Das einzige Wahlergebnis, das zu einer sofortigen Marktreaktion geführt hätte, wäre eine klare Mehrheit für die SPD und Grünen oder eine hohe Wahrscheinlichkeit einer rot-rot-grünen Koalition gewesen. Doch anstatt möglicherweise signifikante Veränderungen in der Regulierung, der Fiskal- und Europapolitik einzupreisen, mussten sich Anleger nun auf zähe Koalitionsverhandlungen einstellen. Sowohl unter einer Ampel- als auch einer Jamaika-Koalition werden Entwicklungen in der Klima-, Fiskal- und Europapolitik für Anleger im Vordergrund stehen.
Klimaschutz rückt in den Vordergrund
Alle Parteien sind sich einig, dass sie den Klimaschutz stärker unterstützen müssen – auch wenn die von ihnen bevorzugten Maßnahmen sich unterscheiden. Meiner Meinung nach wird es hier zu Kompromissen kommen und sowohl unter einer Ampel- als auch einer Jamaika-Koalition sollten sich Anleger auf steigende CO2-Preise sowie deutliche steigende Investitionen in grüne Technologien, erneuerbare Energien und umweltfreundlichere Mobilität einstellen.
Lockerere Fiskalpolitik
Auch wenn die FDP das Ausmaß möglicher fiskalpolitischer Lockerungen einschränken wird, glaube ich, dass es unter beiden möglichen Drei-Parteien-Koalitionen zu einer expansiveren Fiskalpolitik kommen wird, die den Aufschwung beschleunigen, verlängern und breiter aufstellen dürfte. Das letztendliche Ausmaß der fiskalpolitischen Lockerung wird von den Verhandlungen der Koalitionspartner abhängig sein.
Einschließlich möglicher Kompromisse ist nach einer UBS-Analyse der Parteiprogramme jedoch absehbar, dass fiskalischen Impulse unter einer Ampel-Koalition etwas mehr als ein Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) betragen würden. Unter einer CDU/CSU geführten Jamaika-Koalition wären es wohl nur 0,7 bis 0,9 Prozent. In diesem Kontext gilt zu beachten, was mit der Schuldenbremse geschehen wird. Meiner Meinung nach wird sie, egal welche von den möglichen Regierungskoalitionen zustande kommt, nicht vor 2023 zurückkehren. Aber sie wird bestehen bleiben, denn eine Abschaffung würde eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erfordern. Dies erscheint unwahrscheinlich, weil die Union zusammen mit der FDP die nötige Sperrminorität aufbringen würde. Ein Teil dieser fiskalpolitischen Lockerung wird daher wohl vorgezogen – bis auf bestimmte Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz, die wahrscheinlich außerhalb der Schuldenbremse laufen werden.
Keine beschleunigte Integration auf europäischer Ebene
Was die Europapolitik angeht, wird Deutschland der EU weiterhin verschrieben bleiben, ungeachtet der zukünftigen Regierung. Dies sollte dem Euro zusätzliche Kredibilität verleihen. Eine stärkere Integration wird jedoch nur langsam voranschreiten. Ohne eine erneute Krise (in der Reformen in der Regel schnell voranschreiten) erwarte ich keine Dynamik in Bezug auf Eurobonds und rechne auch nicht damit, dass der EU-Wiederaufbaufonds zu einem dauerhaften Instrument wird.
Auswirkungen auf die Märkte
Die Koalitionsverhandlungen könnten sich noch hinziehen. Und um den notwendigen Kompromiss zu erreichen, dürften viele der außergewöhnlicheren Vorschläge der Parteien verwässert werden, was die Auswirkungen auf den Markt begrenzt. Die wichtigste Entwicklung sowohl unter einer Ampel- als auch einer Jamaika-Koalition für die Finanzmärkte wird ein stärkerer regulatorischer und fiskalpolitischer Fokus sein, Deutschland effizienter, grüner und digitaler zu machen. Am ehesten davon profitieren werden wohl Erzeuger erneuerbarer Energien, Automobilhersteller mit Fokus auf Elektrofahrzeuge, Halbleiterhersteller, Betreiber von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien und gewisse Industrieunternehmen.
In Bezug auf die Rentenmärkte glaube ich nicht, dass eine etwas lockerere Fiskalpolitik markante Auswirkungen auf Anleiherenditen haben wird. Das Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank wird dafür sorgen, dass das Angebot an Bundesanleihen relativ knapp bleibt. Sollte Deutschland grüne Anleihen ausgeben, um die Bekämpfung des Klimawandels zu finanzieren, dürfte die Nachfrage angesichts der steigenden Beliebtheit dieser Anlagekategorie noch weiter steigen.
Was den Euro angeht, dürfte sich jedes Szenario mit einer lockereren, wachstumsorientierteren Fiskalpolitik im Inland und einer stärkeren pro-europäischen Ausrichtung mit Kompromissbereitschaft in Bezug auf bestimmte EU-Fiskalregeln positiv auswirken. Eine Ampelkoalition könnte daher kurzfristig etwas positiver als eine Jamaikakoalition für den Euro sein. Grundsätzlich sollten jedoch Zinsunterschiede in den nächsten Monaten größeren Einfluss haben. Da die Europäische Zentralbank anderen Zentralbanken bei der Rücknahme der akkommodierenden Geldpolitik hinterherhinkt und die Zinsen in Europa wohl noch viele Jahre im Negativbereich bleiben werden, dürften Anleger ihr Augenmerk auf die USA, Großbritannien und die Währungen anderer Länder richten, deren Notenbanken sich früher auf dem Weg zur zaghaften Normalisierung der Geldpolitik befinden.
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