
Unter Börsianern kursiert seit Jahrzehnten ein Spruch, der aus Anlass der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen scheinbar an Aktualität gewonnen hat: Aktien kaufen, wenn die Kanonen donnern! Ich finde ihn widerlich. Außerdem ist er überhaupt nicht schlüssig zu begründen. Dennoch plappern ihn junge Börsenhändler gerade jetzt den alten nach. Man könnte ja auch ganz einfach empfehlen: Antizyklisch investieren! Doch dieser Rat, der ähnlich trivial ist wie der mit dem Kanonendonner, lässt Anleger erst recht verzweifelt nach dem richtigen Ein- und Ausstieg suchen.
Da trifft es sich augenscheinlich gut, wenn die Commerzbank in ihrem neuen Werbespot – der alte mit den leibhaftigen Fußballweltmeistern hat seine Schuldigkeit getan – die vermeintlich vorhandenen eigenen Geldanlage-Qualitäten hervorhebt und neuen Kunden obendrein 500 Euro verspricht. Aber war da nicht noch etwas? Genau, ausgerechnet die auf staatliche Kapitalhilfe angewiesene, unter hohen Kosten leidende Commerzbank soll in der Lage sein, Kunden besser zu beraten als diese sich selbst? In Wahrheit ist es doch immer wieder dieselbe Crux: Banken erfinden irgendwelche Finanzprodukte, die sie verkaufen wollen; und damit das funktioniert, behaupten sie, das sei Beratung.
Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln
Gegen die größer werdenden Unwägbarkeiten sollte man sich zuallererst mit einer Strategie wappnen: Wer an kräftiges Wachstum in Deutschland glaubt, an einen anhaltenden Boom der Schwellenländer und hohen privaten Konsum, kann weiter am Aktienmarkt investieren. Wer skeptisch ist, sollte seine Bestände hingegen nicht aufstocken.
Eng verbunden mit der ersten Regel: Immer wieder kommt es vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man erwartet hat. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und nicht jeder Entwicklung hinterherzulaufen. Eine solche Reaktion zeugt nicht von einem geringen Vertrauen in die eigene Strategie. Es kostet meist auch Geld, weil die Masse schon vorher diese Richtung eingeschlagen und das Gros an Rendite eingefahren hat.
Groß oder klein, spekulativ oder konservativ, liquide oder illiquide, dividendenstark oder dividendenschwach, Substanz oder Wachstum: Bei Aktien ist die Auswahl riesig. Der richtige Mix aus spekulativen und konservativen Titeln hilft, Schwankungen zwischen guten und schlechten Zeiten auszugleichen. Nicht zu unterschätzen sind starke Dividendenzahler, die Jahr für Jahr den Grundstock für eine solide Rendite legen.
Keine Frage, die Börsen haben in den vergangenen zehn Jahren stärker geschwankt als in allen Dekaden zuvor. Das wird so bleiben, mit wachsendem Computerhandel sogar noch zunehmen. Wer sein Risiko minimieren will, baut Barrieren ein – sogenannte Stopps. Gerne werden Stopps bei 20 Prozent über und unterhalb des aktuellen Kurses gewählt. Dann wird automatisch verkauft, wenn diese Grenzen erreicht sind. Kommt eine Phase überraschend steigender Kurse mit anhaltendem Aufwärtstrend, lässt sich die Barriere leicht nach oben verschieben. Wichtig ist dann, auch die Barriere am unteren Ende nachzuziehen.
Wichtig in Phasen überraschender Kurssteigerungen oder -stürze ist es, das Verhalten der Masse zu beobachten. Ist es noch nachvollziehbar oder völlig irrational? Häufig ist es irrational. Dann hilft meist die zweite Regel: Widerstandskraft zeigen. Nach einigen Monaten kehrt die Rationalität von ganz allein zurück. Der Kurssturz aus dem vergangenen Jahr und die jüngste Entwicklung beweisen das gerade wieder.
Sind Aktien wie seit Jahresbeginn schon um 30, 40 oder gar 50 Prozent gestiegen, dann sind Anschlussgewinne in der Regel nur noch schwer zu erzielen. Phrasenverdächtig ist zwar die alte Weisheit: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand zugrunde gegangen.“ Richtig ist sie trotzdem.
