Am Freitag bereitete Saber Daboussi seine Leute auf die kommende Woche vor. Der Kundenservice müsse endlich aus dem Sturm ins Trockene kommen („out of the storm“), alle sollten ab sofort um 7.30 kommen und bis 20 Uhr arbeiten. „Wir müssen zusammen vier Konten am Tag aktivieren“, schrieb der Geschäftsführer des Oberhausener Online-Brokers FXdirekt am 18. Mai auf Englisch an die Mitarbeiter. Und: „Schönes Wochenende.“
Ob die Betreuer ein solches hatten, lässt sich nicht rekonstruieren. Dass die folgende Woche jedoch wenig entspannt ablief, belegen interne E-Mails. Geschäftsführer Daboussi persönlich treibt darin den Kundenservice an, mehr Kontrakte auf Silber zu verkaufen. Setzte die Truppe die bizarren Anweisungen in die Tat um, wäre es Anlageberatung gewesen, die die Bank nach eigenen Angaben nicht betreibt.
Mitarbeiter der von der Finanzaufsicht BaFin regulierten Bank hatten berichtet, auf welche Weise Kunden bei der Bank Geld verloren haben sollen. Die Bank hat alle Unregelmäßigkeiten abgestritten.
Nach dem Bericht haben die Redaktion zahlreiche Briefe erreicht, in vielen berichten Kunden von ihrer Erfahrung mit FXdirekt: „Ich habe bei jedem einzelnen Trade nie den Kurs bekommen, der auf dem Bildschirm angezeigt war“, berichtet ein Rechtsanwalt. Beim Kauf hätten zu seinen Lasten mindestens zwei bis vier Punkte gefehlt, beim Verkauf mindestens drei bis fünf. „So konnte man selbst bei richtiger Einschätzung der Marktrichtung nie auf einen grünen Zweig kommen. Am Ende hieß es auch für mich: Verlust von 15.000 Euro.“
Ein Steuerberater sagte, er habe den Verdacht, dass Kurse manipuliert worden seien. Er habe oft bei FXdirekt angerufen, aber „deren Standardausrede“ sei gewesen, dass sich der Markt eben bewegt habe. Ein Ehepaar hat nach eigenen Angaben in den vergangenen zwei bis drei Jahren „mehr als 150.000 Euro“ verloren. „Stetes Kapital-Nachschießen in der Hoffnung, nun doch mal einen Gewinn realisieren zu können, haben zu dem großen Verlust geführt.“
Die BNP-Paribas-Tochter Cortal Consors, die bislang mit FXdirekt kooperiert hat und über deren Internet-Seite Consors-Kunden ein Konto in Oberhausen eröffnen konnten, hat das Angebot von der Homepage genommen. Consors-Kunden können derzeit kein Konto mehr über ihre Direktbank eröffnen.
FXdirekt hat Fehlverhalten in der Stellungnahme zum letzten Bericht der WirtschaftsWoche bestritten.
Spektakuläre Urteile gegen Anlagebetrüger
Es ist ein Fall für die Geschichtsbücher: Dem Fondsmanager Bernie Madoff gelang es jahrzehntelang, ein höchst lukratives Schneeballsystem zu betreiben, bei dem die Einzahlungen der neuen Kunden für die Ausschüttungen anderer Kunden verwendet wurden. Mangel an Neukunden kannte Madoff offenbar nicht, denn es gelang im, seine oftmals prominenten und schwer reichen Kunden um insgesamt 65 Milliarden Dollar zu erleichtern. In der Finanzkrise flog der ganze Schwindel auf, weil einige Kunden große Summen abzogen. Im Jahr 2009 wurde Madoff zu 150 Jahren Haft verurteilt.
