Kaputte Brücken können für ganz schön viel Ärger sorgen. Über zwei Monate war die Schiersteiner Brücke zwischen Mainz und Wiesbaden gesperrt und hat den Verkehr im Rhein-Main-Gebiet kräftig durcheinander gewirbelt. Pendler mussten Umwege in Kauf nehmen und klagten über frühes Aufstehen und höhere Benzinkosten. Zwar ist die Brücke jetzt wieder befahrbar, ihr plötzliches Abrutschen wurde aber zu einem Symbol für Deutschlands marode Infrastruktur. Tiefe Schlaglöcher, sanierungsbedürftige Schulen und Brücken mit Einsturzgefahr - Deutschland hat ein gewaltiges Infrastrukturproblem.
Experten schätzen, dass im Infrastrukturbereich Investitionen in Höhe von mehr als 90 Milliarden Euro fehlen. Schulen, Kitas oder Straßen werden in der Regel kommunal finanziert, und ausgerechnet die Kommunen sind die Hartz IV-Empfänger der öffentlichen Hand - sie haben für viele Schlaglöcher schlicht kein Geld, notwendige Investitionen haben sich aufgestaut. Hinzu kommt, dass der Staat aufgrund der Schuldenbremse nicht so einfach massenhaft neue Darlehen aufnehmen kann, um Straßen und Schulen zu finanzieren. Einspringen soll nun die Privatwirtschaft, auch private Anleger könnten bald Geld in Kitas oder Autobahnen investieren - und dafür eine Rendite bekommen, die deutlich über dem liegt, was mit normalen Sparanlagen aktuell zu erwirtschaften ist. Wie sinnvoll ist das, was zunächst nach einer Win-win-Situation klingt, wirklich?
Zustand der Brücken an Fernstraßen in Schulnoten
Nur 4,0 Prozent der Brücken an Fernstraßen sind in einem sehr guten Zustand.
Quelle: Bundesverkehrsministerium
9,8 Prozent der Brücken erhielten die Benotung "Gut".
Quelle: Bundesverkehrsministerium
Die meisten Brücken an deutschen Fernstraßen sind in einem befriedigenden Zustand. Mit der Schulnote 3 wurden rund 39,4 Prozent der Brücken bewertet.
Quelle: Bundesverkehrsministerium
Gerade noch akzeptabel ist der Zustand von 33,3 Prozent der Brücken. Sie erhielten die Note "Noch ausreichend".
Quelle: Bundesverkehrsministerium
"Nicht ausreichend" ist der Zustand von 11,8 Prozent der Brücken an Fernstraßen.
Quelle: Bundesverkehrsministerium
Die schlechteste Note "ungenügend" erhielten 1,7 Prozent der Brücken.
Quelle: Bundesverkehrsministerium
Die Politik hat eine Expertenkommission unter der Leitung von DIW-Präsident Marcel Fratzscher zur "Stärkung von Investitionen in Deutschland" nach Lösungsmodellen suchen lassen. Die Teilnehmer, darunter unter anderem Deutsche Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen, Verdi-Chef Frank Bsirske oder Ergo-Chef Torsten Oletzky, zeigen auf, wie Investitionen in Infrastruktur gesteigert werden können - auch mit Hilfe der Privatwirtschaft.
Neue Infrastrukturgesellschaften
Kernelement der Vorschläge sind zum einen sogenannte Infrastrukturgesellschaften. Diese sollen etwa auf kommunaler Ebene "den Kommunen helfen, zwischen verschiedenen Projekt- und Beschaffungsvarianten die für sie beste und wirtschaftlichste Alternative auszuwählen", schreibt die Kommission. Auch für die sanierungsbedürftigen Autobahnen der Bundesrepublik soll es eine solche Gesellschaft geben. Diese soll zumindest mehrheitlich dem Staat gehören, es handle sich also nicht um eine Privatisierung der Autobahnen. Finanzieren soll sich die Gesellschaft durch Mauteinnahmen, zudem können Kredite ohne staatliche Garantie aufgenommen werden.
Zusätzlich zur Infrastrukturgesellschaft schlägt die Kommission zwei Fonds vor, die Infrastrukturinvestments finanzieren sollen. Zentral ist vor allem ein öffentlicher Fonds, in den Versicherungen, Pensionskassen und andere institutionelle Anleger ihr Kapital investieren können. Gleichzeitig ist eine Art Bürgerfonds im Gespräch, in den auch private Sparer Geld investieren können. Man wolle "Bürgerinnen und Bürgern eine neue Anlageform bieten, die bei vertretbarem Risiko bessere Renditen ermöglichen würde als Anlagealternativen wie Staatsanleihen", schreibt die Kommission.
