Gesundheitsaktien Wo sich Investments in digitale Gesundheit lohnen

Digitalisierung ist ein Riesenmarkt, den Kliniken und Ärzte noch zu wenig nutzen. Wie Anleger von Unternehmen profitieren, die diese Lücke füllen.

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Gesundheitswesen Quelle: dpa

Seit ein paar Monaten vermessen Punkte, Linien und Balken Torsten Beckers Leben. Ein grüner Punkt bedeutet: alles okay. Orange: zu viel Zucker im Blut. Rot: Die Werte sind im Keller. Becker ist Diabetiker. Bevor die Punkte, Linien und Balken in sein Leben traten, pikste er sich vor jedem Essen in die Fingerkuppe, drückte Blut heraus und legte einen Messstreifen an. Dann kritzelte er den Blutzuckerwert, die gespritzte Insulindosis und die Menge der Kohlenhydrate seiner Mahlzeit in ein Heft.

Der 42-Jährige fand das nervig. Vor allem war es ungenau. Becker informierte sich. Nun klebt ein pflaumengroßer Sensor an seinem Oberarm. Jede Sekunde misst dieser den Glukosewert unter der Haut. Am Handgelenk trägt er eine Apple Watch. Sie zeichnet Herzfrequenz und Schrittzahlen auf. Auf dem Smartphone führt er die Daten zusammen. Die App Mysugr berechnet Punkte, Balken und Linien daraus. „Die Technik erleichtert mein Leben total“, freut sich der zweifache Familienvater. Umso mehr ärgert er sich bei jedem Arztbesuch. Die Befunde vom Diabetologen muss der Vertriebsangestellte selbst zur Hausärztin schleppen. Warum es keinen elektronischen Austausch gibt, versteht der Wuppertaler nicht.

Was Becker im Kleinen erlebt, spielt sich gerade im gesamten Gesundheitssektor ab. Auf der einen Seite: Start-ups und Elektronikkonzerne, die den digitalen Patienten entwerfen. Auf der anderen: Ärzte, Krankenhäuser und Pflegeheime, die so arbeiten, als sei die Zeit im Jahr 1985 stehen geblieben. Allein in Deutschland ließen sich deshalb nach Zahlen des Fraunhofer-Instituts pro Jahr 9,6 Milliarden Euro durch digitale Anwendungen sparen.

Diese Unternehmen profitieren von der Digitalisierung

Nur jede zweite Klinik mit Digitalstrategie

Nur zwei von drei deutschen Krankenhäusern jedoch nutzten 2014 elektronische Patientenakten. Im digitalen Austausch mit anderen Ärzten oder Kliniken standen lediglich sechs Prozent aller Kliniken mit Akutversorgung. Jedes zweite Haus verfolgt momentan überhaupt eine Digitalstrategie.

Für Anleger bleiben deswegen vor allem Unternehmen, die auch noch im traditionellen Teil des Marktes Geschäfte machen, zukunftsträchtige Investmentziele. Mittelständler, die seit Jahren daran arbeiten, Menschen wie Torsten Becker das Herumschleppen der Befunde abzunehmen. Unternehmen, die dafür Sorge tragen, dass Patienten in Krankenhäusern automatisch die richtigen Medikamente bekommen.

Dazu zählt hierzulande vorneweg die Compugroup aus Koblenz. Seit mehr als 20 Jahren sind die Rheinland-Pfälzer im Markt für Ärzte-IT unterwegs. Über 4200 Mitarbeiter arbeiten für den Softwarehersteller. Sie programmieren Terminmanager, Arztpraxissysteme und digitale Patientenakten. Auch intelligente Diagnosesoftware ist im Programm. In Deutschland nutzen schon jetzt 64 000 Kunden Software aus Koblenz – ein Marktanteil von 25 Prozent. In Europa führt das Unternehmen den Gesundheits-IT-Markt in vielen Segmenten an. Das E-Health-Gesetz, das in Deutschland seit Ende 2015 gilt, soll weiteres Wachstum bringen. Bis Ende 2018 will Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die digitale Patientenakte durchsetzen. Wer nicht mitzieht, der wird mit niedrigeren Honoraren bestraft. Die Landesbank Baden-Württemberg schätzt das aus dem Gesetz resultierende Erlösplus der Compugroup im kommenden Jahr auf gut 32 Millionen Euro – gemessen am 2015er-Umsatz für sich genommen eine Geschäftsausweitung von allein sechs Prozent. Die deutsche Politik hadert allerdings seit Jahren mit dem Thema. Datenschützer, Ärzte und Kassen blocken Fortschritte gegenseitig ab. Verspätet sich das Projekt erneut, würde sich das auf das erhoffte Wachstum von Compugroup negativ auswirken.