Firmenchefs haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber normalen Aktionären. Sie wissen weit mehr als jeder Analyst oder Kommentator, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Insider nennt man sie deshalb. Sie melden ihre Orders innerhalb von fünf Handelstagen an die Börsenaufsicht Bafin. Das Handelsblatt veröffentlicht alle zwei Wochen das sogenannte Insider-Barometer, das aus der Summe aller Kauf- und Verkaufsorders Schlüsse für den weiteren Verlauf in Dax & Co. zieht. Jüngste Tendenz: Vorstände und Aufsichtsräte verkaufen mehr als sie kaufen. Vorsicht also!
Terroranschläge und Naturkatastrophen kommen unerwartet. Politische Konflikte wie aktuell zwischen Israel und dem Iran schwelen meist länger. Entscheidende Wahlen wie jüngst in Russland und in diesem Jahr noch in Frankreich und den USA sind vorhersehbar und haben immer Einfluss auf die Börse. Dabei gilt generell: Wahljahre sind gute Börsenjahre.
Mit Optionsscheinen oder Bonus-Zertifikaten lässt sich zwar aus einem Aufwärtstrend ein noch größerer Profit schlagen. Dies sind jedoch in der Regel Wetten ohne realen Hintergrund. Aktien sind reale Werte.
Vor allem Aktien einzelner Branchen unterliegen immer wieder gewissen Moden. Doch die wechseln wie im realen Leben, und manchmal geht das schneller, als man denkt. Das bekommt gerade die einst angesehene Solarenergie-Branche bitter zu spüren.
Anleger kontra Fondsmanager
Allzu oft werden aus solchen Gedankenspielereien geradezu Dogmen. Ein Dogma, das sich besonders zäh hält, besteht in der Behauptung, dass Fonds durch die Verteilung ihrer Portfolios auf viele Wertpapiere das Risiko der Anleger mindern und dadurch abfedern. Kosten? Na ja, Leistung muss bezahlt werden, argumentieren Fondsmanager gern. Aber auch, wenn die Mehrheit der gemanagten Fonds nachweislich schlechter abschneidet als ihr Referenzindex? Irgendwie unlogisch. Zumal Anleger im Zeitalter der preiswerten Direktbanken - zum Beispiel comdirect, Tochter der Commerzbank - schon dann ihr Risiko kostengünstig mindern können, wenn sie nur über einen vierstelligen Betrag verfügen.
Außerdem: Wer kann der Analyse einzelner Aktien mehr Zeit widmen, ein Fondsmanager mit hundert bis zweihundert oder ein privater Anleger mit fünf bis zehn Aktien? Komme mir niemand mit dem Argument, der durch Vorgaben zur Performance gestresste, vom Anlageausschuss zur Rechtfertigung angehaltene, durch die Ausgabe oder Rücknahme von Fondsanteilen prozyklischer Anleger gepeinigte und zum Vorhalten von Liquidität gezwungene Manager! Eine Frage, die sich aufdrängt: Ist da nicht der als ETF (Exchange Traded Fund) verpackte börsengehandelte Indexfonds die Lösung schlechthin? Und schon sind wir beim nächsten Dogma, nämlich dass Aktien im Durchschnitt (etwa als Index) langfristig – die einen behaupten, nach 15 Jahren, die anderen, erst nach 20 Jahren – immer im Gewinn landen, auch wenn sie zum allerfalschesten Zeitpunkt gekauft wurden. Ich kenne bislang allerdings niemanden, der die Nerven besaß, so lange durchzuhalten.
Willkommen in der Anlegerfalle!
Da wir gerade bei Dogmen sind: Zertifikate gelten als Alleskönner. Ganz gleich, ob es an der Börse rauf, runter oder seitwärts geht, ob erst rauf und danach runter oder umgekehrt, ob in großen oder kleinen Schwingungen - für alles gibt es Zertifikate. Willkommen in der Anlegerfalle! Lassen wir die zum Teil horrenden Nebenkosten beiseite, bleibt immer noch die traurige Erkenntnis: Welches Zertifikat garantiert schriftlich, dass es im realen Leben während der nächsten Zeit rauf, runter oder seitwärts gehen wird und so weiter? So eines wird es nie geben.