Das Jahr 2022 hat erhebliche Spuren an den Kapitalmärkten hinterlassen. Da ist zum einen die negative Performance in einer großen Breite von Assetklassen zu nennen, da ist zum anderen aber der Bruch mit seit Beginn des Jahrtausends gültigen Reaktionsmustern an den Märkten. Die Inflation ist nicht besiegt, sondern Haupttreiber der Märkte. Und die Notenbanken sind nicht „Masters of the Universe“. Die Korrelationen zwischen Aktien, Staats- und Unternehmensanleihen können sich offenkundig auch wieder so verändern, dass selbst über verschiedene Assetklassen gut gemischte Portfolien deutliche Verluste aufweisen. Hier konzentriere ich mich auf die Veränderung der (geo-)politischen Landschaft und die Wechselwirkungen mit der globalen Energieversorgung.
Rückblick: Die Weltwirtschaftsordnung der Nachkriegszeit wurde de facto 1944 in Bretton Woods gezimmert. Der Kalte Krieg ist in erster Linie unter militärischen und ideologischen Gesichtspunkten zu sehen, wirtschaftlich war die Bedeutung der Sowjetunion (und bis 1990 auch die Chinas) für die Welt untergeordnet. Mit dem Fall der Berliner Mauer, der Auflösung der Sowjetunion und der immer stärkeren Integration Chinas und der Nachfolgestaaten der Sowjetunion in die Weltwirtschaft schien der Weg zu einer immer stärker verflochtenen „einheitlichen“ Welt nicht mehr aufzuhalten.
Diese Entwicklung ist nun offenkundig beendet. Was jetzt kommen wird, ist ein Weg hin zu einem „New Normal“, der neuen Normalität, die auch den Rahmen für Kapitalmärkte setzt und sich erst noch bilden muss. Die Besetzung der Krim, die Entscheidung für den Brexit, die neue, eher alte Politik der chinesischen Führung unter XI Jinping, die kontinuierliche Nutzung auch extraterritorialer Wirtschaftssanktionen, all dies machte den Weg frei für eine Entwicklung, die wir nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gesehen haben. „Handel durch Wandel“, das Erfolgsrezept der Entspannungspolitik, hat ausgedient. Die Welt befindet sich auf der Suche nach einem neuen „New Normal“. Ökonomisch und für die Kapitalmärkte steht Russland nicht im Vordergrund, sondern die Frage, wie Energieversorgungssicherheit global zu erreichen ist, und wie sich die Beziehung der USA zu China entwickeln wird.
Beginnen wir mit Energie. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass die Position Russlands auf den Weltenergiemärkten vergleichbar mit der Saudi-Arabiens und der USA ist, wobei die USA im Wesentlichen für sich selbst produzieren. Sie hat auch gezeigt, dass der im Westen vorangetriebene Weg zur grünen Energie eher ein Marathon, denn ein Sprint ist, und Lieferausfälle von fossilen Energieträgern kurzfristig nicht zu kompensieren sind. Nachdem Energiesanktionen nun ein immer häufigeres Machtmittel der Politik zu werden scheinen, muss man sich klar machen, dass von den größeren Energieexporteuren viele nicht als „lupenreine Demokratien“ anzusehen sind, weder Saudi-Arabien noch Katar, die Emirate, Aserbeidschan etc. Energiesanktionen treffen in erster Linie die Europäer (die Asiaten haben sich einige Ausnahmeregelungen zusichern lassen und die Nordamerikaner sind selbst großer Produzent fossiler Brennstoffe). Zu erwarten ist daher, dass einer der globalen Trends, die zur Desinflation der Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer beigetragen haben, nämlich preisgünstige Energie, vorbei ist, und dass in einer längeren Übergangszeit die europäische Industrie, aber auch der europäische Verbraucher mit höheren Preisen konfrontiert sein wird, was stagflationäre Impulse auslöst und kein Positivum für die Kapitalmärkte ist.
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Der Elefant im Raum ist das Verhältnis der USA zu China. China als Konkurrent der USA hat etwas, was die Sowjetunion nie erreicht hat, nämlich eine wirtschaftliche Bedeutung, die es in dasselbe Bracket wie die USA und die EU stellt. Es zeigt sich nun, dass Trumps China-Politik kein Ausrutscher war, sondern dass trotz ihrer unversöhnlichen Beziehung Demokarten und Republikaner sich in der China-Frage einig sind: die Zäune werden hoch gefahren. Nicht zu Unrecht warnte die Direktorin des IWF, Kristalina Georgieva, jüngst vor einem zweiten Kalten Krieg: „The confrontation between the US and China leads to a split of the world economy into opposing blocs, which could lead to a new cold war“.
