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Gbureks Geld-Geklimper

Anlagestrategie vor der nächsten Finanzkrise

Manfred Gburek Freier Finanzjournalist

Kurieren an den Symptomen statt das Übel an der Wurzel packen, das ist die aktuelle Geldpolitik. Anleger sollten die Konsequenzen ziehen.

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Wohin steuert Mario Draghi die EZB?
Eines kann man Mario Draghi sicher nicht vorwerfen: Tatenlosigkeit. Seit der Italiener vor bald 100 Tagen an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) aufrückte, kramt er tief im Instrumentenschrank. Schließlich brennt es im Euroraum lichterloh - und nicht wenige sehen in der EZB den einzigen potenten Retter im Kampf gegen Schuldenkrise, drohenden Bankenkollaps und Rezession. „Realistisch gesehen verfügt gegenwärtig nur noch die Geldpolitik über die Mittel, die Wirtschaft zu beleben“, sagt etwa Ansgar Belke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Quelle: dpa
Draghi wurde fündig. Gleich zum Amtsantritt nahm der Bank- und Finanzexperte die Zinserhöhungen von Jean-Claude Trichet (rechts) zurück. „Dies war ein Einstand mit Pauken und Trompeten, denn Draghi korrigierte die viel zu restriktive Geldpolitik seines Vorgängers“, lobt Thomas Steinemann, Chefstratege der Bank Vontobel. Quelle: dapd
Dass der renommierte Ökonom Draghi, der seit seiner Zeit bei den Analysten von Goldman Sachs den Beinamen „Super-Mario“ trägt, mit der Lockerung der Zinsschraube typisch südländisch handelte und vor allem seinem angeschlagenen Heimatland diente, glaubt in Notenbankkreisen niemand. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann soll sogar überrascht sein, in Draghi einen engen Verbündeten zu haben, für den Geldwertstabilität auch bei Konjunkturflauten das Oberziel der Notenbank bleibt. Quelle: Reuters
Während er den Leitzins bisher „nur“ auf das frühere Rekordtief senkte, betrat der Italiener mit einer anderen Maßnahme Neuland: Um einen Bankenkollaps samt Kreditklemme zu verhindern, flutete die EZB die Banken mit billigem Geld für die Rekordlaufzeit von drei Jahren. Die Draghi-„Bazooka“ wirkte: Seither können sich klamme Staaten günstiger finanzieren, Aktienkurse starteten zum Höhenflug. „Wir haben eine schwere Kreditkrise verhindert“, ist Draghi überzeugt. Quelle: dpa
Ohne Zweifel: Der Schritt hat die hypernervösen Märkte nicht nur beruhigt, sondern beflügelt. Für Ende Februar ist ein zweites Dreijahresgeschäft geplant, bei dem sich Europas Banken womöglich bis zu einer Billion Euro bei der Zentralbank leihen. „Sollte sich die Lage verschärfen, dann wäre die EZB bereit, auch einen dritten und vierten Tender mit einer Laufzeit von drei Jahren durchzuführen“, ist Jürgen Michels, Europa-Chefvolkswirt der Citigroup, überzeugt. Quelle: dpa
Der Präsident des Privatbankenverbandes BdB, Andreas Schmitz, lobt den „Schuss Pragmatismus“, mit dem die EZB in den vergangenen Monaten für Entschärfung der Krise gesorgt habe. „Aber Geld- und Fiskalpolitik müssen wieder getrennte Wege gehen“, betont Schmitz. Er habe „nicht den leisesten Zweifel“, dass Draghi das auch so sehe. Quelle: dpa
Das gigantische Verleihgeschäft birgt Gefahren. Während das Inflationsrisiko nicht unmittelbar steigt, rückte die Notenbank näher an die Politik. Denn obwohl dies nach Draghis Bekunden nicht das Ziel war, lädt das Dreijahresgeld quasi zum Nulltarif die Banken förmlich dazu ein, staatliche Bonds zu kaufen. Damit werde die EZB durch die Hintertür zum Staatsfinanzierer, moniert DIW-Experte Ansgar Belke. Quelle: PR

Wenn ein international vernetzter Professor wie Helmut Siekmann von der Frankfurter Goethe-Universität, Spezialist für Geld-, Währungs- und Notenbankrecht, von „globaler Hyperliquidität“ spricht und sie als „potenziell inflationstreibend“ bezeichnet, lohnt es sich gerade in diesen Tagen, seinen Gedanken zu folgen. Hier also zunächst einige von seinen Warnungen: „Das Kernproblem der Liquidität ist nicht gelöst.“ Die enorme Geldschöpfung stamme zu mindestens 90 Prozent von Geschäftsbanken, nicht von Zentralbanken. Ein Problem sei ihre Abkopplung von der Realwirtschaft, ein weiteres bestehe darin, dass die mit ihr verbundenen Transaktionen nicht hinreichend erfasst werden können.

Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, gibt Siekmann zusätzlich zu bedenken: „Das Geldschöpfungspotenzial ist sehr groß.“ Den Geschäftsbanken sei es möglich, immer mehr Geld „durch einen Federstrich zu schaffen“. Sogar die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, das Zentralinstitut der Notenbanken, verfüge nicht über genaue Daten dazu, was unter anderem am massiven Einsatz von Derivaten liege. Und neben der Komplexität der Finanzprodukte habe man es auch mit der Komplexität der Vorschriften zu tun.

Dreifaches Versagen

Leiden wir folglich, besonders in Europa, unter einem Geldsystem, das den Regierungen ebenso wie den Notenbanken entglitten ist? Es sieht ganz danach aus. „Wir haben keine verlässliche Institution, das Vertrauen in die Stabilität von Regeln hat stark gelitten“, resümiert Siekmann. Damit zielt er einerseits auf den Bruch des Vertrags zum Europäischen System der Zentralbanken ab; dieser Vertrag lasse keinen Spielraum für dreijährige Kredite, wie sie die Europäische Zentralbank gewährt habe. Andererseits hat er das Bundesfinanzministerium im Visier, denn um die Verlässlichkeit des deutschen Steuerrechts sei es „in den vergangenen fünf Jahren ganz schlimm geworden“.

Wie steht es um die Konsequenzen? Vor der Prognose ist eine kurze Analyse hilfreich: Die 2007 ausgebrochene internationale Finanzkrise wurde durch Kurieren an den Symptomen statt durch Packen an der Wurzel des Übels bekämpft. Zum Versagen der Märkte – sie bestehen laut Siekmann nur aus wenigen Personen – gesellte sich das Versagen der Staaten und das Versagen der Wissenschaft, die Bankpleiten aus ihrem Forschungsgebiet einfach ausgeblendet habe. Das Staatsversagen münde darin, dass die mit ihrem Sachverstand überforderten Ministerialbeamten der Bankenlobby aufsitzen, die dann fleißig Gesetzestexte mitformuliert.

Die nächste Finanzkrise kommt bestimmt

Aus all dem eine Prognose abzuleiten, fällt wahrlich nicht schwer: Die nächste Finanzkrise kommt bestimmt. Sie wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ganz anders ablaufen als die sogenannte Subprime-Krise von 2007/08 und als die Griechenland-Krise 2010/11 ff. Nur wie, das wird uns bis auf Weiteres verborgen bleiben. Eines steht allerdings fest: Mit dem Kurieren an den Symptomen wird es dann nicht mehr getan sein, also weder mit EFSF und ESM noch mit Milliardentransfers. Womit sonst, bleibt einstweilen ebenso offen wie die Art und das Ausmaß der nächsten Krise.

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