Intelligent investieren

Vom richtigen Umgang mit Crash-Sorgen

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Das „Preis versus Wert“-Prinzip

Sollte man nicht zu den erfolgreichen Market Timern zählen – unterliegt man fälschlicherweise der Illusion, eine „besondere Fähigkeit“ zu haben –, kann einen das beim Investieren sehr teuer zu stehen kommen. Man wird in Boom-Phasen zu früh verkaufen, in Crash-Phasen zu spät kaufen und – und insgesamt wird dadurch die Investment-Rendite geringer ausfallen als die des Gesamtmarktes. Das Resultat ist nicht Outperformance, sondern Underperformance.

Ja, ich kann – aber nicht mit „Market Timing“
Der zweite Ansatz umfasst die Investoren, die meinen, sie können den Gesamtmarkt outperformen, aber nicht indem sie auf „Market Timing“ setzen. Die Investoren, die versuchen ohne Market Timing eine Outperformance zu erzielen, halten sich strikt an das „Preis versus Wert“-Prinzip. Der Preis einer Aktie ist der Börsenkurs. Er ist während der Handelszeit jederzeit und von allen einsehbar und zeigt, für wieviel Geld eine Aktie den Besitzer gewechselt hat.

Der Wert einer Aktie findet sich hingegen nicht auf dem Kurszettel (und viele Börsianer, die Aktien kaufen und verkaufen, kennen ihn nicht). Er muss vielmehr ermittelt werden – und entspricht der Summe der abgezinsten Gewinne, die ein Unternehmen erzielt. Um den Wert einer Aktie bestimmen zu können (nicht auf die Nachkommastelle, aber zumindest doch innerhalb einer gewissen Bandbreite), sind eingehende Analysen, Fachwissen und Entscheidungssicherheit gefragt.

In der Praxis angewandt, bedeutet das „Preis versus Wert“-Prinzip, dass man eine Aktie dann und nur dann kauft, wenn ihr Preis deutlich (sagen wir 10 bis 20 Prozent) unter ihrem Wert liegt (wenn also eine „Sicherheitsmarge“ vorliegt). Ein Beispiel soll das erläutern, wie das „Preis versus Wert“-Prinzip funktioniert. Nehmen wir an, Sie kommen zu dem Schluss, dass das Unternehmen X ein hervorragendes Unternehmen ist, und dass seine Aktie 100 Euro wert ist.
Die Aktie handelt jedoch (weil andere das ebenso sehen wie Sie) bei 120 Euro. Zu diesem Preis kaufen Sie natürlich nicht. Denn Sie wollen ja nicht mehr für die Aktie bezahlen, als sie wert ist. Doch dann gibt es plötzlich Panik an der Börse (weil zum Beispiel die italienische Regierung verkündet, sie wolle aus dem Euro aussteigen), und die Aktienkurse purzeln um, sagen wir, 30 Prozent. Der Aktienkurse von Unternehmens X fällt sogar noch stärker, von 120 auf 70 Euro.

Ihre Analyse zeigt nun aber, dass durch die „Italienkrise“ die Gewinne des Unternehmens X gar nicht negativ beeinflusst werden, dass die Aktie nach wie vor 100 Euro wert ist. Daraufhin kaufen Sie beherzt zu 70 Euro – denn sie rechnen aufgrund von guten Gründen damit, dass der Aktienkurs früher oder später auf 100 Euro, also den Wert der Aktie, steigt und Ihnen eine Rendite von 42,9 Prozent winkt. Zudem haben Sie eine Sicherheitsmarge von 30 Euro: Um diesen Betrag kann der Wert der Aktie fallen, ohne dass sie einen dauerhaften Kapitalverlust verschmerzen müssen.

Gesetzt den Fall, ihre Werteinschätzung ist fehlerhaft, und die Aktie ist nur, sagen wir, 80 Euro wert. Ihre Sicherheitsmarge ist also nicht 30, sondern 10 Euro – aber nach wie vor positiv: Sie haben ja die Aktie gekauft zu einem Preis (zu 70 Euro), der deutlich unter dem Wert der Aktie liegt. Selbst wenn Sie den Wert der Aktie um 25 Prozent überschätzt haben sollten (wenn er 80 statt 100 Euro beträgt), haben Sie dank der Sicherheitsmarge einen Verlustpuffer, der Sie vor Fehlern, vor denen man nie gefeit ist, bewahrt.

Wissen, warum man was tut

Wenn Sie meinen, Sie können den Aktienmarkt nicht outperformen, ist der Fall klar: Verfolgen sie eine konsequent passive Aktienanlage, investieren Sie in einen breit aufgestellten Weltaktienmarktindex, bleiben Sie langfristig investiert, nehmen sie von Market Timing Abstand. Wenn Sie hingegen meinen, dass eine Outperformance möglich ist, sind die Chancen für die meisten Investoren vermutlich am größten, wenn sie ohne Market Timing eine Outperformance anstreben, anstatt eine Anlagestrategie mit Market Timing zu verfolgen.
Sich mit diesen Überlegungen eingehend auseinanderzusetzen, ist vermutlich eine der wichtigsten Maßnahmen für jeden Investor, unter anderem auch um Crash-Sorgen zu bändigen beziehungsweise sie sinnvoll in Investment-Entscheidungen zu berücksichtigen. Denn wenn man weiß, was man tut, und warum man es tut, hilft das, einen kühlen Kopf zu bewahren. Das wusste schon Heinrich Heine (1797 – 1856), der schrieb: „Diejenigen fürchten das Pulver am meisten, die es nicht erfunden haben.“

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