Was werfen Sie ihm vor?
Fast ohne Anlass – das wäre eine tiefe Wirtschaftskrise gewesen – hat Greenspan in seiner gesamten Amtszeit bei jedem „Problem“ die Zinsen gesenkt, besonders massiv ab 2001. Noch schwerer aber wiegt, dass er sie nicht wieder anhob, nachdem die US-Wirtschaft ihre Mini-Delle hinter sich gelassen hatte. Er wollte damit den Aktienmarkt befeuern und den Immobilienboom. Das Ziel war sozial-, nicht geldpolitisch: Der Wohlstand der Mittelschicht sollte erhalten bleiben, weil wegen der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit des Westens keine realen Lohnerhöhungen mehr drin waren. Das gelang ihm – bis es dann richtig krachte. Andere Notenbanken mussten wegen der Dollarflut nachziehen, wenn sie nicht wollen, dass der US-Dollar gegenüber ihren eigenen Währungen maßlos abwertet. Seitdem sind wir wie Junkies: In jeder neuen Krise brauchen wir eine neue Gelddosis, die größer ist als die jeweils letzte.
Und seit Ausbruch der Krise wird noch mehr Geld gedruckt.
Und wie! Nach Logik der Notenbanken ist das auch folgerichtig: Um die Welt kurzfristig vor dem Schlimmsten zu bewahren, werden noch mehr neue Schulden gemacht. Dabei lässt die Wirkung schon nach: Jedes neue Anleihekaufprogramm wirkt kürzer und schwächer als das davor. Die nachlassende Wirkung der Schuldenmacherei auf die Realwirtschaft ist erschreckend: In den 1960ern führte jeder Dollar neuer Schulden noch zu 60 Cent mehr Wirtschaftswachstum; heute sind es nur noch 10 Cent. Das heißt für 10 Cent mehr Wirtschaftswachstum geben wir einen Dollar aus – da ist der Konkurs nicht mehr weit. Statt das zunehmend wirkungslose Medikament abzusetzen, erhöhen die Notenbanken die Dosis. Das wird nicht mehr lange gut gehen. Wir sind an dem Punkt, wo wir nicht mehr weiter Schuldenmachen können.
Die EZB hat klar gemacht, dass sie Schuldpapiere zur Not unbegrenzt aufkaufen. Die Pleitegefahr ist damit erst mal gebannt; die Renditen der Krisenländer-Staatsanleihen sinken und signalisieren Entspannung.
Genau. Wir schaffen ein Schlaraffenland für Schuldner: Der Zins geht auf Null und tilgen muss man auch nicht mehr. Die Folge sind Zombieunternehmen, die eigentlich insolvent sind, aber dennoch weiter existieren. Die Banken können die Abschreibung nicht verkraften, also genügt es, wenn die Schuldner noch ein wenig Zinsen bezahlen. In ganz Südeuropa ist das der Fall. Auf die Spitze getrieben hat es Irland, wo die Notenbank direkt dem Staat 30 Milliarden Euro – immerhin 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – praktisch zins- und tilgungsfrei geliehen hat, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Da ist Weimar nicht mehr weit. Das wird aber auf Dauer nicht funktionieren. Platt formuliert: Wenn Geld nichts mehr kostet, ist es irgendwann auch nichts mehr wert. Ewig stehen blieben Schulden deswegen noch nie. Nicht in Babylon, nicht in Rom, nicht bei Napoleon. Historisch wurden sie entweder gestrichen, wie schon in der Bibel beschrieben oder weginflationiert, die seit dem 1. Weltkrieg übliche Methode. Ein Herauswachsen aus den Schulden gelang nur selten. In England nach den napoleonischen Kriegen gelang das zwar – aber es dauerte 100 Jahre.
Warum sind die Schulden so gefährlich?
Schulden sind nicht per se schlecht. In Maßen sind sie sogar gut: Wenn Sie eine Hypothek aufnehmen, werden Sie danach vermutlich fleißiger arbeiten, um Zins und Tilgung zu bezahlen. Sie schaffen also mehr Einkommen und sparen an anderer Stelle. Schulden wirken – in vernünftigen Dimensionen – im Kapitalismus wie ein Turbo. Es sind nur insgesamt viel zu viele Schulden geworden. Wenn wir sie nicht systematisch kappen, verlieren wir die Kontrolle und das Problem löst sich von selbst, dann in einem unkontrollierbaren Prozess.