Im April 2011 sorgte das Urteil gegen den Börsen-Coach, Ex-N24-Moderator, Buchautor und Börsenjournalisten Markus Frick für Aufsehen. Er hatte ebenfalls Aktien öffentlich empfohlen, die er selbst besaß. Dadurch hat er dem Gericht zufolge 20.000 Anleger getäuscht und 42 Millionen Euro erlöst. Das Gericht brummte ihm ein Jahr und neun Monate Haft auf Bewährung sowie 420.000 Euro Strafzahlung auf. 80 Millionen Euro wurden sichergestellt.
Er gilt als der deutsche Bernie Madoff: Helmut Kiener hat mit seinen Hedgefonds Anleger und Banken mit einem Schneeballsystem im Laufe der Jahre um mehr als 300 Millionen Euro betrogen. Das Urteil für Kiener im Juli 2011: zehn Jahre und acht Monate Gefängnis. Das Landgericht Würzburg verurteilte den 52-Jährigen wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung. Erst sehr spät im Gerichtsverfahren hatte Kiener ein umfassendes Geständnis abgelegt.
Es waren die ersten Urteile in der sogenannten SdK-Affäre, bei der vor allem - inzwischen ehemalige - Funktionäre der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger wegen Kursmanipulation angeklagt waren. Der geständige Börsenbrief-Herausgeber Stefan Fiebach ist zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, weil er vor allem die Aktien bejubelt hat, die er selbst besaß. Zuvor hatte er die Anschuldigungen gestanden und Kursmanipulation in Mittäterschaft eingeräumt. Nach dem Geständnis von Fiebach räumte auch der ehemalige Sprecher der (SdK), Christoph Öfele, über seinen Anwalt Insiderhandel in 92 Fällen ein und bestätigte damit die Vorwürfe der Anklage in vollem Umfang. Der geständige Öfele war früher neben seinen Börsengeschäften auch Aufsichtsratschef des Fußballclubs 1860 München. Als seine Verwicklung in den Aktienskandal bekannt wurde, legte er den Posten bei den Löwen nieder. Im Gegenzug für das Geständnis verurteilte das Gericht Öfele zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Neben einer Geldstrafe soll Öfele eine Nebenstrafe von rund 220.000 Euro zahlen - was fast dem kompletten Vermögen entspricht, das der 43-Jährige im Verfahren angegeben hat.
Der US-Hedgefondsmanager wurde im Oktober in einem Strafverfahren zur Zahlung von insgesamt 63,8 Millionen Dollar sowie zu elf Jahren Haft verurteilt. In einem weiteren Verfahren wurde ihm eine Strafzahlung von 92 Millionen Dollar aufgebrummt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft fuhr Rajaratnam bis zu 75 Millionen Dollar an illegalen Profiten durch Insiderhandel ein. Er soll auf Grundlage von geheimen Informationen gehandelt haben, die ihm von im Wertpapiergeschäft tätigen Freunden und Kollegen zugesteckt wurden. Rajaratnam galt bei seiner Verhaftung als Milliardär, sein Galleon-Fonds verwaltete zu Spitzenzeiten sieben Milliarden Dollar.
Dem Geschäftsmann aus Texas wird angelastet, tausende Anleger um ihre Ersparnisse im Gesamtwert von sieben Milliarden Dollar gebracht zu haben. Ein Geschworenengericht hat ihn bereits verurteilt, das Strafmaß wird im Juni verkündet. Stanford drohen bis zu 230 Jahre Haft. Die Geschworenen erklärten Stanford des Betruges, der Verschwörung, der Geldwäsche und der Behinderung der Justiz für schuldig. Auf jeden der Anklagepunkte stehen Höchststrafen von bis zu 20 Jahren Haft. Außerdem soll der US-Investor seinen Opfern 330 Millionen Dollar erstatten. Der Fall flog 2009 auf. Mit seiner auf der Karibikinsel Antigua angesiedelten Firma hat Stanford offenbar mehr als 30.000 Investoren aus über einhundert Ländern um ihr Geld gebracht hat. Vor Gericht plädierte er auf nicht schuldig. Wegen Fluchtgefahr verbrachte Stanford die vergangenen drei Jahre hinter Gittern.
