möglichen negativen Folgen gewarnt. Denn sie gehören, wie auch die deutschen Sparer, zu den großen Verlierern der Zinssenkung. Die Einlagen auf den Sparkonten werfen künftig noch weniger ab. Liegt der gebotene Zins unter der Inflationsrate, wird ein Teil des auf dem Konto ruhenden Vermögens von der Geldentwertung aufgefressen.
Die Sparneigung der Deutschen fiel im April auf einen historischen Tiefstand, wie die Gesellschaft für Konsumforschung in einer Umfrage herausfand. Kein Wunder, dass Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon bereits vor dem Zinsbeschluss warnte: "Noch mehr und noch billigeres Geld vermindert den Anreiz zum Sparen." Das Geschäftsmodell der Sparkassen, Spareinlagen als Kredite auszureichen, ist zwar stabil. Die Niedrigzinspolitik der EZB hinterlässt Experten zufolge aber zunehmend Spuren in der Bilanz der Geldhäuser.