Geldanlage Warum wir das Sparbuch jeder Rendite vorziehen

Seite 2/6

Unbehagen an Geldgeschäften

Tatsächlich stellt sich die Lage heute höchst ambivalent dar. Einerseits haben die meisten Deutschen von der welthistorisch einmaligen Explosion der Unternehmenswerte in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht profitiert. Andererseits lagen in den vergangenen vier Jahrzehnten nie bessere Gründe zur Börsenpassivität vor als heute. Die Märkte sind vollgepumpt mit dem Adrenalin des billigen Schuldengeldes, sie laufen heiß, sie sprengen alle realwirtschaftlichen Grenzen, pulsen permanent im Grenzbereich – und können jederzeit kollabieren.

Gewiss, nach einer Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) ist die Zahl der Anteilseigner in Deutschland im vergangenen Jahr „erneut um 500.000 gesunken“. Doch das muss „für die Vermögensentwicklung der Deutschen“ gewiss nicht „fatal“ sein, wie das DAI urteilt, im Gegenteil: Vielleicht hat sich ein Stück „Aktienkultur“ im besten Sinne des Wortes längst breitgemacht in Deutschland. Erstmals seit 1999 steigen die Deutschen nicht prozyklisch (also zu spät) in einen heißen Markt ein, sondern nehmen seine erwartbare Abkühlung vorweg. Vielleicht haben die Deutschen am Ende gar – sei es nun aus Desinteresse, aus Solidität oder Vorsicht – ein besonders gesundes Verhältnis zum Geld? Jedenfalls ist es irreführend, aus ihrer Ignoranz gegenüber dem Börsengeschehen eine generelle Skepsis, ja einen Antiaffekt wider den Kapitalismus herauslesen zu wollen. Oder etwa doch?

„In Amerika geht einer zufrieden ins Bett, wenn er viel Geld verdient hat, und dankt dem lieben Gott.“ Die Deutschen hingegen, so hat es der Schriftsteller und Unternehmer Ernst-Wilhelm Händler einmal bemerkt, waren „noch nie bekannt dafür, dass sie Geld verdienen wollten“. Händler deutet den Affekt der Deutschen gegen das Geld als „unser romantisches Erbe“. Und tatsächlich gehört das Unbehagen an Geldgeschäften zum festen Repertoire der deutschen Kulturkritik, angefangen vom „Hans im Glück“, einem miserablen Händler, dessen Geschäftspraktiken den Äquivalenten-Tausch förmlich parodieren, bis hin zu der hässlichen Unterscheidung von deutscher „Kultur“ und angloamerikanischem „Krämergeist“ am Vorabend des Ersten Weltkrieges.

Indes, es gab auch deutsche Dichter und Denker, die beides im Blick hatten: die anrüchigen und faszinierenden Seiten des Geldes. Die Tiraden des jesuitischen Kommunisten Naphta in Thomas Manns „Zauberberg“ etwa, in denen die „Gräuel des modernen Spekulantentums“ angeprangert werden, lassen sich auch als dichterische Verteidigung des ehrbaren Kaufmanns Thomas Buddenbrook lesen: Hier wird gleichsam ex ante das Sparen gegen das Spekulieren, die soziale Marktwirtschaft gegen den Finanzkapitalismus verteidigt.

Top 15 Investoren im Dax

Vielleicht lässt sich das widersprüchliche Ineinander von Wirtschaftswachstum und Erfindergeist, von Technikbegeisterung und Ingenieurstolz, von Börseneuphorie und Kulturkritik im Deutschland der Gründerzeit in den Begriffen „Entgrenzung“ und „Eindämmung“ fassen: Die Deutschen hatten nichts gegen Geld; ihnen war bloß die Totalität seiner Macht nicht geheuer; sie fürchteten, dass Geld, einmal übermächtig geworden, ihnen die Seele raubt. Von nichts anderem erzählt Richard Wagner in seiner Operntetralogie „Der Ring des Nibelungen“: Eine bürgerliche Gesellschaft, die den Gelderwerb zur Religion erhebt, hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen...

Und doch hat die Fundamentalkritik „bourgeoiser Geldmacht“ Wagner nicht davon abgehalten, für das Festspielhaus „Patronatsscheine“, sprich Aktien, auszugeben, die den Besitzern Plätze für die Festspielaufführungen sicherten. Der Antikapitalist war nicht nur ein notorischer Schnorrer, sondern auch, wie so viele seiner Landsleute damals, ein guter Geschäftsmann.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%