Unterlagen, die der Redaktion vorliegen, geben erschreckende Einblicke ins Innenleben der Bank, etwa am Dienstag, 22. Mai.
Um 13.14 Uhr schickt Daboussi seinen Leuten ihre bisherigen Tagesergebnisse. Zwei Mitarbeiter sollen ihren Absatz schnell verdreifachen („we need 3 times this !!!“), einen anderen stellt der Chef vor Kollegen als schwach hin: „Thomas.. still low Richard is catching you !!!“ (die echten Namen sind der Redaktion bekannt).
Nur vier Minuten später die nächste Nachricht. Betreff: Ziel heute („target TODAY !!!“). Inhalt: „SILVER !!!!!!!“ Damit die Betreuer nicht übersehen, dass sie telefonieren sollen, was das Zeug hält, sendet der Chef die Nachricht in riesigen Buchstaben.
Wer falsch berät, ist haftbar
Doch Daboussi bekommt nicht genug. Keine drei Stunden später legt er nach: „Was ist los? Es ist 16 Uhr, und wir haben erst 370 Lots...“ Lot ist eine Mengenangabe, in der man das gehandelte Volumen der Silberkontrakte messen kann.
Der erfahrene Münchner Anwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Peter Mattil, sagt, dass die Bank Anleger auf diese Weise durchaus beraten könne. „Ruft man einen Kunden an und empfiehlt den Kauf von Silber, ist das Anlageberatung“, sagt Mattil. Es reiche dazu bereits aus, dem Kunden nur zu sagen: „Schauen Sie mal auf Silber.“ Wer fehlerhaft berät, der haftet für Verluste.
FXdirekt schrieb in der Stellungnahme zum ersten Bericht der WirtschaftsWoche, dass die Bank keine Anlageberatung anbiete: „Zuwiderhandlungen durch Mitarbeiter würden unverzügliche arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Mitarbeiter nach sich ziehen.“
Daboussi macht auf den ersten Blick einen seriösen Eindruck. Im Internet findet sich ein Foto eines wohltätigen Daboussi, der vor einem Jungen kniet und ihm ein knallgelbes Geschenk entgegenstreckt.
Nach außen mag Daboussi sich so präsentiert haben. Nach innen aber zeigt er andere Seiten.
16.09 Uhr. Die nächste E-Mail landet im Postfach der Betreuer. „MORE !!!!!!!!! Thomas !!!!“ Während Timos Kunden schon 88 Lots Silber gehandelt haben, schaffte Thomas erst eins – so muss man die Tabellen in den Mails mit den Namen und Umsätzen der Betreuer wohl interpretieren.
FXdirekt hat eine eigene Handelsabteilung, die Kurse stellt. Generell gilt: Broker, die einen solchen Dealing Desk haben, können die Handelsgeschäfte von Kunden an Börsen absichern – oder es lassen. Wettet der Kunde auf steigende Kurse und tut das auch der Broker, verdient der nur am Aufschlag auf den Einkaufspreis. Sichert er sich nicht ab, sind Verluste des Kunden seine Gewinne. In dem Fall hätte die Bank Interesse daran, dass Kunden verlieren.
Anwalt Mattil sagt, es sei verboten, bei Kunden unrichtige oder irreführende Angaben zu machen. „Wenn Chance und Risiko zwischen Kunde und Bank ungleich verteilt sind, kann es sich um eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung handeln. Das rechtfertigt Schadensersatz“, sagt er.
FXdirekt teilte schon vergangene Woche mit, dass die Bank „nicht gegen ihre Kunden“ wette. Es sei „sachlich und betriebswirtschaftlich unsinnig und vor allem falsch“, dass die Bank ein Interesse daran habe, dass Kunden Geld verlören.
Untätigkeitsgebühr für Kunden
Fest steht, dass die Bank Kunden sogar Gebühren berechnet, wenn sie nicht handeln. In einem Tagesbericht der Handelsabwicklung, der der Redaktion vorliegt, heißt es, bei einer Prüfung sei ein neues Kundenkonto mit „negativem Cash-Bestand“ gefunden worden, das aufgrund der Untätigkeitsgebühr ins Minus geraten sei.
