Erst sind die börsennotierten Anleihen scheinbar grundlos abgestürzt, dann kam in dieser Woche die Einladung zur Gläubigerversammlung für Februar: Gläubiger des Brennstoffherstellers German Pellets sollen die im April fällige Rückzahlung einer Anleihe über 52 Millionen Euro verschieben. Zudem will das hoch verschuldete Unternehmen deutlich weniger Zinsen zahlen – statt 7,25 Prozent soll es nur noch 5,25 geben. Im Gegenzug will der Miteigentümer und Chef Peter Leibold Anlegern 50 Prozent der Gesellschafteranteile am Unternehmen überlassen.
Insider fragen sich jetzt, ob es dem Unternehmen aus Wismar überhaupt helfen würde, wenn es das Geld erst später zurückzahlen darf. Sie sorgen sich um viel aktuellere Dinge: Schließlich steht die Produktion der Holzpellets in einigen Werken aktuell still. Nach Informationen der WirtschaftsWoche streiken manche Lieferanten. Offenbar hat German Pellets in Deutschland offene Rechnungen für Holzlieferungen nicht bezahlt. In mindestens einem deutschen Werk ruht die Arbeit teilweise schon seit Dezember. German Pellets wollte das nicht kommentieren.
Genussscheine: Die wichtigsten Merkmale im Überblick
Für ein Renditeplus müssen Käufer von Genussscheinen einige Risiken übernehmen. Um einen Blick in den Prospekt kommen Käufer nicht herum. Genussscheine gibt es entweder mit fester oder mit unbegrenzter Laufzeit. Die Ausschüttung ist selten fix, sondern fast immer erfolgsabhängig; dabei gibt es Papiere mit und ohne Mindestverzinsung sowie mit variabler Verzinsung. Einige können später in Aktien gewandelt werden.
Die Ausschüttung auf einen Genussschein hängt vom Jahresergebnis des Unternehmens ab. Der Zins wird nach der Hauptversammlung oder der Sitzung, in der Gewinn und Dividende festgestellt werden, ausgezahlt. Ausgeschüttet wird nur, wenn das Unternehmen einen ausreichenden Jahresüberschuss oder Bilanzgewinn erwirtschaftet. Maßgeblich dafür sind die Bilanzen nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB), nicht solche nach internationalen Rechnungslegungsregeln. Bei einem Verlust nach HGB kann die Ausschüttung ausfallen.
Anders als bei Anleihen bezahlen Anleger keine Stückzinsen, in denen anteilig kommende Zinszahlungen des laufenden Jahres vorweggenommen werden. Denn der Ausschüttungsanspruch ist ja, anders als bei festverzinslichen Anleihen, nicht fix. Bei börsengehandelten Papieren spiegelt der Kurs die Erwartungen an die Ausschüttung zeitanteilig wider. Deutet sich etwa wegen Verlusten zum Halbjahr ein Ausfall der Ausschüttung an, fällt der Kurs. Am Ausschüttungstag reduziert sich der Kurs um die ausgezahlte Summe.
Renditeberechnungen analog zu denen von Anleihen sind nur bei Papieren mit festgelegter Ausschüttung und vorab fester Laufzeit möglich – und nur, wenn kein Ausfall des Zinses unterstellt wird. Zinsausfälle oder -reduzierungen sollten Investoren aber ins Kalkül ziehen. Anleger lassen sich also auf eine Wette ein. Die Rückzahlung eines Genussscheins erfolgt meist zum Nennwert. Genussscheine sind meist mit Kündigungsrechten zugunsten der Unternehmen und häufig zusätzlich mit solchen zugunsten der Inhaber ausgestattet. Zudem gibt es Sonderkündigungsrechte der Unternehmen, etwa für den Fall, dass sich steuerliche Rahmenbedingungen ändern.
Wegen ihrer komplexen Konstruktion und größerer Risiken versprechen Genüsse höhere Renditen als Spargelder und viele Anleihen. Ähnlich wie bei Anleihen tragen Anleger ein Bonitätsrisiko: Verschlechtert sich die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens, fallen die Kurse. Hinzu kommt das Zinsänderungsrisiko: Steigen die Zinsen deutlich, werden neue Anleihen mit guter Bonität attraktiver. Ältere Genussscheine verlieren dagegen an Attraktivität. Je stärker das Zinsniveau steigt und je länger die Restlaufzeit des Genussscheins ist, desto mehr verliert er an Wert.
