Die nüchterne Analyse: Im September 2011 erreichte der Goldpreis bei 1921 Dollar pro Feinunze sein Rekordhoch. „Raus aus Gold, rein in Aktien“ wäre damals eine weise Entscheidung gewesen. Denn US-Standardaktien legten gemessen am Aktienindex S&P 500 seither um mehr als 100 Prozent zu, während der Goldpreis, gemessen in Dollar, heute 35 Prozent tiefer steht.
Im Tief ging es mit dem Goldpreis gar runter bis auf 1046 Dollar Ende 2015. Anschließend setzte eine Gegenbewegung ein. Sie führte den Unzenpreis bis Juli 2016 auf 1375 Dollar. Seinen langfristigen Abwärtstrend konnte Gold jedoch letztlich nicht überwinden. Die Trendwende wurde vertagt, weil der Dollar zu einer Rally angesetzt hat und damit das passierte, was oft passiert: Steigt der Dollar, sinkt der Goldpreis.
Der Mechanismus dahinter: Gold, das keine Zinsen bringt, verliert an Attraktivität, wenn die Zinsen steigen – und umgekehrt. Steigende US-Zinsen – angeheizt durch das ausgabenfreudige Wahlprogramm des neuen US-Präsidenten Donald Trump – drückten den Goldpreis bis Dezember 2016 runter auf 1123 Dollar. Inzwischen hat er sich wieder berappelt, auf aktuell 1250 Dollar.
Wie geht es weiter? Lohnt es sich, auf einen steigenden Preis zu setzen?
Entscheidend ist der Realzins
Die Zinsen sind gestiegen, gemessen an der Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen seit Juli 2016 von 1,36 auf zwischenzeitlich 2,60 Prozent (aktuell 2,35 Prozent). Doch auch die US-Inflation zog seither an, von 0,8 auf zuletzt 2,7 Prozent. Wer die offizielle US-Inflationsstatistik benutzt, landet real, also nach Abzug der Geldentwertung, aktuell bei minus 0,35 Prozent. Zinsanleger zahlen also kräftig drauf.
Gold bringt zwar keine Zinsen, verliert aber nicht schleichend an Gewicht. Ein Kilobarren wiegt auch nach einem Jahr noch 1000 Gramm. Dass die Entwicklung der Realzinsen den Goldpreis maßgeblich bestimmt, ließ sich gut nach der Finanzkrise beobachten. Zwischen Juli 2009 und September 2011 fiel die reale Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen von plus 5,6 Prozent auf ein Rekordtief von minus 1,7 Prozent. In dieser Phase verdoppelte sich der Goldpreis und erreichte sein Rekordhoch nahezu zeitgleich mit dem Tief der Realrendite. Anschließend drehte der Trend. Die Realrenditen zogen an, und der Goldpreis schwenkte ein in einen langfristigen Abwärtstrend. Seit Ende 2015 fällt die Realrendite wieder – gut für Gold.
Richtig. Der nachlassende Basiseffekt beim Ölpreis dürfte die Inflation in den nächsten Monaten bremsen. Das bedeutete bei stagnierenden oder steigenden Nominalrenditen entsprechend steigende Realrenditen. Das wäre gewiss negativ für Gold. Wahrscheinlicher aber ist, dass die nominalen Anleiherenditen bei nachlassendem Inflationsdruck ebenfalls nachgeben und so die Realrenditen unten bleiben.
Silber könnte den Weg weisen
Auf lange Sicht könnte die Inflation trotzdem zum dominierenden Thema werden. Anders als Gold, das vor allem gehortet wird, wird Silber in größeren Mengen in der Industrie verarbeitet. Deshalb reagiert der Silberpreis sensibler auf Veränderungen des allgemeinen Preisniveaus. Silber gilt darum als klassisches Inflationsmetall.
Die so genannte Gold-Silber-Ratio zeigt an, wie viel Unzen Silber eine Unze Gold kostet. Die Kennzahl lässt sich einfach ermitteln, indem der aktuelle Goldpreis in Dollar durch den Silberpreis geteilt wird. Über die absolute Preisentwicklung beider Metalle sagt die Kennzahl zwar nichts aus. Erreichte die Gold-Silber-Ratio in der Vergangenheit aber die Schwelle von 80, stellte sich dies in der Rückschau oft als wichtiger Wendepunkt heraus. Denn anschließend lief Silber nicht nur relativ besser als Gold, sondern beide Metalle legten auch absolut kräftig zu. Eine fallende Gold-Silber-Ratio erhöht demnach auch die Wahrscheinlichkeit für einen Bullenmarkt in Gold. Das deutet sich jetzt wieder an.
