
Nun ist es vollbracht. Anders als die Fed in den USA es jemals täte, kauft die EZB im Rahmen ihres QE-Programms die Anleihen der Gliedstaaten für schätzungsweise 50 Milliarden Euro sowie andere Papiere für rund zehn Milliarden Euro pro Monat. Das rettet die Banken, und es rettet die Pleitestaaten, weil es sie in die Lage versetzt, die aufgekauften Staatspapiere nachzuschieben, ohne dass den Gläubigern dafür eine Zinserhöhung angeboten werden muss. Das ist die vom deutschen Verfassungsgericht infrage gestellte, doch vom Generalanwalt des EuGH sanktionierte Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse, die dazu dient, die Finanzierung von Staaten vom Kapitalmarkt unabhängig zu machen. Die Banken haben nun bis zur Entscheidung des deutschen Gerichts die Gelegenheit, sich der als toxisch empfundenen Papiere zu entledigen. Das Resultat wird ein Aktienboom, ein Immobilienboom, eine Abwertung des Euro und eine neue Staatsverschuldung sein, denn irgendwo muss das viele Geld ja hin, das die Banken beim Verkauf der Papiere erlösen werden.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
Postwendend zurück
Zum Glück ist es deutschen Widerständlern gelungen, die Gemeinschaftshaftung und damit die implizite Schaffung von Euro-Bonds auf 20 Prozent der Käufe von staatlichen Instanzen zu begrenzen. 80 Prozent sollen nicht der Gemeinschaftshaftung unterliegen. Jede Notenbank kauft die Papiere des eigenen Staates in Proportion zur Landesgröße beziehungsweise gemäß dem Kapitalschlüssel der EZB und haftet auch für sie. Die Zinsen auf diese Papiere kommen vom Nationalstaat und fließen postwendend wieder an ihn zurück. Geht der Staat in Konkurs, kann er die Zinsen nicht mehr zahlen und bekommt auch keine mehr.
Ökonomisch besteht kein relevanter Unterschied zu einer direkten Finanzierung der Staaten durch die EZB. Im Umfang der EZB-Käufe wird frisches Geld gedruckt, das man den Staaten genauso gut direkt hätte übereignen können, um damit die Staatsausgaben zu finanzieren. Die italienische Interpretation der Notenbankpolitik hat über die deutsche gesiegt, denn die Finanzierung des Staates über die Druckerpresse war in Italien seit jeher Usus.
Die Krisenpolitik der Euro-Zone seit 2010
Erstmals muss mit Griechenland ein Euro-Mitglied ein internationales Hilfsprogramm beantragen, um eine Staatspleite zu verhindern. Das Programm erweist sich später als nicht ausreichend.
Ein „Europäischer Rettungsschirm“ wird beschlossen. Er soll sicherstellen, dass die Zahlungsfähigkeit der einzelnen Euroländer gesichert wird. EFSF („Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“) reichte Kredite aus, für die die Euro-Länder mit Garantien bürgten. Der maximale Garantieanteil Deutschlands betrug rund 211 Milliarden Euro. Unter diesen Rettungsschirm schlüpfen - neben Griechenland - später auch Portugal, Irland, Spanien und Zypern.
Parallel beginnt die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals mit dem Kauf von Staatsanleihen. Das „Securities Markets Programme“ (SMP) sollte den Anstieg der Renditen von Anleihen angeschlagener Euroländer bremsen. Das SMP läuft bis Anfang 2012.
Die EZB verspricht, notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten zu erwerben. Gekauft wurde nach dem Programm „Outright Monetary Transactions“ (OMT) bisher noch keine Anleihe. Dennoch beschäftigt der OMT-Beschluss den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Mit dem ESM („Europäischer Stabilisierungsmechanismus“) geht ein neuer Rettungsschirm an den Start, der den EFSF dauerhaft ablöst. Wichtigster Unterschied der beiden Einrichtungen: Der ESM erhält eigenes Kapital, zu dem die Euroländer beitragen. Der deutsche Kapitalanteil beträgt 21,7 Milliarden Euro; hinzu kommen Garantien mit einem deutschen Anteil von 168,3 Milliarden Euro.
Wieder eine Premiere bei der EZB: Die Notenbank beschließt ein riesiges Anleihekaufprogramm - im Fachjargon „Quantitative Easing“ (QE). Damit sollen Milliarden und Abermilliarden Euro in die Wirtschaft gepumpt werden - als Stütze für die schwache Konjunktur.