Schneller schlau: Diese Bilanzbegriffe sollten Sie kennen
HGB steht für Handelsgesetzbuch. Nach dessen Vorschriften müssen Unternehmen in Deutschland ihren Jahresabschluss vorlegen. Der Abschluss nach HGB ist für die auszuschüttenden Dividenden und die Steuerrechnung maßgeblich.
Die internationalen Rechnungslegungsstandards nach IFRS, nach denen große Kapitalgesellschaften ihre Konzernbilanz aufstellen müssen, orientieren sich eher an den amerikanischen Rechnungslegungsvorschriften nach US-GAAP. Die internationalen Regeln machen Konzernabschlüsse grundsätzlich besser vergleichbar, folgen aber anderen Grundsätzen, zum Beispiel bei der Bewertung von Unternehmenskäufen oder anderen Vermögenswerten.
Leider werden die IFRS-Regeln deutlich häufiger vom International Accounting Standards Board (IASB) geändert, als dies bei den HGB-Vorschriften im deutschen Rechtssystem der Fall ist.
Die in eine Unternehmung eingebrachten (investierten), auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesenen Vermögenswerte, vor allem Grundstücke, Gebäude, Maschinen und maschinelle Anlagen, Beteiligungen, Vorräte, Forderungen etc. Grundsätzlich sind die Unternehmen verpflichtet, entgeltlich erworbene Vermögenswerte zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu aktivieren. Der Wertminderung unterliegende Vermögensteile müssen während ihrer Nutzungsdauer abgeschrieben werden. Die Aktivseite informiert über die Mittelverwendung, also in welchen Werten das beschaffte Kapital investiert ist. Aus der Zusammensetzung der Aktivseite können – begrenzt – Schlüsse auf die Leistungsfähigkeit der Unternehmung gezogen werden, bei Gegenüberstellung zur Passivseite gegebenenfalls auch auf die Zahlungsbereitschaft.
Die auf der rechten Seite der Bilanz stehenden Bilanzpositionen, im Wesentlichen Eigenkapital und Verbindlichkeiten. Die Passivseite der Bilanz zeigt die Quellen, aus denen ein Unternehmen finanziert wird.
Die Umsatzrendite beschreibt das Verhältnis von Gewinn und Umsatz eines Unternehmens. Sie beschreibt, welchen Teil des Umsatzes das Unternehmen als Gewinn verbuchen kann. Der Gewinn eines Unternehmens ist jedoch Schwankungen unterworfen (z.B. Branchenabhängigkeit, Produktabhängigkeit), die eine genaue Bestimmung der Rentabilität erschweren können. Die Umsatzrendite eignet sich vor allem für unternehmensinterne Vergleiche. Sie gibt Aufschluss darüber, welche Rendite die verschiedenen Geschäftsbereiche eines Konzerns erwirtschaftet haben.
Der Bestand an Kapital einer Unternehmung kann aus zwei Quellen zugeführt worden sein: Vermögen der Eigentümer durch: Einzahlung der Unternehmer, Einbehaltung angefallener Gewinne, also Selbstfinanzierung; Vermögen Dritter. Eigenkapital in weitester Deutung sind sämtliche den Gläubigern einer Unternehmung haftenden Mittel, also auch z.B. das Privatvermögen eines voll haftenden Gesellschafters. In engerer Fassung wird unter Eigenkapital das bilanzielle Eigenkapital verstanden, das als Residualgröße aus den übrigen Positionen der Bilanz ermittelt werden kann, wodurch sich die Abhängigkeit des Kapitalausweises von den Bewertungen der Bilanzposten erklärt. Rechnerisch ergibt sich seine Höhe aus der Gleichung: Eigenkapital = Vermögen (Aktivseite der Bilanz) – Schulden – Einlageneinbehaltene Gewinne – Entnahmen – eingetretene Verluste
Die Eigenkapitalquote beschreibt die Beziehung zwischen Eigen- und Gesamtkapital. Dazu wird das auf der Passiva-Seite einer Bilanz ausgewiesene Kapital ins Verhältnis zur Bilanzsumme gesetzt. Je mehr Eigenkapital ein Unternehmen zur Verfügung hat, desto besser ist in der Regel die Bonität eines Unternehmens, desto höher ist die finanzielle Stabilität und desto unabhängiger ist das Unternehmen von Fremdkapitalgebern. Da Eigenkapital jedoch teurer ist als Fremdkapital belastet eine hohe Eigenkapitalquote die Rendite auf das eingesetzte Kapital.