Da die Ausschüttung von Genussscheinen direkt an Gewinne des Emittenten gebunden ist, droht ein Ausfall der Zahlung bei Verlusten. Erreicht das Unternehmen nach Verlusten wieder die Gewinnzone gibt es bei vielen Scheinen einen Anspruch auf Nachzahlung. Dieser gilt allerdings nur während der Laufzeit. Kehrt ein Unternehmen erst in die Gewinnzone zurück, nachdem ein Genussschein bereits wieder zurückgezahlt worden ist, besteht kein Anspruch auf Nachzahlung. Verluste des Unternehmens können bei einigen Scheinen sogar zu einer Aussetzung oder Reduzierung der Rückzahlung führen. Bei Pleiten haben Genussscheininhaber mehr Ansprüche als Aktionäre, stehen aber in der Schlange der Anspruchsberechtigten hinter allen anderen Gläubigern. Oft bekommen sie gar nichts.
Auch börsennotierte Genussscheine werden seltener gehandelt als viele Aktien. Dementsprechend lassen sie sich nicht immer im Handumdrehen verkaufen. Bei nicht börsennotierten ist der vorzeitige Verkauf nahezu unmöglich.
Im ersten Halbjahr 2015 setzte German Pellets 314 Millionen Euro um (2014: 593 Millionen Euro). Der 650 Mitarbeiter starke Konzern ist mit 422 Millionen Euro sportlich verschuldet, davon allein 224 Millionen aus Anleihen. Hinzu kommen Millionen aus Genussscheinen, die viele Privatanleger gezeichnet haben.
Viel Geld der Anleger floss auch in die USA
Viel Anlegergeld ist in die USA geflossen, wo Pelletwerke errichtet worden sind. Die Werke Texas und Louisiana Pellets wurden dabei auch über US-Bonds finanziert. Schon Anfang 2014 deckte die WirtschaftsWoche auf, dass dieses Engagement mit zahlreichen Interessenkonflikten behaftet war. So gehörten die US-Pelletwerke einer Stiftung, deren Begünstigte die Frau des Geschäftsführers Leibold war. German Pellets haftete außerdem für einen Teil der US-Schulden, beim Werk Texas Pellets waren es laut einem German Pellets Wertpapierprospekt umgerechnet 23 Millionen Euro.
Ob die Haftung bis heute gilt, wollten weder German Pellets noch der Treuhänder Wells Fargo beantworten. Dabei könnte die Antwort auf die Frage erklären, wieso die Anleihen Mitte Januar so dramatisch abgestürzt sind. Denn laut Daten des Börsendienstes Bloomberg sind die US-Bonds von Louisiana Pellets und Texas Pellets nun ausgefallen oder notleidend. Der Redaktion liegen Einladungen für zwei Telefonkonferenzen vor, die am 28. und 29. Januar für Investoren der US-Bonds stattfinden sollten. Aus den Kontaktinformation der Einladungen geht auch der Name eines deutschnamigen Texas-Pellets-Mitarbeiters mit einer E-Mail-Adresse @german-pellets.de von German Pellets in Wismar hervor. Die Deutschen sind also bis heute eng mit den US-Bonds verflochten.
Ein verspätetes Schiff könnte German Pellets Geld kosten
Eine Rolle spielt bei der notleidenden Anleihe von Texas Pellets auch eine Schiffslieferung: Das Schiff mit Ware für den britischen Versorger Drax sollte den US-Hafen von Port Arthur eigentlich schon am 14. Dezember verlassen. Angeblich aufgrund des Wetters aber verspätete sich das Schiff um zweieinhalb Wochen und legte erst zum Jahreswechsel ab. Folge: Eine Zahlung über 6,1 Millionen Dollar – die Bezahlung für die Ware auf dem Schiff – verspätete sich ebenfalls. Das Geld, so heißt es in einem Dokument, das der WirtschaftsWoche vorliegt, kam also nicht mehr rechtzeitig, um Anfang Januar die Zinsen für eine US-Anleihe von Texas Pellets aus eigener Kraft zu bezahlen. Damit könnte die German-Pellets-Millionen-Garantie im Feuer stehen.