Patienten werden offener für digitale Gesundheit

Andererseits gibt es, unabhängig von Gesetz und Ordnung, „allein bei der Kommunikation zwischen Ärzten und bei Prozessen im Krankenhaus unzählige Dinge zu verbessern“, sagt Thomas-Frank Dapp, der den digitalen Wandel für die Deutsche Bank in Frankfurt analysiert. Gleichzeitig seien die Patienten heute viel selbstbestimmter und offener für Gesundheitsanwendungen via Sensor und App. Das Internet der Dinge, die Einbettung von Kommunikationstools in Gegenstände wie Kleidung, komme hinzu. Zusammengenommen ergibt das ein riesiges Potenzial. Der globale digitale Gesundheitsmarkt könne bis 2020 auf mehr als 200 Milliarden Dollar wachsen, schätzt die auf Technologie spezialisierte Unternehmensberatung Arthur D. Little.

Compugroup-Aktie: Entwicklung seit 2007

Mit daran arbeitet zugunsten seiner Aktionäre auch Nexus – vor allem in Krankenhäusern. In Villingen-Schwenningen entwickeln 830 Mitarbeiter IT-Systeme, die den Alltag in Kliniken digitalisieren. Die Software speichert zum Beispiel Dosierungen ab, automatisiert die Aufnahme der Patienten und erleichtert die Abrechnung. Mit mobilen Geräten greifen Ärzte und Pfleger überall auf die wichtigsten Daten zu. Das Geschäft läuft gut. Im vergangenen Jahr verdiente Nexus vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen 18,9 Millionen Euro. Im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs um ein Viertel. Der Erlös stieg von gut 80 auf gut 97 Millionen Euro. Nexus hat kaum Schulden, eine Eigenkapitalquote von 69 Prozent, eine „grundsolide Bilanz also“, sagt Sascha Berresch. Das Unternehmen sei „vor allem in dem Geschäft mit Spezialsoftware für Krankenhausstationen gut aufgestellt“, so der Analyst der Bank Hauck & Aufhäuser in Hamburg.

Zudem soll sich eine Zusammenarbeit mit dem Olympus-Konzern bald auszahlen. Seit August beliefert Nexus die Japaner mit Software für ihre Endoskopiegeräte. Risiken kommen vor allem aus der Politik. Kürzt sie den Krankenhäuern das Geld, bekäme das Nexus zu spüren. Auch Hackerangriffe wie erst im Februar gegen das Lukaskrankenhaus in Neuss sind ein Problem.

Wie Ihr Unternehmen digital fit wird

300 Milliarden Dollar Sparpotenzial

Nahezu zeitgleich sahen sich auch in den USA Kliniken Cyberangriffen ausgesetzt. Ein Haus in Los Angeles zahlte sogar Lösegeld, um PC-Viren wieder loszuwerden. In Amerika ist die Digitalisierung insgesamt schon wesentlich weiter. 78 Prozent der Ärzte und 94 Prozent aller Krankenhäuser arbeiten in Amerika mit digitalen Akten. Dennoch schätzt Goldman Sachs bei weiterer digitaler Optimierung ein Sparpotenzial von mehr als 300 Milliarden Dollar.

