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Was eine Präsidentschaft von Joe Biden für Anleger bedeutet

Mark Haefele Quelle: PR
Mark Haefele Global Chief Investment Officer, UBS Global Wealth Management Zur Kolumnen-Übersicht: Geldanlage global

Der neue US-Präsident und die Aussicht auf einen bald zugelassenen Corona-Impfstoff sorgen für gute Laune an der Börse. Wie lange hält diese Euphorie und kann man jetzt noch einsteigen?

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Die US-Wahl ist gelaufen. Joe Biden bereitet sich auf seine Präsidentschaft vor. Die Märkte hatten in der Vorwoche bereits begonnen, den Sieg des Präsidentschaftsbewerbers der Demokraten als wahrscheinlichstes Ergebnis vorwegzunehmen. Die Aussicht, dass er es mit einem geteilten Kongress zu tun bekommen dürfte sowie positive Nachrichten bezüglich eines möglichen Corona-Impfstoffes trugen zuletzt zu einem deutlichen Anstieg der Aktienkurse bei.

Dieser Übergang zum nächsten Präsidenten weist zumindest zwei untypische Aspekte auf. Erstens hat Präsident Donald Trump – seit mehr als einem Vierteljahrhundert der erste Amtsinhaber, der nicht wiedergewählt wurde – die Wahlniederlage nicht gleich eingestanden und auch zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung noch keine Bereitschaft dazu gezeigt. Zweitens steht das Machtverhältnis zwischen Republikanern und Demokraten in der legislativen Kammer noch nicht fest, da die beiden Senatssitze für Georgia im Januar in einer Stichwahl entschieden werden müssen.

In Bezug auf den ersten Aspekt werden einige Stimmen zwar nochmals nachgezählt und Präsident Trump hat zahlreiche Gerichtsverfahren angestrengt. Angesichts der Stimmenmehrheit zugunsten Bidens bestehen jedoch kaum Zweifel am Endergebnis. In meinem Basisszenario gehe ich von einer friedlichen Amtsübergabe an den nächsten Präsidenten aus. Dies wird ein wichtiger Markttreiber sein, auch wenn wir aus der Vergangenheit schließen können, dass Präsident Trump mit seinen Tweets weiter für Schlagzeilen sorgen wird. Die Auswirkungen auf die Märkte dürften auf jeden Fall begrenzt sein. Obwohl während der Wahlwoche und am Wahlabend mehrere Ergebnisse möglich waren, haben sich die Märkte insgesamt offenbar in jedem Szenario gut entwickelt.

Im Hinblick auf den zweiten Punkt ist es meiner Meinung nach am wahrscheinlichsten, dass die Republikaner den Senat mit einer Mehrheit von einer oder zwei Stimmen kontrollieren werden. Meines Erachtens nehmen die Märkte dies derzeit vorweg. Sollten die Demokraten beide Sitze für Georgia gewinnen, wäre der Senat im Verhältnis 50:50 gespalten. Der Vizepräsident kann zwar in einer Pattsituation die entscheidende Stimme abgeben. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Demokraten versuchen würden, auf diese Weise wesentliche Gesetze durchzudrücken. Dies wäre politisch höchst unpopulär und mit der Gefahr verbunden, dass die Demokraten bei den Zwischenwahlen 2022 Sitze im Repräsentantenhaus und im Senat verlieren. Daher werden die Märkte meines Erachtens weiterhin eine geteilte Regierung eskomptieren. Im positiven Szenario könnten die Staatsausgaben bei einem gespaltenen Senat möglicherweise höher ausfallen.

Insgesamt halte ich an meiner risikofreundlichen Ausrichtung fest. Es ist davon auszugehen, dass die Wahl gelaufen ist und sich der Marktfokus jetzt auf die mittelfristigen Treiber des Wirtschaftswachstums richten wird. Dazu zählen unter anderem Covid-19, Impfstoff-Entwicklungen sowie geld- und fiskalpolitische Impulse. Das deutsche Unternehmen BioNTech und dessen US-Kooperationspartner Pfizer gaben am Montag bekanntgegeben, dass ihr Impfstoff in einer Phase-3-Studie eine Wirksamkeit von 90 Prozent gezeigt habe. Bei der Studie kam es zu keinen ernstzunehmenden negativen Ereignissen. Damit wäre der Weg frei, um später in diesem Monat oder Anfang Dezember eine Notzulassung in den USA zu beantragen. Diese ersten Meldungen sind eindeutig positiv und die gemeldete Wirksamkeit scheint die Markterwartungen zu übertreffen.


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Ich bin optimistisch, dass in den kommenden Monaten ein Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen wird und rechne mit der Markteinführung im 1. Halbjahr 2021. Außerdem erwarte ich, dass die Aktienmärkte weiter durch geld- und fiskalpolitische Impulse unterstützt werden. Der Kursanstieg in der letzten Woche hat bereits zu höheren Bewertungen geführt, vor allem in den USA. Meiner Meinung nach dürfte die nächste Etappe der Aufwärtsbewegung jedoch von konjunktursensibleren Marktbereichen angetrieben werden, zum Beispiel von Mid Caps, Industriewerten und anderen ausgewählten Zyklikern, die gegenüber langfristigen Wachstumsunternehmen aufholen.

Der Kursrückgang bei Aktien in den Bereichen erneuerbare Energien, Smart Mobility und Energieeffizienz in der letzten Woche bietet die Möglichkeit, nachhaltige Anlagechancen zu nutzen. Joe Biden dürfte hinsichtlich der Beziehungen zwischen den USA und China einen vorhersehbareren und pragmatischeren Kurs verfolgen. Ich rechne jedoch mit einer anhaltenden Spaltung der Technologiewelt, was für eine Diversifikation im Technologiesektor spricht. Der Rückgang der US-Anleihezinsen nach der Wahl dürfte weitgehend abgeschlossen sein, aber ich gehe von weiterer Dollar-Schwäche aus.



Für Risikoanlagen wird das Ergebnis insgesamt positiv sein. Die Konjunkturprogramme dürften im Falle eines geteilten Kongresses einen geringeren Umfang haben, als dies bei einem deutlichen Wahlsieg der Demokraten auch bei den Senats- und im Repräsentantenhauswahlen der Fall gewesen wäre. Es ist aber bald mit weiterer Unterstützung der US- und Weltwirtschaft zu rechnen. Die Umsetzung von weniger marktfreundlichen Vorschlägen der Demokraten wie Steuererhöhungen erscheint nun unwahrscheinlicher. Jetzt, da die Wahl vorbei ist, können sich die Märkte wieder auf andere unterstützende Faktoren konzentrieren. Dazu zählen unter anderem die Aussichten auf einen Impfstoff gegen Covid-19, die jüngst starken Unternehmensgewinne und die anhaltenden Impulse seitens der Zentralbanken.

Mehr zum Thema: Joe Biden hat gewonnen. Auf diese fünf Punkte sollten Anleger jetzt achten.

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