23,6 Millionen Euro für insolventes Unternehmen des Geschäftsführers
Überhaupt haben die Deutschen vielen Garantien gegeben: So hat Texas Pellets laut Wertpapierprospekt von German Pellets mit der Drax Power Limited einen Vertrag über die Lieferung von in den USA produzierten Holzpellets abgeschlossen. Festlaufzeit: sieben Jahre. Jährliche Liefermenge: 480.000 Tonnen. German Pellets hat „die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen der Texas Pellets“ im Zusammenhang „mit diesem Vertrag zugunsten der Drax Power Limited garantiert“, heißt es im Prospekt. Der Konzern hat sich auch verpflichtet, Drax Power „von sämtlichen Schäden freizustellen“, die dadurch entstehen, dass die Texas Pellets ihren vertraglichen Verpflichtungen aus dem Holzpellets-Liefervertrag nicht ordnungsgemäß nachkomme. Ob durch die verzögerte Schiffslieferung jetzt ein Schaden entstanden ist, wollte German Pellets nicht sagen.
Hinzu kommt: German Pellets wird wohl weitere Millionen abschreiben müssen. So werden dem Unternehmen aktuell Geschäfte mit dem Ofenbauer Kago Wärmesysteme zum Verhängnis. Kago gehört ebenfalls Peter Leibold und ist seit kurzem insolvent. Brisant: German Pellets hat Kago Millionen geliehen. Laut dem Prospekt für die Genussscheine, die German Pellets noch im Herbst an Anleger verkauft hat, standen Ende August Darlehen an Kago in Höhe von 23,6 Millionen Euro aus.
Leibold hat in den vergangenen Jahren ein immer größeres Rad gedreht: Um das zu finanzieren hat er Millionen bei Anlegern eingesammelt. Privatanleger köderte sein mehrere Mann starkes Vertriebsteam immer wieder auf der Anlegermesse Invest und auf Börsentagen. Hatten die ihr Erspartes überwiesen, verlieh Leibold viel Geld an andere Unternehmungen.
Laut der Ratingagentur Creditreform standen zuletzt „Ausleihungen in signifikanter Höhe“ aus: Schon Ende 2014 betrugen sie rund 114 Millionen Euro (Vorjahr: 56). Ein großer Anteil der Kredite wurde laut Creditreform „zur Finanzierung der US-Projekte verwendet“. Die Ausleihungen wurden demnach an Zwischengesellschaften in Österreich vergeben, die zu einer Stiftung gehören. Es dürfte sich dabei um die Stiftung der Ehefrau Leibolds handeln. Die Zwischengesellschaften nutzen die Darlehen laut der Ratingagentur „als Eigenkapitaleinlage in die Besitzgesellschaften der beiden US-Pellet-Werke in Texas und Louisiana“. Zur Erinnerung: Die Anleihe des Werkes in Louisiana ist ausgefallen, der Texas-Bond notleidend.
So richtig reinen Tisch mit Anlegern macht Leibold unterdessen nicht: In einem Brief an die Anleger bezeichnet German Pellets eine Verschiebung der Rückzahlung der deutschen Anleihe als „die derzeit einzige Option", um Finanzierungsgespräche zum Ende zu bringen. Dabei schien die Rückzahlung der fälligen Anleihe sicher: Im November 2014 hatte Leibold eine neue Anleihe begeben und 74 Millionen Euro eingesammelt. Um an das frische Geld zu kommen, hatte Leibold im November 2014 auch vor Profi-Investoren präsentiert. Teilnehmern zufolge hat Leibold damals versprochen, dass die Millionen auch der „Refinanzierung“ der im März 2016 fälligen Anleihe dienten. Mehr noch: Die Rede war auch von einer „vorzeitigen Rückzahlung der Anleihe 2016 zu 100,5 Prozent", so Teilnehmer. Diese Zusage kann er nun bekanntermaßen nicht einhalten.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.