Das Urteil des Landgerichts Tübingen sieht wie ein Sieg der Sparer aus – aber nur auf den ersten Blick.
Die Richter hauen einer Volksbank deren Klauseln um die Ohren, wonach bei verschiedenen Geldanlagen schon ab 10.000 Euro für die Anleger bis zu 0,5 Prozent Negativzinsen fällig geworden wären. Negative Zinsen bedeuten vereinfacht gesagt, dass derjenige, der Geld auf dem Konto hortet, dafür zahlen muss, anstatt Zinsen von der Bank zu bekommen. Verkehrte Welt: Gläubiger müssen Geld an ihre Schuldner zahlen. Klar, dass die klagende Verbraucherzentrale Baden-Württemberg einen Etappensieg für sich verbucht.
Auf den zweiten Blick aber enthält das Tübinger Urteil eine ziemlich ernüchternde Botschaft für alle Sparer, die sich von den Juristen eine Rettung vor dem an ihrem Geld nagenden Negativzins erhofft hätten.
Der vielleicht zentrale Satz des Gerichtsurteils nämlich lautet: „Mit der vorliegenden Entscheidung wird der Beklagten im Übrigen keineswegs dauerhaft die Einführung von Negativzinsen untersagt.“ Mit der Beklagten ist die Volksbank gemeint, deren Negativzinsklauseln vom Gericht vor allem deshalb kassiert wurden, weil sie sich formell auch auf bereits schon länger bestehende Sparverträge erstreckten.
Daraus kann man schließen, dass Negativzinsen nach Auffassung der Juristen für neu abgeschlossene Verträge durchaus zulässig sein dürften. Banken können Sparern also Negativzinsen von deren frisch aufs Konto gebuchten Einlagen abziehen, sofern sie das vorher deutlich genug ankündigen. In Tübingen wurde also lediglich über Formalitäten und Formulierungen im Kleingedruckten einer Bank entschieden und keineswegs ein Verbot von Negativzinsen beschlossen. Das muss jedem klar sein, der die heutige Urteilsverkündung für eine Feierstunde hält.
In diesem Licht erscheint das Urteil ziemlich profan, was übrigens überhaupt kein Vorwurf an die Richter sein soll. Sie haben genau das getan, was ihre rechtsstaatliche Aufgabe ist. Statt politisch motiviert Partei für die unter schwindender Kaufkraft leidenden Sparer zu ergreifen, haben sie sich das Vertrags- und Darlehensrecht angeschaut. Und danach sind Änderungen von Verträgen durch nachträglich eingeführte Klauseln nicht gestattet. Über die rechtliche Zulässigkeit von Negativzinsen ist damit noch gar nichts gesagt. Das letzte Wort soll ohnehin der Bundesgerichtshof haben.
Die EZB muss uns retten
Doch egal, wie die höheren Instanzen es sehen – das Problem der Negativzinsen wird sich nicht juristisch lösen lassen. Retten kann uns nur ein Kurswechsel bei der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), der frühestens nach Mario Draghis Abschied vom Präsidentenposten denkbar ist. Ein Personalwechsel ist dort für 2019 vorgesehen.
Bei dem Phänomen des Negativzinses handelt es sich um die Folge der ultraexpansiven Geldpolitik der EZB. Sie hat Geld so billig gemacht, dass die Kosten für seine Verwaltung und Logistik plötzlich höher sind als die Erträge, die sich damit erzielen lassen. Geschäftsbanken, wie die Volksbank Reutlingen, versuchen nun, diese Folgen auf ihre Kunden abzuwälzen. Aus dem Urteil lässt sich erahnen, dass Banken das grundsätzlich wohl dürfen, sofern sie sich dabei anders als die schwäbischen Volksbanker keine Formfehler erlauben.





Für Sparer wirklich erschreckend ist, dass die Richter sich nicht mit einem Wort auf die Beträge eingelassen haben, die in den Reutlinger Klauseln verwendet wurden. Der Negativzins drohte dort schon auf vergleichsweise winzige Anlagebeträge ab 10.000 Euro. Damit scheinen die Juristen überhaupt keine Probleme gehabt zu haben. Wie auch, schließlich lässt sich hier eine Zulässigkeitsgrenze in Cent und Euro überhaupt nicht schlüssig herleiten.
Also ist der Negativzins theoretisch schon ab dem ersten Cent möglich. Auch das ist eine bittere Erkenntnis für alle, die gedacht hätten, dass Banken ihre Kleinsparer davon abschirmen würden.