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Wahlplakate in Italien: Ein Rechtsrutsch wäre eine Belastung für die europäischen Kapitalmärkte. Quelle: imago images

Wahlen in Italien: Europa steht vor einer Zäsur

Ende September wählen die Italiener ein neues Parlament. Bewahrheiten sich die derzeitigen Umfragen, kommt es zu einem historischen Rechtsrutsch. Angesichts explodierender Inflationsraten, restriktiver Geldpolitik und dem Krieg in der Ukraine wird die Bedeutung aktuell an den Märkten unterschätzt.

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Europa steht vor einer Zäsur. Zum ersten Mal dürfte in einem der vier großen Länder der Eurozone eine Gruppierung der „neuen Rechten“ die Regierung übernehmen. Dem Parteienbündnis aus den Brüdern Italiens („Fratelli d’Italia“), der Lega und Forza Italia wird derzeit ein klarer Wahlsieg vorhergesagt, auch weil das linke Lager zersplittert ist, in Sonderfällen wird sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit für dieses Bündnis für möglich gehalten.

Die Bedeutung eines solchen Wandels sollte nicht unterschätzt werden, eine Indikation hierfür kann auch die Anbindung an spezifische Fraktionen dieser Parteien im Europaparlament geben. Die einzige „traditionell konservative“ Partei unter den Dreien, die das Bündnis bilden, ist die Forza des ehemaligen Premier Silvio Berlusconi, die in der Historie die Nachfolge der Democratia Christiana antrat, im EU Parlament in der EPP Fraktion ist (zu der beispielsweise auch die CDU gehört), aber in dem Dreierbündnis die klar schwächste sein dürfte. Die beiden anderen sind eher Parteien der „Neuen Rechten“. Die Lega Matteo Salvinis, zeitweise Innenminister mit einer rigiden Flüchtlingspolitik, überholte schon in den vorangegangenen Wahlen die Forza und sitzt im Europaparlament mit der Rassemblement National von Marine Le Pen in einer Fraktion. Giorgia Melonis Fratelli d’Italia, erst 2012 gegründet in der Nachfolge der postfaschistischen Parteien Italiens, ist im Europaparlament derzeit beispielsweise in einer Gruppe mit der spanischen Rechtsaußenpartei VOX.

Werden die derzeitigen Meinungsumfragen bestätigt, kommt es zu einem historischen Einschnitt für Europa. Warum dominiert das Thema aber weder die Nachrichten in Europa, noch die Kapitalmärkte? Ganz einfach, weil wir derzeit eine Zusammenballung historischer Entwicklungen haben, die Italien in die zweite Reihe verbannt haben, zumindest temporär.

Die Spreads für italienische Anleihen gegenüber Bunds haben sich geweitet, aber das hätten sie wohl auch alleine wegen der hohen Inflation und der Rezessionssorgen getan. Die italienischen Wahlen werden aktuell überlagert durch die explodierende Inflation, die Unsicherheit darüber, wie groß die Gasknappheit im Winter wird (Italien ist hier wie Deutschland besonders betroffen), die Zeitenwende in der Notenbankpolitik und dem Krieg in der Ukraine, wie auch Sorgen vor potenziellen Konflikten im südchinesischen Meer oder im Persischen Golf. Denn, dass es Wahlen in Italien gibt, ist ja wirklich kein großes Ding. In 160 Jahren hatte man in Italien über 130 Regierungen, hätten die Wahlen im September nicht stattgefunden, hätten sie spätestens acht Monate später stattfinden müssen. Also, trotz des Abtritts, des insbesondere von den Finanzmärkten geschätzten, Mario Draghis als Ministerpräsident, sind italienische Wahlen an sich kein Schockereignis.

