In meinem letzten Beitrag hatte ich mich auf die akuten Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Konjunktur- und Kapitalmärkte konzentriert. Heute will ich mich mit den Konsequenzen beschäftigen, die weit über die Dauer dieses Konfliktes hinaus die Kapitalmärkte und die Kapitalmarktanleger beschäftigen werden. Denn selbst wenn ein Wunder geschähe, dieser furchtbare Krieg morgen vorbei wäre und die Sanktionen zurückgenommen werden würden, einige Effekte auf die Märkte sind angestoßen und werden sich, zwar sehr langsam, aber dafür kontinuierlich weiterentwickeln.
Wechselwirkungen zwischen kriegerischen Auseinandersetzungen und dem globalen Finanzsystem haben eine lange Historie. Das Währungssystem von Bretton Woods wurde gegen Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffen, es wurde als Folge der Kosten eines weiteren Krieges, des Vietnamkrieges, aufgegeben. Der Krieg in der Ukraine hat durchaus das Potential, langfristig einen vergleichbaren Einschnitt im Weltfinanzsystem darzustellen.
Ich werde mich hier auf zunächst drei Themenkomplexe konzentrieren: Erstens, die Rolle des Buchgeldes in der Zeit nach Bretton Woods, zweitens, die des US-Dollars als Weltreservewährung und der dollarzentrischen Zahlungssysteme und, drittens, die Neuinterpretation der Begriffe Risiko und Diversifikation, die aus meiner Sicht für die Asset Allokation erforderlich sein wird.
Das Buchgeldsystem, das sich nach dem Zusammenbruch von Bretton Woods etabliert hatte, mit dem US-Dollar als Leitwährung für Währungsreserven, hatte für die entwickelte Welt eine Reihe von Vorteilen. Das System ermöglichte westlichen Notenbanken ein relativ einfaches Gegensteuern in konjunkturellen Krisen über nahezu unbegrenzte monetäre Impulse. Zudem wurden die Exportüberschüsse rohstoffexportierender Nationen oftmals in Devisenreserven recycelt, was zu Nachfrage nach westlichen Kapitalanlagen, in erster Linie Staatsanleihen, führte, und zu einem Umfeld mit niedrigen Zinsen beitrug.
Geld werden in der ökonomischen Theorie drei Funktionen zugemessen: Recheneinheit, Transaktionsmittel und Wertaufbewahrung. Die Währungen der westlichen Welt erfüllten diese Voraussetzungen, wenn auch die Notenbankpolitik nach der Lehman-Krise die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes, zumindest auf realer Basis, verminderte. Schließlich waren doch die Zinsen für Cash sehr niedrig oder sogar negativ und konnten insofern kaum einen Inflationsausgleich liefern. Die akademische Diskussion, unter anderem vorangetrieben durch Kenneth Rogoff, über eine Abschaffung des Bargeldes, um noch ausgeprägtere Negativzinsen als Konjunkturstimulus durchsetzen zu können, trug zusätzlich dazu bei, die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes zu hinterfragen und, zum Beispiel im Bereich der Kryptowährungen, nach Alternativen zu suchen.
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Einige Sanktionen, die in der Folge der russischen Invasion der Ukraine verhängt wurden, haben aber die gelebten Regeln des Buchgeldsystem verändert:
- Für manche Finanzmarktakteure, staatlich aber auch staatsnah, kann über Nacht die Transaktionsfunktion des Geldes beendet werden, indem sie vom gängigen Zahlungssystem abgekoppelt werden.
- Länder mit hohen Währungsreserven oder (staatsnahe) Unternehmen mit gesunder Bilanz können prinzipiell dennoch bankrottgehen, wenn ihr Zugriff auf ihre Währungsreserven beziehungsweise Konten blockiert wird und/oder kein Zugriff auf das gängige Zahlungssystem möglich ist, um Zahlungen auch dem Empfänger zukommen zu lassen.
- Sehr liquide Assets können über Nacht de facto illiquide werden.