Aber es kommt wegen der 20 Prozent der Käufe, die nun sogar der gemeinschaftlichen Haftung der Staaten unterliegen, noch schlimmer. Acht Punkte von dieser Prozentsumme entfallen auf Papiere, die von der EZB-Zentrale selbst gekauft werden, und zwölf Punkte auf solche, die die Notenbanken auf dem Umweg über Banken von europäischen Institutionen kaufen. Geht ein Staat, dessen Papiere die EZB-Zentrale kauft, pleite, zahlt er zwar keine Zinsen mehr, doch teilen sich alle nationalen Notenbanken und damit alle anderen Staaten die Verluste. Dem insolvent werdenden Staat beziehungsweise seinen Gläubigern fließen aber weiterhin alle Zinsen aus den Käufen der Papiere anderer Staaten zu. Die Folge ist, dass sich die Gläubiger im Vorhinein mit niedrigeren Zinsen begnügen als im Falle einer Selbsthaftung. Das wiederum macht das Verlangen nach einer Ausdehnung dieses Finanzierungskanals unwiderstehlich. Das Eis ist gebrochen. Deutschland befindet sich von nun an in einer fortwährenden Abwehrschlacht gegenüber einer Erhöhung des Anteils dieser gemeinschaftlich abgesicherten Papiere.
Wie sich EZB und Euro-Länder vor neuen Turbulenzen schützen
Um private Banken in Euro-Ländern vor vorübergehenden Liquiditätsengpässen zu schützen, hat die Europäische Zentralbank ein spezielles Kreditprogramm (ELA) aufgelegt. Damit können zum Beispiel griechische Banken bei der griechischen Notenbank Wertpapiere gegen Geld eintauschen, die nicht den üblichen Qualitätskriterien der EZB gerecht werden.
In Luxemburg hat im Herbst 2012 der Europäische Stabilitätsmechanismus, kurz ESM, seine Arbeit aufgenommen. Geschäftsführer ist Klaus Regling, ein früherer Generaldirektor in der EU-Kommission. Der Fonds kann bis zu 500 Milliarden Euro mobilisieren, um Euro-Länder bei Zahlungsschwierigkeiten mit Krediten und Bürgschaften zu unterstützen. Die Hilfen sind an ein wirtschaftspolitisches Reformprogramm geknüpft, das die Ursachen der Probleme bekämpfen soll.
Als Lehre aus der Krise soll Brüssel die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten stärker überwachen. „Two-Pack“ und „Six-Pack“ heißen die neuen Mechanismen, die Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem die Kontrolle erleichtern sollen. Leider nehmen die Länder die Empfehlungen nicht wirklich ernst.
Mit wenigen Worten hat EZB-Chef Mario Draghi die Märkte im Juli 2012 beruhigt. „Was immer nötig sei“, werde die EZB zur Rettung des Euro tun – ein Vollkaskoschutz für Investitionen in Euro-Staatsanleihen. Das entsprechende Programm (OMT) kam im September hinzu.
Nach einem Stresstest hat die Europäische Zentralbank im November 2014 die Aufsicht über rund 120 europäische Großbanken übernommen. Bei künftigen Bankpleiten sollen Steuerzahler nicht mehr in die Pflicht genommen wer- werden. Ob’s klappt?
Bei den anderen zwölf Prozentpunkten jener Papiere, die gemeinschaftlich abgesichert werden, geht es wohl insbesondere um Anleihen der Europäischen Investitionsbank, die die zentrale Rolle bei der Absicherung des junckerschen Investitionsprogramms von 300 Milliarden Euro übernehmen sollen. Da das QE-Programm ein Volumen von gut 1100 Milliarden Euro haben soll, ist davon auszugehen, dass größenordnungsmäßig etwa 100 Milliarden Euro von der EZB in das junckersche Investitionsprogramm fließen könnten. Das Investitionsprogramm ist nicht nur ein Schattenhaushalt, der Staatsschulden außerhalb der nationalen Budgets versteckt, sondern wird zudem mit Euro-Bonds finanziert.
Viel Unglück
Ob sich das deutsche Verfassungsgericht durch diese Konstruktionen beruhigen lässt, ist fraglich. Die Kläger, die schon mit den Hufen scharren, könnten zum einen gegen die gemeinschaftlich vorgenommenen Käufe vorgehen. Zum anderen könnten sie darauf verweisen, dass auch ohne Haftungsverbund die Monetisierung eines Teils der Staatsschuld mit der Druckerpresse vereinbart wurde, eine Politik, die Deutschland in den Zwanzigerjahren viel Unglück gebracht hat und deren Verbot deshalb die deutsche Bedingung für die Aufgabe der D-Mark war, was sich in Artikel 123 des EU-Vertrages niedergeschlagen hat.
Das Verfassungsgericht wird sich im Übrigen auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob es zulässig ist, das QE-Programm damit zu begründen, dass eine Inflation herbeigeführt werden soll. Wie Präsident Mario Draghi betonte, soll die Inflationsrate, die sich derzeit knapp unter null Prozent bewegt, auf knapp unter zwei Prozent angehoben werden. Haben die Mütter und Väter des Maastrichter Vertrages bei der Zielvorgabe, die Preise konstant zu halten, wirklich gemeint, dass die EZB eine vielleicht noch tolerierbare Obergrenze für die Inflation in eine Zielvorgabe verwandelt?