Als Dividende bezeichnet man den Anteil am Gewinn, der je Aktie vom Unternehmen ausgeschüttet wird. Die Hauptversammlung beschließt nach dem Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat über die Höhe. Die Dividende ist immer vom Bilanzgewinn abhängig und kann daher schwanken oder auch ganz ausfallen, etwa wenn die Ertragslage schlecht ist. Sie kann sogar aus den Rücklagen finanziert werden, wenn die Unternehmensgewinne nicht ausreichen.
Die Equity-Methode kommt bei der Bilanzierung von Unternehmensbeteiligungen zum Einsatz, an denen der Konzern weniger als 50 Prozent der Anteile hält. Dabei wird der Umfang der Beteiligung am Eigenkapital der Beteiligungsgesellschaft als Grundlage genommen, um den bilanziellen Anteil an Vermögenswerten in der Konzernbilanz abzubilden. Die wesentliche Größe ist dabei der anteilige Anspruch auf den Gewinn, der dem Konzern aus der Beteiligung zusteht. 100-prozentige Tochterunternehmen sind in einer Konzernbilanz hingegen unsichtbar, weil sie in den regulären Bilanzposten enthalten sind.
Während nach HGB in vielen Fällen die Anschaffungskosten von Finanz- und Sachanlagen in die Bilanz einflossen, fordert die Bilanzierung nach IFRS vorrangig eine Bewertung, die sich an den Marktpreisen orientiert. Existiert für diese Vermögenswerte kein Markt, wird der Bar- oder Zeitwert einer Vermögensposition durch die abgezinsten, monetären Vorteile, die dem Konzern bis weit in die Zukunft daraus erwachsen, durch finanzmathematische Verfahren und aufgrund von Schätzungen im Finanzplan ermittelt. Diese Bewertung nach Fair Value soll ein realistischeres Bild von Vermögenswerten liefern, als die puren Anschaffungspreise.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Latente Steuern sind noch nicht entstandene Steuervor- und nachteile. Zumeist sind sie in nennenswerter Höhe unter den Aktiva einer Bilanz zu finden. Dabei handelt es sich überwiegend um sogenannte Verlustvorträge, die einer Steuerersparnis entsprechen. Macht ein Unternehmen Verlust, erwartet aber in Zukunft wieder Gewinne, können die bereits entstandenen Verluste die Steuerlast in den kommenden Jahren mindern. Die dann zu erwartende Steuerersparnis können Konzerne laut IFRS als Vermögenswert in der Bilanz ansetzen. Diese verbessern das Konzernergebnis, obwohl sie davon abhängen, dass ein Unternehmen den Weg in geplantem Umfang zurück in die Gewinnzone schafft. Passive latente Steuern sind entsprechend Steuerschulden, die erst in der Zukunft entstehen. Macht ein Konzern Verlust, bilanziert aber keine aktiven latenten Steuern, bedeutet das im Umkehrschluss, dass der Wirtschaftsprüfer nicht an einen Rückkehr in die Gewinnzone glaubt.
Im Zuge einer Unternehmenssanierung trennen sich Konzerne oftmals von ganzen Geschäftsbereichen. Um dem Leser einer Bilanz möglichst große Transparenz zu bieten, werden zum Verkauf stehende Geschäftsbereiche gesondert in der Bilanz aufgeführt. Damit wird die Bilanz um Unternehmensteile bereinigt, die in Zukunft wegfallen sollen. Gelingt der Verkauf jedoch nicht, kann das aber auch revidiert werden. Dann fließen die Bilanzgrößen der nicht fortgeführten Geschäftsbereiche zurück in die Bilanz.
