Geldanlage Warum wir das Sparbuch jeder Rendite vorziehen

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Inflation und die Sehnsucht nach Ultrastabilität

Der Kapitalismus war längst heimisch geworden im Kaiserreich. Deutschland hatte aufgeschlossen zu den führenden Industrienationen der Welt. Die deutschen Eliten verstanden sich als Fortschrittsgeister und Modernisierungsfreunde, sie waren staatsfromm und glaubten, dass es vorwärts ging, immer vorwärts: Optimismus aus Pflicht. Lebensstilprägend und normsetzend freilich wurde das Bildungsbürgertum: Professoren und Künstler, die nach kulturellem Kapital strebten und einen Bogen um die Börse machten. Sie hatten nichts gegen Reichtum, fürwahr nicht – Honoratioren hielten Hof, Künstlerfürsten kauften schicke Villen –, doch der Kapitalismus als Lebensform, die fröhliche Jagd nach Geld und materiellem Gewinn, kam für das Bildungsbürgertum schon aufgrund seines kulturellen Überlegenheitsgefühls nicht infrage.

So sparen die Deutschen
65 Prozent aller Westdeutschen sparen regelmäßig, im Osten sind es dagegen nur 56 Prozent Quelle: dpa
56 Prozent aller alleinstehenden Deutschen sparen regelmäßig Quelle: dpa
Die finanzielle Bildung hängt offenbar nicht mit der schulischen Bildung zusammen Quelle: dpa
Die Sparsituation hängt in Deutschland stark von der beruflichen Situation ab Quelle: dpa
Wer mehr verdient, der spart auch mehr Quelle: dpa
Wo wird fleißiger gespart: In Großstädten oder auf dem Land? Quelle: dpa/dpaweb
Bei den Bundesländern ist Bayern das Land der Sparer Quelle: dpa

Nach dem verlorenen Weltkrieg stürzte diese „Welt von Gestern“ (Stefan Zweig) ins Bodenlose. Die Kriegsanleihen erwiesen sich schnell als eine der schwersten Hypotheken der Weimarer Republik. Die Reichsschuld hatte sich bereits bis 1918 auf 160 Milliarden Mark verdreißigfacht. Die politisch gewollte Inflation wirkte zunächst wie eine begrenzbare Geldaufblähung, nahm jedoch langsam Geschwindigkeit auf, ging nach dem Vertrauensverlust ausländischer Investoren im August 1922 in eine galoppierende Geldentwertung über – und vernichtete bis zur Einführung der Rentenmark im Dezember 1923 die über den Krieg geretteten Sparvermögen der Deutschen.

Bis heute ist die Geldentwertung als „Inflationstrauma“ in den Affektspeichern der Deutschen tief verankert. Zum einen, weil die Politik aus Angst vor einer Wiederholung in der Weltwirtschaftskrise seit 1929 auf eine aktive Konjunkturpolitik verzichtete, die den Aufstieg der Nationalsozialisten zweifellos erschwert hätte. Und zum anderen, weil das Trauma nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine abermalige Inflation und Währungsreform bestätigt wurde. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler diagnostizierte für die Zeit nach dem „Zweiten Dreißigjährigen Krieg“ von 1914 bis 1945 ein „hochempfindliches Sicherheitsbedürfnis der Deutschen“, das in die „Sehnsucht nach (und den Genuss von) Ultrastabilität mündete“.

Das gilt nicht zuletzt für die Generation der zwischen 1922 und 1934 Geborenen, die in ihrer Jugend Not und Unsicherheit am eigenen Leib erfahren hatte. Sie lernte die Sicherheit einer stabilen D-Mark, des Sparbuchs, des Bausparvertrags und des Bundesschatzbriefs lieben – und hielt das Geld zusammen. Seither ist das Sparen in Deutschland nicht mehr nur eine ökonomische Zweckmäßigkeit, sondern auch moralische Tugend.

Doch warum lernte auch die Folgegeneration, das fleißig gefütterte Sparschwein am Weltspartag – eingeführt 1924, am Ende der Inflationsjahre – zur Sparkasse zu bringen? Warum hielten die Deutschen in den „Wirtschaftswunder“-Jahren nicht auch nach anderen, attraktiveren Anlageformen Ausschau? Hatte nicht die Hyperinflation 1923 gelehrt, dass sich eine Geldentwertung vor allem durch Sparstrümpfe frisst und dass ausgerechnet die scheinbar sichersten Papiere – festverzinsliche Staatsanleihen – die schlechteste Versicherung gegen Krisen sind?

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