Versicherungen und Banken sind große Fürsprecher des Plans. "Es gibt wahrscheinlich keine besseren Partnerschaften", erklärte Kommissionsmitglied Fitschen. Dabei betonen Experten, es handle sich bei den Vorschlägen der Kommission nicht um klassische Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP), da die Privatwirtschaft nur als Fremdkapitalgeber agiert. ÖPP sind umstritten und gelten als sehr teuer. Allerdings geht aus dem Schreiben der Kommission hervor, das ÖPP einen "wesentlichen Beitrag zur Schließung der Investitionslücke" leisten könnten. Die Konzerne, vor allem große Bauunternehmen und Versicherer, sind dagegen an ÖPP interessiert, da sie in der Regel am meisten profitieren.
ÖPP hin oder her, sollte der Verbraucher angesichts des Optimismus in der Finanzindustrie skeptisch werden?
Sanierungsprogramm für Versicherer
Und ob. Was für Versicherungen und Banken Vorteile hat, muss für den normalen Bürger längst nicht gut sein. Das Plus für die Versicherer liegt dabei auf der Hand, sie suchen im Niedrigzinsumfeld seit langem nach sicheren, aber rentablen Anlagemöglichkeiten. Kritiker sehen in den Vorschläge der Kommission daher auch ein Rettungspaket für strauchelnde Versicherer. Denn die Assekuranzen müssen ihre Kundengelder sicher anlegen, bisher haben sie dazu vor allem den Anleihemarkt genutzt. Seit die Europäische Zentralbank (EZB) allerdings ein geldpolitisches Feuerwerk nach dem anderen zündet, ist dort keine Rendite mehr zu erwirtschaften. Da kommt Allianz und Co die Infrastrukturoffensive der Bundesregierung gerade recht.
Wie Bürgerfonds funktionieren
Allerdings investiert die Privatwirtschaft natürlich nicht selbstlos. Fitschen betonte zwar, Kapital zum investieren sei genug vorhanden. Der Deutsche Bank-Co-Chef räumte aber ein, die Branche würde nur einsteigen, wenn die Rendite ordentlich sei. "Es muss eine Prämie zu dem sein, was der Bund zahlt", erklärt Fitschen. Beobachter gehen davon aus, dass die Rendite für solche Projekte mindestens bei drei oder vier Prozent liegen muss, um die Unternehmen mit einzubinden.
Hohe Mehrkosten
Diese Rendite müssen die Projekte allerdings zunächst erwirtschaften. Beim Beispiel Autobahn mag das mit einer Maut funktionieren, bei wenig genutzten Straßen dürfte es schon knapp werden. "Durch die Beteiligung der Finanzwirtschaft steigen die Kosten für die Allgemeinheit", warnt der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Die Verbraucherschützer schätzen die Mehrkosten auf mindestens 450 Millionen Euro.
Holger Mühlenkamp forscht an der Universität Speyer zu Kooperationen zwischen Staat und Privatwirtschaft. Auch er erwartet Mehrkosten. "Für den Steuerzahler würde ein solches Fondsmodell teurer", sagt Mühlenkamp. Neben den höheren Zinssätzen sind auch höhere Nebenkosten als bei einer unmittelbaren Staatsverschuldung zu erwarten. Diese können schon beim Vergabeprozess entstehen, auch hohe Beratungskosten sind häufig hoch bei solchen privaten Investments in öffentlichen Angelegenheiten. "Das Modell führt zu einer ineffizienten Risikoverteilung", sagt Mühlenkamp. Auf diese Weise würden die Folgen der Euro-Schuldenkrise zu Gunsten der Finanzindustrie und zu Lasten des Steuerzahlers umverteilt.
Bizarr werden diese drohenden Mehrkosten insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade der Staat sich derzeit historisch günstig refinanzieren kann. Finanzminister Wolfgang Schäuble zahlt kaum noch Zinsen, wenn er neue Schulden aufnimmt. Trotzdem sollen nun andere für die Investments gerade stehen, denn Schäuble darf aufgrund der Schuldenbremse nur begrenzt neue Darlehen aufnehmen. "Sinn des Modells ist schlicht, die Schuldenbremse zu umgehen", sagt Mühlenkamp. Die Schulden, die der Staat nicht mehr unmittelbar aufnehmen könne, würden nun eben durch indirekte Verschuldung ersetzt. "Sinnvoller wäre es gewesen, Nettoinvestitionen von der Schuldenbremse auszunehmen", sagt Mühlenkamp. So könnten notwendige Investitionen in die Infrastruktur geleistet werden, ohne die Schuldenbremse zu missachten.
Was taugen die Bürgerfonds?
