
Erst die Schweiz, dann Dänemark und Schweden - die Zentralbanken dieser Länder wetteifern um negative Zinsen. Die EZB bleibt im untersten positiven Bereich, was bestenfalls als symbolische Geste zu verstehen ist. Anleger mit viel Geld auf dem laufenden Konto ziehen es ab, um es in den heimischen Tresor oder sonst wohin zu legen. Andere kaufen Gold, sodass die Edelmetallhändler von pro aurum und Degussa ins Schwitzen geraten. Wer genug Geld auf der hohen Kante hat oder wenigstens kreditwürdig ist, investiert es in Immobilien. Derweil büßen Aktien und Aktienfonds weiter an Popularität ein, wie zuletzt das Deutsche Aktieninstitut und der Fondsverband BVI feststellen mussten. Das eigentliche Drama kommt aber erst noch: Im Gefolge von Niedrig-, Null- und Negativzinsen werden Banken, Versicherer und deren Kunden zur Kasse gebeten.
Es beginnt scheinbar ganz harmlos: Einlagen auf laufenden Konten geraten ins Minus – zunächst sehr zur Freude der Banken, die sich dadurch günstiger refinanzieren können. Doch über kurz oder lang ziehen Bankkunden Geld von den Konten ab, mit der Folge, dass die billige Refinanzierung zu Ende geht. Dann müssen Banken ihren Kunden günstige Konditionen anbieten.





Das schmälert ihre Erträge und ruft schließlich die Zentralbanken auf den Plan, die den Banken Geld gegen Nullzinsen zur Verfügung stellen, damit die es mit einem Aufschlag zur Finanzierung von Unternehmen verwenden. Aber die Banken haben kein Interesse daran, weil ihre Gewinnmargen wegen des niedrigen Zinsniveaus uninteressant sind. Stattdessen spielen sie mit dem vielen Geld lieber am Aktienmarkt.





Weniger Geld fürs Alter
Das extrem niedrige und in einigen Ländern bereits negative Zinsniveau wirkt sich natürlich auch auf Anleger aus, die ihr Geld einem Versicherer, einer Pensionskasse oder einem berufsständischen Versorgungswerk anvertraut haben, um im Alter keine finanziellen Sorgen zu haben. Wenn sie sich da mal nicht täuschen: Weil die drei Geldverwalter-Gruppen ganz überwiegend in zinsabhängigen Anlagen wie Anleihen, Schuldscheinen und Darlehen investiert sind, hängt ihr Erfolg vom Zinsniveau ab. Mit der Folge, dass ihre fürs Alter vorsorgenden Kunden später weniger ausgezahlt bekommen, als ihnen anfangs versprochen wurde.
Es kann sogar noch schlimmer kommen, etwa dann, wenn zum Beispiel immer mehr Altkunden von Lebensversicherern mit Ablaufleistungen in ferner Zukunft ihre laufenden Zahlungen stoppen und Neukunden kaum mehr aufzutreiben sind. Gleichzeitig muss für Kunden, deren Ablaufleistungen in nächster Zeit bevorstehen, ein Kapitalstock vorhanden sein. Reicht er nicht aus, heißt es für die Versicherer, Anleihen und andere börsengängige Papiere zu verkaufen und zu hoffen, dass es wegen eines zu hohen Bestands an nicht börsengängigen Papieren zu keiner Illiquidität kommt.
Viel Spielgeld im Umlauf
Man kann verstehen, dass Aktien und Aktienfonds unter den hier geschilderten Umständen für die genannten Altersvorsorgesysteme nur bedingt infrage kommen. Denn sie müssten eventuell zur Unzeit verkauft werden, also wenn ihre Kurse niedrig sind. Folglich werden sie weiterhin in erster Linie ein beliebtes Betätigungsfeld für Banken und andere Großanleger bleiben, die gern mit ihnen spielen, solange die EZB genug Spielgeld zur Verfügung stellt.