Ein Wohlstandsmetall
Zwischen Dezember 2008 und Mai 2011 fiel die Gold-Silber-Ratio von über 80 auf 32. Der Silberpreis selbst legte in diesem Zeitraum um gut 400 Prozent zu, von unter 10 auf fast 50 Dollar pro Unze. Der Goldpreis schaffte immerhin 170 Prozent Plus. Hohe Inflation wurde damals in aller Welt erwartet, weil die US-Notenbank Fed für Hunderte Milliarden Dollar Wertpapiere aufkaufte (Quantitative Easing, QE). Doch die Inflation kam dann nicht. Zwischen 2012 und 2016 bewegte sich das Verhältnis zwischen Gold und Silber dann wieder nach oben.
Anfang 2016 erreichte die Gold-Silber-Ratio aber wieder Werte von über 80. Inzwischen ist die Ratio aus dem Aufwärtstrend nach unten ausgebrochen. Ein neuer Abwärtstrend der Gold-Silber-Ratio signalisierte demnach positive Aussichten für Gold und Silber – und vermutlich wieder einen Anstieg der Inflationserwartungen.
Auch die Aufwärtsdynamik des Dollar hat zuletzt nachgelassen. US-Präsident Trump gibt zwar den starken Mann, einen starken Greenback will er aber nicht: „Ein starker Dollar klingt besser, als er in Wirklichkeit ist“, sagt er. Ein schwacher Dollar wäre gewiss ein Treiber für den Goldpreis. Allerdings gilt diese Gesetzmäßigkeit nicht immer: In diesem Jahr häuften sich Tage, an denen der Goldpreis gemeinsam mit dem Dollar anzog. Aus Sicht eines Goldanlegers, der in Euro abrechnet, ist diese Konstellation doppelt erfreulich.
Ohnehin fallen seit Jahren die Aufwärtsschübe des Goldpreises in Euro oft zusammen mit einer Schwächephase des Euro gegenüber dem Dollar. Das passiert immer dann, wenn die Euro-Krise hochkocht, etwa 2012, als nur noch Mario Draghis berühmte Worte, er werde alles tun, um den Euro zu erhalten – „whatever it takes to preserve the Euro“– die Einheitswährung vor dem Aus bewahrte. Gold in Euro erreichte sein Rekordhoch 2012, fast genau ein Jahr nach dem Top in Dollar.
Gold ist ein Wohlstandsmetall
Historisch wanderte Gold immer aus Regionen ab, in denen der Wohlstand abnimmt, dorthin, wo der Wohlstand wächst. Tatsächlich waren in den vergangenen Jahren Asiaten, vor allem Chinesen und Inder, die großen Käufer. Wenn in den beiden wichtigsten Nachfrageländern, auf die in den vergangenen Jahren etwa die Hälfte der globalen Goldnachfrage entfallen ist, die Wirtschaft abflaut, sich Konsumgewohnheiten ändern oder regulatorisch Einschneidendes passiert, dann spürt das auch der Goldmarkt. So wie 2016: In China etwa ging der Trend bei Hochzeitsringen vom 24-Karäter mit 99,9 Prozent Feingehalt zum 18-Karäter mit nur 75 Prozent Feingehalt. Der geringere Goldanteil im Schmuck senkt entsprechend die verkaufte Goldmenge. Allerdings: Dafür greifen die chinesischen Anleger wieder vermehrt nach Barren und Münzen. Das sorgt für einen gewissen Ausgleich. Insgesamt aber schrumpfte die Goldnachfrage in China 2016 um sieben Prozent auf 914 Tonnen.
Die chinesische Investmentnachfrage dürfte in Zukunft jedoch weiter zulegen. Dafür sorgen die wachsenden Einkommen in der chinesischen Mittelschicht und schlicht ein Mangel an Anlagealternativen. So erschweren etwa die Behörden in China den Kauf von Immobilien nach dem steilen Anstieg der Immobilienpreise in einigen Ballungszentren. Hinzu kommen die Sorge vor einer weiteren Abwertung der heimischen Währung Renminbi sowie strengere Auflagen für den Kapitaltransfer ins Ausland. Geld könnte deshalb jetzt vermehrt an die chinesischen Festlandbörsen fließen– und in Goldanlagen.