Nicht nur die Finanzindustrie soll in den Straßenbau investieren. Die Fratzscher-Kommission schlägt gleichzeitig einen Bürgerfonds vor, zur "Infrastrukturfinanzierung durch Sparer". Dieser soll Verbrauchern bei vertretbaren Risiken bessere Renditen ermöglichen als andere Anlageformen wie Spareinlagen oder Staatsanleihen, so die Kommission. Geplant ist, die Bürgeranlage zu fördern, beispielsweise durch die Arbeitnehmersparzulage.
So sieht die Geldanlage der Deutschen aus
35 Prozent der Deutschen haben eine Lebensversicherung abgeschlossen.
Fast ebenso viele, nämlich 32 Prozent, besitzen einen Bausparvertrag oder Bausparplan.
In Deutschland besitzen 29 Prozent der Bürger ein Tagesgeldkonto.
Ebenso viele, nämlich 29 Prozent, sehen ihre Immobilie als Geldanlage an.
20 Prozent besitzen Fondsanteile, 17 Prozent Festgeld/Termingeld und 12 Prozent Aktien.
Deutlich geringer ist dagegen der Anteil der Edelmetallbesitzer: sieben Prozent haben in Goldbarren oder -münzen investiert und vier Prozent zählen Silberbarren oder -münzen zu ihrem Besitz.
Sechs Prozent sehen ihre Antiquitäten (z. B. einen sehr alten Schrank) als Geldanlage und vier Prozent besitzen wertvolle Kunstgegenstände.
Jeweils zwei Prozent haben Geld in Anleihen bzw. Zertifikate angelegt.
Grundsätzlich klingen solche Infrastrukturinvestments verlockend. Es scheint attraktiv, selber einen Beitrag zum Bestandserhalt zu leisten, und das Risiko wirkt bei so greifbaren Sachanlagen wie Straßen überschaubar. Allerdings geht die Rechnung oft nicht auf, das Investment hat einige Schwächen. Auch derartige Fondsmodelle sind umstritten. Im Zuge der Energiewende sollten Bürger in Stromtrassen investieren - beim Netzbetreiber Tennet floppten Anleihen, die den Sparern bis zu fünf Prozent Rendite versprachen. Zu kompliziert waren die Anlagebedingungen, auch Verbraucherschützer warnten vor dem hohen Risiko.
Bisher zeigen sich Politiker skeptisch, was den Bürgerfonds angeht. "Geldgeber müssten als Fremdkapitalgeber beteiligt werden", fordert der VZBV. So würden sie weder ein unternehmerisches Risiko tragen, noch darüber entscheiden, welche Projekte durchgeführt werden und welche nicht. Die Verbraucherschützer raten dazu, dass Sparer sich eher über eine Art Bürgeranleihe nach dem Vorbild des Bundesschatzbriefes an der Finanzierung von öffentlicher Infrastruktur beteiligen sollten. Damit könnten die Kostensteigerungen vermieden werden.
Schwer vergleichbar
Problematisch an der Geldanlage Infrastruktur ist, dass die Risiken und Erträge für Privatanleger nur schwer abzuschätzen sind. Hinzu kommt oft eine lange Anlagedauer. Der norwegische Pensionsfonds hat in einer Studie das Potenzial solcher Investments untersucht. Ein Kritikpunkt: die Anlagen sind untereinander schwer zu vergleichen, von früheren Renditen anderer Projekte können Anleger daher schlecht auf künftige Erträge schließen.
Hinzu kommt, dass viele Anlagen sehr illiquide sind. Wer sich am Straßen- oder Netzausbau beteiligt, steckt sein Geld oft sehr lange in diese Projekte, da die Anlageprodukte in der Regel nicht börsengehandelt sind, lassen sie sich nicht so schnell wieder liquidieren. Anders sieht es da bei Aktien von Konzernen aus, die Infrastruktur bereit stellen - sie sind jederzeit handelbar.
Das Infrastrukturinvestments populär geworden sind, haben auch die Banken gemerkt und bringen immer mehr Fonds auf den Markt, die in einzelne Projekte oder in Infrastrukturindizes investieren. Für Privatanleger ist eine Beteiligung über Indexfonds (ETF) am einfachsten. Diese bilden Indizes nach, in denen weltweit agierende Infrastrukturunternehmen gelistet werden. Die Entwicklung dieser Papiere zeigt allerdings, dass auch Straßen und Gebäude im Portfolio kein Allheilmittel für risikoarme Renditeanlagen sind. In den vergangenen zwölf Monaten kommt etwa der Infrastruktur-ETF von iShares auf eine Rendite von gerade einmal 1,6 Prozent. Im Vorjahr dagegen waren es über zwölf Prozent - die Rendite von Straßen und Gebäuden kann also genauso volatil sein wie in anderen Bereichen.