Viel wird über die politischen Erfolge und Misserfolge dieser Kanzlerschaft in den verschiedensten Politikfeldern geschrieben, und das ist auch gut so. Denn immerhin ist Angela Merkels Periode der Kanzlerschaft schon jetzt die zweitlängste in der deutschen Nachkriegsgeschichte, vor Adenauer. Angesichts des Wahlergebnisses vom vergangenen Sonntag dürfte es bis zur Regierungsbildung aber noch etwas dauern und die Kanzlerschaft Merkel hat gute Chancen, am Ende als die am längsten agierende deutsche Nachkriegskanzlerschaft in die Geschichte einzugehen. Ich werde mir hier einen etwas anderen Rückblick auf die Kanzlerschaft Merkels erlauben, den aus Kapitalmarktsicht, und die Dinge beleuchten, die für mich aus dieser Sicht im Vordergrund stehen.
Fangen wir zunächst mit einer einfachen Beobachtung an. Angela Merkel wurde am 22. November 2005 zur deutschen Kanzlerin gewählt. In den folgenden knapp 16 Jahren fiel die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen von über drei Prozent zum Start der Kanzlerschaft ins damals Unvorstellbare: ins Negative. Zuletzt bei einem Wert von -0,2 Prozent, jedoch wurde in der Spitze sogar der Wert von -0,8 Prozent Rendite unterschritten. Damit lässt sich die Kanzlerschaft Merkel als die Periode kennzeichnen, in der sich die Niedrigzinsphase verfestigte und sogar beschleunigte.
Deutsche Aktien performten, gemessen an den Blue-Chip-Indizes, mit annualisiert über sieben Prozent Performance ihre Eurozonen-Konkurrenten um etwa zwei Prozentpunkte aus, blieben aber weit hinter ihren US-amerikanischen Counterparts zurück. Hintergrund für die klare Underperformance gegenüber den USA war sicher auch, dass anders als bei den Vorgängern von Angela Merkel keine große angebotspolitische Stimulierung der Unternehmen in Erinnerung bleiben wird. Es gab nichts Vergleichbares wie Steuersenkungen und ein Zurückdrehen des Staatseinflusses unter Helmut Kohl und Otto Graf Lambsdorff in den 80ern beziehungsweise eine zukunftsgerichtete Agenda 2010 von Gerhard Schröder und Wolfgang Clement zu Beginn dieses Jahrtausends. Am Wechselkurs zum Dollar hat es nicht gelegen, der hat zwar wie üblich stark geschwankt, befindet sich aber aktuell in etwa auf dem Niveau wie zum Amtsantritt Merkels.
Für die Kapitalanleger war das also eine erfolgreiche Zeit, in der sie im Durchschnitt vieler europäischer Assetklassen eine Performance erzielen konnten, die höher als die nominalen Wachstumsraten oder die Inflationsraten waren – mit der Ausnahme des Geldmarktes. Zum Wert des Geldes später mehr.
Wie keine andere Kanzlerschaft vor ihr war die Merkels konfrontiert mit ökonomischen Krisen epochalen Ausmaßes, solche die mehrheitlich außerhalb Europas und Deutschlands entstanden waren, aber auch die hiesigen Ökonomien und Kapitalmärkte in existenziell bedrohliche Situationen brachten. Man könnte auch sagen: Drei Jahrhundertkrisen als kontinuierliche Herausforderung einer Kanzlerschaft. Die Lehman-Krise führte uns zunächst in die größte Rezession nach dem zweiten Weltkrieg. Nur der Konjunktureinbruch, der durch die globale Corona-Pandemie ausgelöst wurde, übertraf dies sogar noch. Die dritte Krise, im globalen Kontext kleiner, war aber für Europa und die Eurozone existenziell: die europäische Schuldenkrise. Sicherlich wird Mario Draghi zu Recht in erster Linie als Retter des Euro bezeichnet, aber den politischen und fiskalpolitischen Flankenschutz bekam er von den großen Ländern der Eurozone, allen voran von Angela Merkel und ihrem damals zuständigen Finanzminister Wolfgang Schäuble.