Ein neuer Goldstandard
In Indien ist die Goldnachfrage im vergangenen Jahr zwar scharf eingebrochen um gut ein Fünftel auf 676 Tonnen, der tiefste Wert seit 2009. Doch das dürfte ein einmaliger Effekt gewesen sein. Die Bekämpfung der Korruption im Land – auch beim Golderwerb – ist Teil des strammen Reformkurses, den die indische Regierung unter Premierminister Narendra Modi eingeschlagen hat. So wurden etwa die zwei größten Banknoten aus dem Verkehr gezogen. Diese hatte Modi am 8. November 2016 für ungültig erklärt.
Auf kurze Sicht hat die temporäre Bargeldknappheit den indischen Goldmarkt nahezu lahm gelegt. Vor allem die indische Landbevölkerung, die häufig kein eigenes Bankkonto besitzt und Goldkäufe daher bar tätigt, fehlten vorübergehend die Mittel zum Goldkauf. Inzwischen aber ist der Umtausch von 22 Milliarden Geldscheinen, 86 Prozent des Bargeldumlaufs, nahezu abgeschlossen.
Auf lange Sicht wird die Reformpolitik Modis gar für einen wohlstandbedingten Schub der indischen Goldnachfrage sorgen. Neben der ohnehin positiven Demografie im Land –die Anzahl der Beschäftigten in der Altersgruppe der 15– bis 59-Jährigen wird sich in Indien bis zum Jahr 2050 schätzungsweise von aktuell 674 Millionen auf gigantische 940 Millionen erhöhen – verbessern sich die Rahmendaten zusehends. Den bisher größten Wurf landete Premier Modi mit einer einheitlichen Mehrwertsteuer. Die Angleichung – bisher erhoben Teilstaaten unterschiedliche Sätze – wird die Integration des gewaltigen Binnenmarktes vorantreiben, den Wettbewerb fördern und Verbrauchern günstigere Produkte bescheren.
Wachstumsfördernd wirken sich ebenfalls Investitionen in die ländliche Infrastruktur sowie geplante steuerliche Entlastungen für kleine und mittelgroße Unternehmen aus. Der positive Ausblick spiegelt sich inzwischen auch in der indischen Landeswährung Rupie. Sie hat nach einem fast sechsjährigen Abwärtstrend und einer einjährigen Bodenbildungsphase gegenüber Dollar und Euro jetzt nach oben gedreht.
Wachsende Einkommen gepaart mit einer aufwertenden Heimatwährung stärkt die Kaufkraft der traditionell goldaffinen Inder.
Neuer Goldstandard
Auch Finanzinvestoren kehren wieder zurück in die mit physischen Barren besicherten Goldfonds. Nach Abflüssen im vierten Quartal 2016 verzeichnen die vom Börsendienst Bloomberg erfassten Fonds jetzt wieder Mittelzuflüsse. Aktuell horten die Fonds 59 Millionen Unzen. Das ist immer noch 30 Prozent weniger als beim Rekordhoch 2012. Aber es ist gut denkbar, dass es in den kommenden Jahren wieder in alte Bestandshöhen geht. Grund: Ein neuer Goldstandard eröffnet 1,6 Milliarden Muslimen jetzt einen besseren Zugang zum Goldmarkt. Die Prüfungs- und Rechnungslegungsorganisation für islamische Finanzinstitute (Accounting and Auditing Organisation for Islamic Financial Institutions, AAOIFI) führte im Dezember 2016 den Scharia-Goldstandard ein. Mit diesem Standard wurden erstmals spezifische Regeln für den Einsatz von Gold als Anlage in der islamischen Finanzbranche festgelegt.
Bisher war es unklar, ob es islamischen Haushalten erlaubt ist, in Gold zu investieren. Wer zuvor Gold besitzen wollte, dem war dies nur in Form von Goldschmuck gestattet. Jetzt haben sie die Möglichkeit, auch in Goldbarren, Goldmünzen, Goldminenaktien oder eben in börsennotierte Goldfonds zu investieren. Sollten nur zwei Prozent der Vermögenswerte, die von islamischen Finanzinstituten gehalten werden, in Scharia-konforme Goldanlagen fließen, bedeutete das eine zusätzliche Goldnachfrage von 38 Millionen Unzen im Gegenwert von derzeit 48 Milliarden Dollar.