Neben der Überlagerung durch die internationalen Krisen gibt es aber weitere Gründe, warum die Märkte den Fokus derzeit nicht auf Italien legen. Da ist zum ersten das eher „zahme“ Auftreten gegenüber EU und Euro, da ist zum zweiten das Signal der Europäischen Zentralbank (EZB), mit dem „Transmission Protection Instrument (TPI)“ gegen Marktverwerfungen vorzugehen, und da ist zum dritten der ökonomisch/fiskalische Rahmen, der gegen eine Eskalation innerhalb der EU spricht.
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Gehen wir der Reihe nach durch. Zunächst das Auftreten. Keiner aus der wahrscheinlich siegreichen Koalition macht Wahlkampf für einen Austritt aus der EU, eine Aufgabe des Euro oder vergleichbare „Kamikaze-Aktionen“. Gerade die Fratelli haben ihre Anti-EU Statements weitgehend eingemottet, Parteiführerin Meloni spricht eher von einem überzeugenderen Vertreten italienischer Interessen. Melonis Aussage zum Wahlkampfbeginn, Italiens Finanzen wären bei ihr in sicheren Händen, die gestreuten Gerüchte, sie hätte bei Draghi wegen Empfehlungen von Unabhängigen für das Amt des Finanzministers angefragt, all das soll den Eindruck von Bürgerlichkeit vermitteln.

Mit dem neuen geldpolitischen Instrument TPI hat sich die EZB in den Augen der Märkte zudem eine Möglichkeit geschaffen, bei zu starken Schwankungen der italienischen Zinsen gegenzusteuern. Das Instrument soll dem Namen nach die Transmission geldpolitischer Impulse sicherstellen, ist aber in den Ausgestaltungen so vage formuliert, dass von den Märkten doch als sehr starkes diskretionäres Instrument angesehen wird.

Zum dritten spricht jede ökonomische Vernunft gegen Abenteuer. Italien erwartet weiterhin hohe Milliardenbeträge aus dem EU Recovery Fund, das Beispiel Großbritannien ist derzeit keine Erfolgsgeschichte, die Inflation ist hoch, die europäische Solidarität wird von Italien gebraucht. Zwar gibt es jede Menge an Ideen für neue Staatsausgaben und Steuersenkungen, aber das gilt für ganz Europa. Auch im italienischen Wahlkampf unterscheidet sich das Rechtsbündnis eher darin, wer in den Genuss der Wohltaten einer expansiven Fiskalpolitik kommen soll, als dass die Konkurrenten für eine seriösere Finanzpolitik ständen.

Was bedeutet das für die Märkte – ein Non-Event? Keinesfalls. Es ist nur kein Katastrophenevent, weil auch bei einem Sieg der Rechtskoalition aus meiner Sicht jetzt kein EU- oder Euro-Austritt oder die Einleitung eines solchen zu erwarten wäre. Damit haben Märkte weniger die Sorge vor einem Schock, und in der Regierungsarbeit unbeschriebene Blätter wie Meloni können ja auch in beide Richtungen überraschen. Warum sind die Spreads an den Märkten dann deutlich gestiegen? Weil einfach die Unsicherheit extrem hoch ist und zwar die Unsicherheit in einer global kritischen Situation, in der Teile Europas in eine Rezession bei gleichzeitig sehr hohen Inflationsraten steuern.

Der scheidende Ministerpräsident Draghi hat allgemein seine Nachfolger vor einer euroskeptischen und protektionistischen Politik gewarnt, das war sicher auch eine Warnung an die Märkte, die Wahlen nicht zu leicht zu nehmen. Denn in Summe kann man sagen: Kommt es, wie von den Meinungsumfragen erwartet, würde ich jetzt keinen Schock für die Märkte erwarten, aber eine länger andauernde Phase von hoher Volatilität für italienische Assets und neue Herausforderungen für die EZB. Also: Kein Einmalschock, Italien wird zunächst in der zweiten Reihe der Sorgen der Finanzmärkte bleiben, aber keinesfalls ein Ereignis, das auf die leichte Schulter zu nehmen ist und dessen Auswirkungen für die Finanzmärkte nach kurzer Zeit vergessen werden können.

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Denn wenn die Neue Rechte in einem EU Land regierungsfähig wird, warum nicht in einem anderen? Braucht man die eher moderatere Forza überhaupt noch, oder gibt es vielleicht eine Mehrheit für Lega und Fratelli? Was passiert, wenn die EZB eine seriösere Haushaltpolitik für den Einsatz von TPI fordert? Und wie entwickelt es sich weiter, wenn die EU Recovery Fonds ausgeschöpft sind? Unsicherheit und Volatilität scheinen damit für einen längeren Zeitraum garantiert.

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