




Robert Halver von der Baader Bank hat in der jüngsten Ausgabe des Informationsdienstes „Elitebrief“ diese gewagte These aufgestellt: „Durch die EZB wurde am Rentenmarkt die Marktwirtschaft abgeschafft und die Planwirtschaft eingeführt.“ Leider hat er recht. Damit werde „die ohnehin schon größte Anlageblase aller Zeiten, die Anleiheblase“, noch größer. Die Konsequenz: „Absurderweise muss die Anleiheblase weiter aufgeblasen werden, weil sie ansonsten platzt.“ Zum Platzen wird es dennoch kommen, allerdings weiß niemand, ob schon bald, in wenigen Monaten oder erst in Jahren.
Wir haben es mit einer Geld-Apokalypse zu tun. Aber mit einer, die nicht zulasten aller geht, denn mit den Schuldnern unter den Staaten hat sie prominente Profiteure. Dagegen sind die Besitzer von Anleihen, Kapitallebens- und Rentenversicherungen, Spar- und Festgeldkonten die Dummen. Wie übrigens auch Unternehmen, sofern sie hohe Pensionslasten stemmen müssen. Denn die Barwerte ihrer Pensionsverbindlichkeiten steigen wegen der gefallenen Zinsen. Dadurch sinkt das Eigenkapital, was an der Börse über kurz oder lang zu sinkenden Kursen der Aktien von pensionslastigen Unternehmen führt. Niedrige Zinsen sorgen also für allerhand Umverteilung.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
Verlässliche Zahlen sind Mangelware
Das gilt auch auf einer anderen Ebene, in der Eurozone. Angenommen, Anleger entscheiden sich für den Kauf griechischer oder italienischer Staatsanleihen, weil diese etwas höhere Renditen abwerfen als deutsche Bundesanleihen, die unter dem Strich zu null Prozent rentieren – und weil die Anleihen der Mittelmeer-Anrainer im Zuge der ultralockeren EZB-Geldpolitik ebenso begünstigt sind wie Bundesanleihen. Dann kommt es zur Umverteilung unter den Anlegern beider Anleihegruppen: Wer es mit den Ländern am Mittelmeer hält, gewinnt zunächst, wer dagegen auf Deutschland setzt, verliert zwar nicht, muss sich aber vorerst mit weniger zufrieden geben.
Das Perfide: Es gibt kaum verlässliche Zahlen, die diesen Effekt auch nur einigermaßen quantifizierbar machen könnten. Die Befürworter der auf Umverteilung zielenden Geldpolitik wenden stattdessen einen Trick an, indem sie anstelle von Zahlen populistische Schlagworte sprechen lassen: Der Euro sorge für hohe deutsche Exporte und damit für Arbeitsplätze, er solle doch bitteschön für alle 19 mit ihm verbandelten Länder erhalten bleiben, den Beitrittskandidaten schmackhaft gemacht werden und – das fadenscheinigste Argument - er sorge für Frieden in Europa.
Wie Mario Draghi die Märkte mit Geld fluten kann
Die EZB könnte massenhaft Anleihen aufkaufen und selbst das Risiko in ihre Bücher nehmen. Sie würde sich dabei am Anteil der jeweiligen Notenbanken am Grundkapital der EZB orientieren, das je nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung der Länder unterschiedlich hoch ist. Draghi vermied es bislang, eine konkrete Zahl für die Käufe ins Schaufenster zu stellen. Doch strebt der EZB-Rat eine Ausweitung der Bilanz auf das Volumen von Anfang 2012 an. Damit müsste die EZB rund eine Billion Euro in die Hand nehmen. Mit dem eingeleiteten Kauf von Hypothekenpapieren und Pfandbriefen dürfte diese Summe nicht annähernd zu erreichen sein. Allerdings könnte die EZB das Spektrum um private Anleihen erweitern.
Kritiker befürchten, dass solide wirtschaftende Länder am Ende für Krisenstaaten haften müssen. Sollten Papiere - etwa von Griechenland - ausfallen, müsste auch der deutsche Steuerzahler bluten. Der niederländische Notenbank-Chef Klaas Knot sieht darin ein Problem: "Wir müssen vermeiden, dass über die Hintertür der EZB-Bilanz Entscheidungen getroffen werden, die den demokratisch legitimierten Politikern der Euroländer vorbehalten bleiben müssen." Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma wäre eine Ankauf durch die jeweiligen Notenbanken der Euro-Staaten.