- Bankenrisiken in potentiell betroffenen Ländern müssen neu gewichtet werden.
Was dürften hier die Folgen sein? Ein Teil der weltweiten Anleger dürfte weniger bereit sein, einen Renditeabschlag für Liquidität zu akzeptieren, wenn als liquide gesehene Anlagen über Nacht illiquide werden können, was per Saldo zinssteigernd wirken sollte. Die Expansion globaler Banken und Versicherungen dürfte limitiert, umgekehrt nationale Anforderungen an die Töchter globaler Banken und Versicherungen verschärft werden. Zudem dürften die mit dem globalen Buchgeldsystem verbundenen Themen Weltreservewährung und Zahlungssystem in den Fokus kommen.
Betrachten wir nun diesen Komplex. Das Aufbauen großer Währungsreserven dürfte in einigen Ländern, die autokratische Systeme oder einen hohen Staatsektor haben, kritisch hinterfragt werden, zumindest die ausschließliche Fokussierung auf US-Dollar-Reserven. Ich denke da zum Beispiel an China oder Länder am Persischen Golf. Eine stärkere Diversifikation der Währungsreserven sollte eine mögliche Reaktion sein, das Liebäugeln der Saudis mit einer Yuan-Fakturierung ihrer Ölexporte nach China ist hier sicher ein Hinweis, genauso wie die Zurückhaltung der OPEC-Länder, ihre Ölförderung signifikant zu erhöhen. Auch der Verzicht auf beliebig hohe Überschüsse dürfte Teil einer Reaktionsfunktion sein, denn wozu Überschüsse produzieren, wenn man sie nicht verausgaben kann und sie nicht sicher sind. Das wird, isoliert gesehen, zu einem zusätzlichen Inflationsimpuls führen.
Auch die Suche nach und die Verwendung von alternativen Zahlungssystemen dürfte zunehmen, insbesondere der Drang, etablierte Währungen durch Kryptowährungen zu ergänzen, sobald rechtliche, technologische und sicherheitstechnische Fragen gelöst sind. Damit sollten Zahlungssysteme und Währungsreserven diverser und fragmentierter werden, die Prozesse weniger effizient und auch hieraus könnte ein Inflationsimpuls entstehen.
Last but not least das Thema der Wertung von Risiko und Diversifikation. Dass bei Staatsrisiken in Zukunft die Frage hochgehoben werden muss, ob ein Einfrieren der Währungsreserven oder Abklemmen vom Zahlungssystem möglich ist, ist das eine. Hier dürfte die Stunde der Social- und Governance-Komponenten von ESG schlagen. Gute Scores in diesen Bereichen sollten ein Indikator für geringeres Risiko in diesem Segment sein.
Umgekehrt wird aber durch den Krieg in der Ukraine auch deutlich, wie anfällig das internationale System der Arbeitsteilung, ausgerichtet auf höchste Effizienz, aber eben nicht auf Unterbrechungen, ist. Die Wahl der Zulieferer von Waren, aber auch von Rohstoffen aller Art, wird in Zukunft verstärkt auch unter dem Aspekt des Konzentrationsrisikos gesehen werden. Länder und Unternehmen, die zu einseitig ausgerichtet sind, dürften mit einem Risikoaufschlag belegt werden. Auch von dieser Seite her geht der Impuls in Richtung weniger Effizienz und höherer Inflation.
Das Weltfinanzsystem wird sich nicht über Nacht ändern. Die beschriebenen Auswirkungen dürften nur sehr, sehr langsam kommen. Sie werden aber das Weltfinanzsystem nachhaltig verändern, hin zu einer größeren Fragmentierung der Zahlungssysteme, hin zu einer Neudefinition von Währungsreserven, hin zu diversifizierteren Güterströmen und einer geringeren Prämie für Liquidität von Assets. Was werden also die langfristigen Veränderungen im Weltfinanzsystem sein? Die Zweifel am Buchgeld dürften wachsen. Die Inflation dürfte zunehmen und die Zinsen steigen.
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