Goldman Sachs Wie die elitäre Investmentbank hip werden will

Goldman-Sachs-App auf einem iPhone

Bankenriese Goldman Sachs will mit der Plattform "Marcus" Kleinsparer erobern – erst in den USA, dann in Großbritannien und womöglich bald in Deutschland.

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Im 26. Stock von 200 West Street, der Weltzentrale von Goldman Sachs, erinnert nichts an eine Kathedrale der Hochfinanz: keine Mahagonitische, Holzvertäfelungen oder schwarzen Ledersessel. In der Nordwestecke der Etage befindet sich auch nicht das übliche Chefbüro. Sondern ein Wohnzimmer, mit Sitzsäcken und Popcornmaschine. Krawatten und Jacketts, eigentlich nicht verhandelbarer Teil der Unternehmenskultur, sind freiwillig. An den anderen Standorten der Tochterbank Marcus sieht es ähnlich aus, etwa in Salt Lake City, im US-Bundesstaat Utah, wo sich Marcus symbolisch bedeutsam unter der Adresse 111 Main Street eingemietet hat. Oder in San Francisco, wo sich demnächst 80 Mitarbeiter um die technische Seite von Marcus kümmern sollen – ohne Dresscode, dafür mit einer Kombucha-Maschine.

Für die Bank ist das eine Revolution. Marcus, benannt nach Firmengründer Marcus Goldman, macht Bankgeschäfte für die ganz normale Mittelschicht. Nach Jahrzehnten, in denen die Banker in der modernen Firmenzentrale im südlichen Manhattan vor allem Großinvestoren betreuten und Firmenübernahmen begleiteten, hat die Goldman-Führung das Privatkundengeschäft entdeckt. Nicht mehr nur das oberste Prozent der Bevölkerung nimmt ihre Dienste in Anspruch. Die Bank öffnet sich für Kleinsparer.

Ebenso verstörend für manchen Investmentbanker, der den Schlips nur zum Schlafen auszieht: die Markenbotschafterin des Goldman-Sachs-Ablegers. Vor wenigen Tagen verkündete Harit Talwar, Head of Digital Finance, dass die Bank TV-Sternchen JoJo Fletcher angeheuert hat. Die ist ehemalige Teilnehmerin der Dating-Show „The Bachelorette“, 27 Jahre alt, und war vor ihrer Zeit als Reality-Star im Immobiliengeschäft. Was vor allem aber zählt: Allein auf Instagram folgen ihr über zwei Millionen Fans. Der Bekanntheit von Goldmans Kreditplattform kann die Partnerschaft nur nutzen. Marcus hat aktuell rund eine halbe Million Kunden. Und es sollen schnell mehr werden. In den USA und sehr bald auch in Europa: „Wir planen, die Plattform in der zweiten Hälfte des Jahres im Vereinigten Königreich einzuführen“, so Stephen Scherr, Chef der neu gegründeten Consumer & Commercial-Banking-Abteilung von Goldman Sachs. Weitere Expansion ist nicht ausgeschlossen – auch nach Deutschland nicht.

Kredit für Millionen: Instagram-Star JoJo Fletcher bewirbt Goldman-Ableger Marcus. Quelle: imago images

Bisher bearbeitet Goldman hier vom Frankfurter Messeturm aus vor allem Dax-Konzerne und professionelle Investoren. Die Bank scheint mit Marcus noch viel vorzuhaben. Bereits im Januar kaufte Goldman das Kreditkarten-Start-up Renton – ein möglicher erster Schritt zur Marcus-Card.

Nun hat sie sich auch Apple als Partner an Bord geholt. Zwar ist bislang über die Kooperation zwischen Goldman und Apple kaum etwas bekannt. Doch das Wall Street Journal berichtet, dass 2019 die erste Kreditkarte mit Apple-Pay-Logo auf den US-Markt kommen soll. Ob es eine Ergänzung zum Marcus-Angebot wird, oder integriert werden soll, bleibt abzuwarten.

Klar ist: Goldman Sachs holt kauft sich für sein Privatkundengeschäft die hippsten Partnermarken ein. Apple-Kunden, die höchste Ansprüche an Design und Funktion legen - und auch noch bereit sind dafür Premiumpreise zu zahlen, scheinen perfekt zur Zielgruppe von Goldman zu passen.

Im April legte Goldman nach: Für einen hohen zweistelligen Millionenbetrag kaufte die Bank Clarity Money, ein vor zwei Jahren gegründetes Start-up, das bis heute keinen Gewinn macht. Clarity Money ist eine Budgetplanungs-App. Sie richtet sich vor allem an Nutzer, die ihre monatlichen Ausgaben genau im Blick behalten müssen.

Kunden müssen eine gültige E-Mail-Adresse angeben und einen Zugang zum Onlinebanking – fertig. Ein paar Klicks später begrüßen der Wetterbericht und ein freundliches Zitat den Kunden. Scrollt man runter, wird es ernst. Aktuelle Ausgaben und Einnahmen des Nutzers stehen sich gegenüber. Wie viel liegt auf dem Girokonto? Wie stark ist die Kreditkarte belastet? Wie hoch sind die monatlichen Kosten für Abos? Für Starbucks? Netflix? Uber?

Clarity Money soll mittelfristig in Marcus integriert werden, als weiterer Baustein im Privatkundengeschäft. „Wir haben uns in 18 Monaten von einer Kreditwebsite mit einem einzelnen Produkt in eine Plattform mit unterschiedlichen Angeboten weiterentwickelt“, sagt Marcus-Chef Omer Ismail zufrieden.

Ausgabenrechner, Kleinkredite und Spareinlagen statt Megadeals: Der Strategiewechsel ist aus der Not geboren, denn das Kerngeschäft schwächelt. Im vergangenen Jahr gingen Goldmans Einnahmen aus dem Handel mit Devisen, Anleihen und Rohstoffen spürbar zurück. Digitale Finanzdienstleistungen, so die Hoffnung der Banker, könnten den Rückgang abfedern und ein neuer, profitabler Geschäftszweig werden.

Den Startschuss gab die Bank im Herbst 2016. Marcus ging online – mit einem Angebot, das voll auf die Interessen der Mittelschicht zugeschnitten ist. Kunden können auf der Website Kredite zwischen 3500 und 40 000 Dollar aufnehmen, etwa um ihre Kreditkartenschulden abzuzahlen, Anschaffungen zu finanzieren oder das Wohnzimmer renovieren zu können. Gebühren gibt es nicht, die Zinsen sind fix, der Antrag ist schnell ausgefüllt. All das senkt die Hürde, bei Marcus einen Kredit aufzunehmen.

Mittlerweile hat die Bank das Angebot zudem kräftig ergänzt, etwa um ein digital verwaltetes Sparkonto. Ab einer Einlage von einem Dollar können Kunden ein Depot bei Goldman Sachs eröffnen. Vor nicht allzu langer Zeit brauchte man für dieses Privileg noch zehn Millionen Dollar.

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