Draghi könnte den Bedenken gegen eine zu große Haftungsübernahme durch die EZB mit einer Kompromisslösung Rechnung tragen: Die EZB würde demnach nur einen Teil der Ankäufe übernehmen und es den Notenbanken der einzelnen Länder überlassen, bis zu einem gewissen Limit auf eigenes Risiko am Markt aktiv zu werden. Damit würde Draghi womöglich die Bundesbank und andere Gegner besänftigen. Ob eine solche Aufgabenteilung aber reibungslos funktioniert und ein ausreichend großes Volumen zustande kommt, ist offen. Genauso wie die Frage, ob die EZB am Donnerstag tatsächlich bereits den Knopf drücken wird.
Bei diesem Modell verbliebe das Risiko bei den einzelnen Staaten. Die EZB würde den Beschluss fassen, dass die Zentralbanken von Portugal bis Finnland Papiere erwerben können und ihnen dafür ein Limit setzen. Der französische Notenbank-Chef Christian Noyer ist für "eine prozentuale Obergrenze". Private Anleger müssten weiterhin die Mehrheit der Anleihen halten. Dies würde theoretisch bedeuten, dass die einzelnen Notenbanken insgesamt bis zu 49,9 Prozent der ausstehenden Verbindlichkeiten des jeweiligen Landes aufkaufen dürften. Da der Schuldenberg der Euro-Staaten insgesamt mehr als neun Billionen Euro groß ist, wäre ein solches Programm jedoch überdimensioniert. Die Obergrenze, falls sie überhaupt kommuniziert wird, dürfte weit niedriger liegen.
Würde sich die EZB selbst heraushalten, könnte ihr dies als Führungsschwäche ausgelegt werden: "Das wäre keine einheitliche Geldpolitik mehr", warnt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Auch ein Modell, wonach sich die Ankäufe an der Summe der ausstehenden Staatsanleihen eines Landes orientieren würde, gilt als heikel: Dann wäre Italien, das Heimatland Draghis, der größte Nutznießer. Rund ein Viertel aller ausstehenden Staatsanleihen im Euro-Raum wurde von der Regierung in Rom ausgegeben.
Gegner des Programms wie etwa Bundesbank-Chef Jens Weidmann befürchten, dass die EZB den Staaten "Fehlanreize" bieten würde, ihre Reformanstrengungen zu vermindern. Denn durch den massenhaften Ankauf von Verbindlichkeiten der Staaten kommen diese Länder am Markt günstiger an frisches Geld.
Ökonom Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe erwartet zum Beispiel, dass sich der EZB-Rat noch nicht auf Umfang, Dauer und Zusammensetzung der Käufe durchringen kann. Dann würde die EZB nur einen Grundsatzbeschluss fassen. Draghi müsste im März alle Details nachliefern.
Bis dann dürfte sich auch der Rauch nach den Parlamentswahlen in Griechenland verzogen haben. Denn das von IWF und EU vor der Pleite gerettete Land könnte eine Kehrtwende einleiten. Die zentrale Frage lautet: Bleibt es auf Reformkurs oder kommt es zur Abkehr von den Rettungsprogrammen? Ein Ankauf griechischer Staatspapiere dürfte sich bei der letzten Variante für die EZB verbieten.
Die berüchtigte EZB-Entscheidung
Schon immer sorgen Kriege für Umverteilung, hin und wieder auch Revolutionen, wie die französische von 1789 oder die deutsche von 1848. Die Umverteilung durch Gesetze ist ebenfalls nicht gerade neu, man denke nur an Bismarcks umfangreiche Sozialpolitik im 19. Jahrhundert. Aber dass Zentralbanken massiv umverteilen können, erleben wir erst seit Gründung der amerikanischen Fed im Jahr 1913. Ihr Gebaren, einst geheimnisvoll ohne Einschaltung der Öffentlichkeit, ist mittlerweile auf maximale Transparenz ausgerichtet. Wir bekommen von ihr nicht allein vermittelt, wie sie Konjunktur und Zinsen einschätzt, sondern zusätzlich auch einen Lehrgang in Geldpsychologie aufgebrummt.