Seit den Arbeiten des US-Ökonomen und Nobelpreisträgers Harry Markowitz in den 1950er-Jahren ist die Physik das Vorbild der Finanzwissenschaft. Das Handeln an der Börse wurde mathematisch modelliert, so als gäbe es dort keine Unvernunft. Märkte galten als weitestgehend effizient.
Als Risikomaß zog die Theorie die Schwankungsintensität eines Wertpapiers heran – und brachte etwa das Risikomaß des „Value at risk“ hervor, dass die Wahrscheinlichkeit von Kursschwankungen in eine Zahl goss. Die Lehrstühle wurden und werden bevölkert von Finanzwissenschaftlern, die derartiges gelernt und gelehrt haben. Bei den meisten Praktikern gelten die althergebrachten Modelle heute als überholt. Neue und fortschrittliche Ansätze lassen jedoch auf sich warten.
Messen lassen sich nur die Volatilitäten der Vergangenheit
Die Rezession der Jahre 2008/2009 förderte noch weitere Mängel zutage. So wurde endgültig klar, dass ein großer Teil des Finanzsystems eben nicht auf der Grundlage gleicher öffentlicher Informationen funktioniert. Im Gegenteil: Ein guter Teil der Investmentbanken war mit der Verschleierung von Informationen beschäftigt.
Eine weitere Erkenntnis lautete, dass die Risikoprämie von Aktien gegenüber Anleihen keineswegs zu höheren langfristigen Renditen führen muss. Im März 2009 – als der US-Index Dow Jones einen neuen Tiefpunkt marktierte - konnte man beispielsweise feststellen, dass es über einen 40-Jahres-Zeitraum besser gewesen wäre, in US-Staatsanleihen zu investieren als in Aktien.
Letztendlich hatte die Finanzwissenschaft einen wenig zukunftsträchtigen Risikobegriff entwickelt. In der Theorie ist Risiko gleichbedeutend mit Volatilität – ein Begriff, der sich mathematisch erfassen und damit in ein Theoriegebäude einpassen lässt. Mit Volatilität hat Risiko in der Praxis jedoch wenig zu tun.
Es waren gerade die auf eine geringe Volatilität hin konstruierten Strukturen wie beispielsweise CDOs mit lupenreinem AAA-Rating, die das Finanzsystem im Jahr 2008 an den Rand des Abgrunds führten. Heute ist uns bewusst, dass Volatilitäten stark schwanken können. Messen lassen sich jedoch immer nur die Volatilitäten der Vergangenheit, nicht die theoretisch denkbaren zukünftigen Volatilitäten.
Ökonomie ist keine exakte Wissenschaft
Auch die Korrelationen einzelner Assetklassen und Wertpapiere verhalten sich im Zeitablauf nicht stabil. Die neueste Forschung versucht daher, die Märkte nach dem Modell der Biologie als ein adaptives System zu begreifen, das sich permanent an die sich wandelnden Umstände anpasst. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung.
Die Theorie wird aber erst dann Gültigkeit erlangen, wenn sie aufhört, sich als Naturwissenschaft zu begreifen. Die Ökonomie ist eben keine exakte Wissenschaft - sondern mindestens ebenso sehr eine Sozialwissenschaft. Gute Ökonomen sollten sich daher mit Mathematik genauso gut auskennen wie mit Geschichte, Psychologie und Philosophie.
Solange die Wissenschaft den Praktikern keine wirksame Unterstützung bietet, gehört es zu den anspruchsvollsten Herausforderungen von Vermögensmanagern, risikooptimierte Wertpapierportfolios zusammenzustellen. Diese sollten fachmännisch diversifiziert sein, sodass sie auch schwere Verwerfungen gut abfedern können. Um diesem Idealbild zu entsprechen, wäre ein Top-Down-Investmentansatz optimal.
Dabei werden zu Beginn dieses Prozesses wichtige volkswirtschaftliche Daten erfasst und ihre potenziellen Wirkungen auf die Finanzmärkte analysiert. Bei der Auswahl von Einzeltiteln sollten auch weniger beachtete Risikofaktoren wie beispielsweise die Liquidität eines Wertpapiers berücksichtigt werden. Denn die Börsengeschichte hat gezeigt, dass verlustträchtige Extremereignisse in der Realität sehr viel häufiger auftreten als das gängige Risikomaß Value at Risk-Modelle stets „errechnet“.