16.32 Uhr. Daboussi macht erneut Druck, will 2000 Lots: „I want 2000 Today.. Few hours to go... let s do it !!!!!“
Kunden handeln bei FXdirekt auch außerhalb von Börsen – vor allem wetten sie mit Differenzkontrakten (Contracts for Difference, CFDs) auf steigende und fallende Kurse von Aktien oder Rohstoffen. Wetten sind gehebelt, mit kleinem Einsatz ist ein Vielfaches an Gewinnen möglich. Beim CFD setzen Anleger nur einen Bruchteil der bewegten Summe ein und überlassen dem Broker nur eine Sicherheit (Margin). Gewinne und Verluste potenzieren sich so rasant. Viele Broker sind wie FXdirekt Market Maker, die Kunden An- und Verkaufskurse stellen. In den Geschäftsbedingungen der Bank steht, dass sie berechtigt sei, „nach Eingang des Kundenantrages einen veränderten Kurs zu quotieren, der von dem ursprünglich quotierten Kontraktkurs abweicht“. Allgemein gilt: Stellt ein Broker die Preise beim Verkauf oder Rückkauf schlechter, kann der Kunde mehr verlieren oder weniger gewinnen – und der Broker seine Marge anheben. Wie, verdeutlicht eine Musterrechnung:
Der Silber-Preis von FXdirekt lag in der Stichprobe der WirtschaftsWoche bei 28,15 Dollar (Verkauf) zu 28,20 (Kauf) US-Dollar. Wettbewerber IG Markets handelte zur gleichen Zeit mit 28,05 zu 28,08 Dollar – der Silber-Verkaufskurs von FXdirekt lag damit zwölf Cent über dem von IG Markets. Klingt wenig, macht aber beim Geschäft mit CFDs, bei denen Kunden nur die Differenz zwischen Ein- und Ausstiegskurs gewinnen oder verlieren, hohe Summen aus.
Ein hypothetisches Beispiel: Angenommen, ein Kunde wettet auf steigende Kurse. Er steigt bei 28,08 Dollar mit Kontrakten über 10.000 Unzen in den Markt ein. Kurz darauf verkauft er zu 27,90 Dollar. Der Kunde hat dann die Differenz von 18 Cent verloren (28,08 – 27,90 = 0,18). Gehebelt multipliziert sich der Verlust mit der Zahl der gekauften Unzen: 0,18 Dollar x 10.000 = 1800 Dollar Verlust.
Hat der Handel ihm beim Kauf mehr abgeknöpft, etwa 28,20 Dollar, liegt sein Verlust beim Ausstieg höher. Die Rechnung geht so: 28,20 – 27,90 = 0,30 Dollar; 0,30 x 10 000 = 3000 Dollar Verlust. Beim Handel mit hohem Hebel zählt also bei Ein- und Ausstieg jeder Cent – für Kunde und Broker. Gemessen am in diesem Fall üblicherweise eingesetzten Kapital (Margin) von rund 2800 Dollar, brächten die 1200 Euro Unterschied etwa 43 Prozent mehr Verlust.
17.06 Uhr, Mail aus der Chefetage. Noch drei Stunden, er bräuchte mindestens 800 Lots, die Betreuer sollten die Kunden härter rannehmen, schreibt Daboussi: „3 hours to go... we need at least 800 Lots !!! time to push harder !!!! PRIME TIME“
17.39 Uhr. Daboussi hat immer noch nicht genug. „COME ON>>>> more more more silver... push... push...“
Bislang ging aus Oberhausen keine Stellungnahme zu den E-Mails und anderen Punkten ein. Doch wie hieß es noch mal in der alten Stellungnahme? Falsch sei „die Behauptung, Kunden würden gezielt in Positionen“ wie Silber gelenkt.