Das Zusammenhalten des Euro und das erfolgreiche Gegensteuern gegen die historischen Krisen ist aus Kapitalmarktsicht sicher der größte Erfolg in der Periode der Kanzlerschaft Merkels.
Doch auch im Hinblick auf die Kapitalmärkte gibt es nicht nur Licht, sondern auch Schatten. Als Erfolg ist sicher zu verbuchen, dass der Euro während der Amtszeit Merkels sieben neue Mitglieder erhielt. Jedoch fällt auch der größte Rückschlag in die Ära der Kanzlerin, nicht nur für die europäische Einigungsbewegung, sondern auch für einen international bedeutenden, paneuropäischen Kapitalmarkt. Für den Austritt Großbritanniens aus der EU, der nicht nur aber auch dadurch getriggert war, dass die großen Länder sich auf die Forderungen Großbritanniens nach mehr Bewegungsspielraum unflexibel zeigten, gibt es eine Mitverantwortung von Angela Merkel.
Weniger Markt und Erosion des Euro
Neben Großbritannien galt Deutschland doch als das zweite der großen EU-Länder, das immer die marktwirtschaftlichen Prinzipien stärker propagierte und, getrieben von den Gedanken der Freiburger Schule, die Eckpfeiler des eigenverantwortlichen Unternehmertums. Gerade wer wie ich seine volkswirtschaftliche Ausbildung m Gedankengut der Lehre der 80er Jahre erhielt, reibt sich doch verwundert die Augen, wie wir das, was sich in den 70er Jahren ökonomisch als falsch herausgestellt hatte, jetzt einfach wiederholen konnten. Die fiskalische Expansion zur Krisenbekämpfung überstieg die der 70er Jahre bei Weitem. Die Vorstellung, dass mehr Staat immer die erfolgreichere Lösung sei, wurde meiner Überzeugung nach in den 70er Jahren widerlegt.
Noch schlimmer ist meines Erachtens die Erosion der Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel. Mit sicheren Geldmarktanleihen war die Inflation nur etwa zur Hälfte auszugleichen. Die problematischen Folgen, die das auf die relativen Preise hat, sind schon oft eingehend diskutiert worden. Die Rücktritte von drei deutschen EZB Direktoriumsmitgliedern vor Ende ihrer Amtszeit, bei zweien kaum verhüllt wegen ihrer Bedenken bezüglich der Ankaufprogramme der Notenbanken, zeigen auch die mangelnde Unterstützung der geldpolitischen Schule, die der Bundesbank als Leitlinie diente.
Ich gestehe, dass man auch aus meiner Sicht eher eine juristische als eine ökonomische Ausbildung haben muss, um nicht den Begriff der monetären Staatsfinanzierung in den Mund zu nehmen. Die Sache wird auch nicht besser dadurch, dass dies inzwischen ein Rezept fast aller Notenbanken rund um den Globus ist. Damit wurde in der Kanzlerschaft Merkels das geldpolitische Rüstzeug der Bundesbank in die dritte Reihe verbannt, ohne dass es Widerspruch aus Berlin dazu gab.
Damit steht der Nachfolger von Frau Merkel im Kanzleramt vor schwierigen Herausforderungen. Die Niedrigzinsphase dürfte durch eine Phase geringerer Erträge ersetzt werden, die Jagd nach Rendite lechzt nach unternehmerischen Ideen, die Frage nach der Vergemeinschaftung von Schulden bleibt eine essentielle für die Kapitalmärkte in der Europäischen Union. In Summe kann man also sagen: So gut wie wir durch die Krisen gesteuert wurden, so sehr wurden strukturelle Probleme für die Zukunft geschaffen und der nächsten Regierung als Hypothek hinterlassen.
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