Kapital- und Gewinnrücklage unterscheiden sich in der Art ihrer Entstehung. Die Gewinnrücklage speist sich aus den Jahresüberschüssen der Vorjahre und sind quasi das Sparschwein eines Unternehmens. Die Kapitalrücklage hingegen speist sich aus Einzahlungen der Gesellschafter. Insbesondere für Mittelständler sind Kapitalrücklagen ein Steuersparmodell für die Eigentümer. Wie eine Schenkung an das Unternehmen lassen sich Gelder in der Bilanz parken, auf Beschluss der Eigentümer und er Geschäftsführung jedoch auch wieder auflösen. Aktienrückkäufe, wie sie zur Kurspflege derzeit bei vielen Börsenunternehmen beliebt sind, speisen sich zumeist aus Gewinn- und Kapitalrücklagen. Werden sie aus dem Handel genommen, senken sie in Höhe ihres Nominalwertes das gezeichnete Kapital, dass unter den Passiva zum Eigenkapital des Konzerns zählt.
Hinter den sperrigen Begriffen verbirgt sich nichts anderes, als das flüssige Geld in der Unternehmenskasse. Hierzu zählen insbesondere die jederzeit verfügbaren liquiden Mittel auf Firmenkonten, aber auch andere Zahlungsmittel breiter Akzeptanz, zum Beispiel Goldmünzen, oder Wertpapiere.
Ein Wort, das hier an Bedeutung gewinnt, ist „Friend Shoring“. Janet Yellen, die US Finanzministerin, und Chrystia Freeland, die kanadische Außenministerin benutzten es wiederholt. Der Begriff Friend-Shoring impliziert, die Segnungen des Fortschrittes und der Arbeitsteilung der westlichen Welt nur auf befreundete, wertähnliche Länder zu konzentrieren. Allerdings ist der Begriff Friend-Shoring ein Euphemismus. In gewisser Weise erhebt er den Anspruch der Politik, das Ausmaß und Richtung der Diversifikation und des Handels bestimmen zu können. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass von der weltweiten Arbeitsteilung in der Vergangenheit nicht alle beteiligten Länder profitiert hätten. Es gab keinen Gnadenakt des Westens gegenüber China, sondern der Westen profitierte ebenfalls stark davon, günstige Güter rechtzeitig geliefert zu bekommen und mit China einen gigantischen Absatzmarkt zu erschließen.
Aber in der Rivalität der USA und Chinas ist Friend-Shoring nur ein Thema. Das zweite sind die immer umfangreicheren Technologiesanktionen der USA gegenüber China. Die Sanktionen vom Anfang Oktober diesen Jahres stellten eine neue Qualität dar und zeigten, dass die Biden-Administration entschlossen ist, sogenannte „Cutting Edge“ Chips von China fernzuhalten, um damit die Entwicklungsmöglichkeiten der chinesischen Industrie zu beschränken, und auch andere Länder mit der Androhung von „Secondary Sanctions“ zu zwingen, in diese Richtung zu gehen.
Der negative Flashpoint für die Märkte wäre sicherlich, wenn es zu einem Konflikt um Taiwan käme. Vor wenigen Wochen berichtete die Financial Times, die USA hätten ihre europäischen Verbündeten gewarnt, dass ein Konflikt über Taiwan einen großen ökonomischen Schock auslösen würde und es wurde ein möglicher globaler wirtschaftlicher Schaden von bis zu 2,5 Billionen US-Dollar in den Raum gestellt. Aus meiner Sicht ist das eine sehr konservative Zahl, je nach Entwicklung eines solchen Szenarios könnten die Effekte auch deutlich größer sein. Ohne Frage wäre ein Konflikt zwischen den USA und China über Taiwan ein potentieller Super-GAU für die Kapitalmärkte und würde die breit gestreuten Assetpreisverluste des Jahres 2022 nur noch potenzieren. Allerdings, da darf sich meines Erachtens keiner einer Illusion hingeben, würde ein Taiwan-Konflikt sowohl die USA als beteiligte Partei als auch die Europäer kollateral massiv schädigen.
Die Welt hat nach dem Fall der Berliner Mauer sehr vom Abbau der politischen Blöcke profitiert, allen voran die Kapitalmärkte. Das „New Normal“ dürfte sich zu einem Szenario entwickeln, in dem die politischen Risikoprämien steigen und die Investoren auch bei der Diversifikation der Assets immer die Frage beantworten müssen, ob die Verfügbarkeit der Assets über den gesamten Anlagehorizont mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf. Die höheren geopolitischen Unsicherheiten werden nach meiner Überzeugung die langfristigen Returns der Assets geringer ausfallen lassen.
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