Wäre eine Rückabwicklung des Euro noch ein gangbarer Weg?
Felix Zulauf: Vernünftig wäre es, wenn Länder, die nicht wettbewerbsfähig sind, Reformen beschließen, aber gleichzeitig austreten, um dann über eine Währungsabwertung gesunden zu können. Ursprünglich hatte ich angenommen, dass die Bürger in der Peripherie nach einer gewissen Leidenszeit den Austritt ihres Landes aus dem Euro fordern werden. Das ist vielleicht immer noch eine Möglichkeit. Aber rein technisch ist eine Rückabwicklung wohl kaum noch möglich. So haben mir das zumindest Notenbank-Experten berichtet, mit denen ich gesprochen habe. Eine Rückabwicklung wäre nur dann machbar, wenn man in der gesamten Eurozone gleichzeitig Kapitalverkehrskontrollen einführte. Dann könnten einzelne Länder ihren Austritt beschließen. Wenn man das nicht macht, dann gäbe es sofort einen Run auf die Banken und das System würde zusammenbrechen. Man kann das eigentlich nur abwickeln unter einer Wirtschaftsordnung, die fast einer Kriegswirtschaft ähnelt. Vielleicht kommt die Politik zu einem späteren Zeitpunkt, wenn wir noch tiefer in der Krise stecken, zu diesem Schluss und sagt: Es geht einfach nicht mehr. Aber die Politik ist noch lange nicht so weit. Man wird weiter versuchen, die Probleme zuzukleistern, während die Probleme unter dem Kleister tatsächlich immer größer werden. Wir werden weiter Minuswachstum haben, hier und da wird vielleicht mal wieder ein kleines Konjunkturprogramm aufgelegt. Diese müssten dann schlussendlich via EZB finanziert werden. Aber weil die EZB keine freie nationale Notenbank ist, gibt es selbst da gewisse Beschränkungen.
Wären die Kosten einer Rückabwicklung des Euro nicht ebenso astronomisch?
Roman Zulauf: Es ist schon erstaunlich, dass immer über die hohen Kosten einer Rückabwicklung des Euro gesprochen wird, nicht aber über die Opportunitätskosten, die die Peripherie zu tragen hat, um im Euro zu bleiben.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
Sprechen Sie darüber!
Roman Zulauf: Die verbesserten Leistungsbilanzen werden erkauft mit einem Einbruch der Binnennachfrage. Die Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, steigt auf Rekordniveau. Immer mehr junge Menschen bleiben zu Hause bei ihren Familien wohnen, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Sie können selbst keine Familien gründen. Das hat strukturell verheerende Folgen, auch mit Blick auf die Demografie. Es ist eine verlorene Generation.
Gefährdet der Euro auch die gesamte Europäische Union?
Felix Zulauf: Diese Gefahr trägt der Euro in der Tat in sich. Man kann über die EU sagen, was man will. Sie ist sicher zu technokratisch und zu zentralistisch. Doch ihr Grundgedanke, die Schaffung eines freien europäischen Wirtschaftsraums ohne Hürden mit einer Bündelung der Kräfte gegenüber anderen Kontinenten, ist unbedingt bewahrenswert. Mit dem Euro aber werden EU-Mitgliedsländer in eine erste und in eine zweite Klasse eingeteilt, die gegeneinander hetzen. Mir erscheint es so, als treibt das Schiff Europa ohne Steuermann im Sturm herum. Das ist brandgefährlich.
Werden die Briten in fünf Jahren noch in der EU sein?
Felix Zulauf: Wenn einer austritt, dann die Briten. Aber Großbritannien muss natürlich auch aufpassen. Allein wäre das Land auch eine Randregion. Ein Austritt wäre nur denkbar, wenn ein Freihandelsabkommen mit der EU vereinbart werden könnte. Doch auch dann bliebe die Frage offen, ob London dann noch das europäische Finanzzentrum bleiben könnte.
Hat das zentralistische Frankreich inzwischen verstanden, worum es geht?
Felix Zulauf: Nein, aber etwas anderes habe ich auch nicht erwartet. François Hollande war Anfang der Achtzigerjahre Wirtschaftsberater des damaligen Staatspräsidenten François Mitterrand. Er war damals der Kopf hinter der Idee, die Banken zu verstaatlichen. Mitterrand musste das nach einem Jahr dann wieder rückgängig machen. Hollande hat nichts gelernt und ich staune immer wieder, wie solche Verlierer an die Spitze von ganzen Völkern gewählt werden können.
Funktioniert die Achse Paris-Berlin noch?
Felix Zulauf: Nein, die Positionen sind viel zu weit voneinander entfernt. In Paris regiert hochsozialistisches Gedankengut, in Berlin halbsozialistisches. Wenn diese Allianz nicht mehr funktioniert, dann bedeutet das eine Schwächung Europas. Dann gibt es keine Führung mehr in Europa, weil Deutschland allein aus historischen Gründen nicht die Führung übernehmen kann, die es kraft seiner Volkswirtschaft eigentlich übernehmen müsste.