Was private Anleger betrifft, ist das Ergebnis einer aktuellen GfK-Studie aufschlussreich. Derzufolge bezeichnen heute 17 Prozent der Befragten Aktien als attraktiv. Vier Jahre zuvor waren es erst 8 Prozent. Klar, wer ständig das Laufband des Fernsehkanals n-tv verfolgt und zuletzt die Jubelmeldungen aus Anlass von über 10.000 und dann kurzfristig sogar 11.000 Dax-Punkten mitbekommen hat, kann ja nicht einfach behaupten, Aktien mangele es an Attraktivität. Dasselbe gilt für Anleger, denen ihre sogenannten Berater Grafiken vorlegen, die wunderbare vertriebsfördernde Aktienfonds-Ergebnisse aus der Vergangenheit zeigen. Aus der Vergangenheit, das ist das Problem; die Zukunft bleibt ungewiss.
Deutsche Aktienkultur, ein Widerspruch in sich
Man mag es kaum glauben, aber das Deutsche Aktieninstitut, 1953 gegründet als Arbeitskreis zur Förderung der Aktie (später Arbeitskreis Aktie), stellt seine jüngste Schrift unter das Motto „Aktienkultur leidet erneut“. Noch depressiver geht es kaum. Und das – neben zwei Geschäftsführern - bei einem Präsidium von elf, einem Vorstand von 51, einem wissenschaftlichen Beirat von zwölf und einem Beirat für ökonomische Bildung von sechs Personen, macht zusammen 82, darunter kein einziger Vertreter privater Anleger. Das haben Aktien wahrlich nicht verdient.
Die Deutschen haben insgesamt nur 7,3 Prozent ihres Geldvermögens in Aktien angelegt, dagegen 39,2 Prozent in laufenden Konten, Spar- und Termineinlagen. Offenbar halten sie solche Einlagen - wie auch ihre bei Versicherern deponierten Anlagen, die 38,2 Prozent des Geldvermögens aller Deutschen ausmachen - für sicherer als Aktien. Und das wohl nur aus einem Grund: Weil Zinsen auf Konten täglich messbar und das in Konten investierte Geld stets liquidierbar ist, womit sie Sicherheit suggerieren. Dagegen schwanken Aktienkurse täglich, stündlich, minütlich und manchmal sogar in Millisekunden (aber immerhin sind Aktien liquidierbar). Am schlimmsten ergeht es den Anlegern, die ihr Geld bei Versicherern investiert haben. Denn es ist nicht täglich messbar, nur mit hohen Abschlägen liquidierbar, und obendrein lässt die Ausbeute in Form von immer geringer werdenden Ablaufleistungen wegen des niedrigen Zinsniveaus zu wünschen übrig.
Ein Konto für Schnäppchenkäufe
Fazit: Niedrig-, Null- und Negativzinsen haben kaum etwas am Sparverhalten der Deutschen geändert. Ihre Welt sind, sieht man von Immobilien ab, überwiegend Geldwerte mit derzeit miserabler Verzinsung. Ein Umschwenken in Richtung Aktien erscheint unmöglich. Schlagender Beweis: Das Deutsche Aktieninstitut hat es in 61 Jahren seines Bestehens nicht geschafft, so etwas wie eine Aktienkultur zu etablieren. Anleger, die mit Aktien Geld verdienen wollen, sind auf sich gestellt. Am besten, sie nutzen die Börsenzyklen aus. Die sprechen aktuell nicht gerade für langfristige Engagements, sondern nur für spekulative Spiele auf Zeit. Insofern ist Geld auf dem Konto – vorausgesetzt, es wirft wenigstens Minizinsen ab – eine gar nicht mal so schlechte Alternative. Denn es kann bei passender Gelegenheit, nachdem die Aktienkurse mal wieder gefallen sind, für Schnäppchenkäufe eingesetzt werden.