Was Compugroup und Nexus in Deutschland machen, betreibt Cerner in den USA eine Nummer größer. Weltweit arbeiten mehr als 20 000 Menschen für den Gesundheits-IT-Anbieter, der in mehr als 21 000 Einrichtungen präsent ist. Cerner vereint das Geschäft mit digitalen Patientenakten, Krankenhaussoftware und Schnittstellen für Ärzte und Apotheken – alles aus einer Hand. 2015 erhöhte Cerner seinen Umsatz um fast ein Drittel auf 4,4 Milliarden Dollar. Ein großer Teil davon kam aus der Übernahme der Klinik-IT-Sparte von Siemens. Unterm Strich schaffte Cerner eine Nettogewinnmarge von 12,2 Prozent – eine Quote, die Anleger sonst eher im Pharmasektor finden. Die hohe Marge sollte Cerner halten können. Lang laufende Wartungsverträge mit Kliniken bringen regelmäßig Geld.

Kommunikation für alltägliche Entscheidungen

Ein Modell, das sich lohnt. Auch Athenahealth, ein direkter Konkurrent von Cerner, macht damit Geschäfte. Das Unternehmen aus Massachusetts entwickelt mit mehr als 4600 Mitarbeitern digitale Abrechnungssysteme und Patientenakten, Kommunikationslösungen und Apps, die Ärzte und Pfleger mit Informationen für alltägliche Entscheidungen versorgen. Vergangenes Jahr verbesserte Athenahealth den Umsatz auf 925 Millionen Dollar – ein Plus von 23 Prozent – und robbte sich nach einem Verlust von drei Millionen Dollar 2014 in die Gewinnzone. In Zukunft will Athenahealth mit mobilen Apps für Ärzte und Pfleger und digitalen Patientenakten auf Cloudbasis wachsen. Das unterstreichen die Zukäufe von Epocrates und Razorinsights. Die Amerikaner versuchen zudem, Start-ups anzulocken und langfristig an sich zu binden.

Eine bislang unveröffentlichte Studie zeigt Gewinner und Verlierer der Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt. Größter Verlierer dürfte demnach der Handel sein.
von Max Haerder

Der Start-up-Phase ist Omnicell längst entwachsen. Im Silicon Valley tüfteln 2200 Mitarbeiter an automatischen Ausgabesystemen für Medikamente in Apotheken und Krankenhäusern. Die Arzneischränke zeigen Ärzten für jeden Patienten die richtige Dosis und das korrekte Medikament an. Im Hintergrund bestellt der Computer aufgebrauchte Arzneimittel nach. Roboter portionieren die Pillen und schicken sie an eine Ausgabestation. Allein in den USA hat Omnicell 30 Prozent Marktanteil. 2015 machten die Kalifornier 485 Millionen Dollar Umsatz – annähernd zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Der Nettogewinn stieg leicht auf knapp 31 Millionen Dollar. Entscheidend für Omnicell ist, wie gut das Management Übernahmen aus dem vergangenen Jahr integrieren wird. In der Vergangenheit waren die Kalifornier dabei meist erfolgreich.

Big-Data-Analysen zum Patientenschutz

Omnicell hat sich mit den Zukäufen der Robotikspezialisten Mach4 und Aesynt für die weitere Automatisierung von Apotheken und Krankenhäusern gerüstet. Nach Einschätzung der Investmentbank FBR & Co. sind aber Budgetkürzungen der Krankenhäuser ein Risiko.

Die langfristigen Chancen sollten für die Unternehmen, die die Digitalisierung im Gesundheitssektor vorantreiben, insgesamt die kurzfristigen Risiken überwiegen. „Die Frage ist nicht, ob der Gesundheitsmarkt in 15 Jahren ein anderer ist – sondern nur wie er aussieht“, sagt Stefan Biesdorf, Gesundheitsspezialist bei McKinsey in München.

Einen Blick in die Zukunft gewähren aktuell IBM und der Medizintechnikkonzern Medtronic: Im Sommer, so kündigten sie gerade an, soll eine gemeinsam entwickelte App auf den Markt kommen. Das Big-Data-Analyseprogramm soll Diabetiker schon Stunden im Voraus vor möglichen Notfällen warnen und Vorschläge machen, wie Patienten einen Kollaps vermeiden.

Torsten Becker wüsste dann nicht mehr nur, wie seine Zuckerwerte gestern waren, sondern auch, wie sie in ein paar Stunden stehen werden. Piks, das war vorgestern.

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