Intelligent investieren

Staatsanleihen – ein unmoralisches Angebot

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Die ernüchternde Einsicht

Sind Staatschulden also etwa ein Schneeballsystem, ein „Ponzi-Spiel“? Dieser Verdacht ließe sich vielleicht entkräften, wenn die kreditfinanzierten Staatsausgaben gesamtwirtschaftlich produktiv, wenn sie „netto-nützlich“ wären. Doch das sind sie nicht. Wären sie es, gäbe es eine große Zahl von Studien, die konkret und auf die Nachkommastelle aufzeigen würden, dass kreditfinanzierte Staatsausgaben den Wohlstand erhöhen. Doch es gibt sie nicht.

Und das ist nicht überraschend. Solides ökonomisches Nachdenken zeigt, dass Staatsschulden die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft schmälern. Der Grund: Der Staat zieht per Kreditaufnahme knappe Ressourcen an sich, die anderen Verwendungen entzogen werden. Er verausgabt sie gemäß politisch-ideologischer, nicht rational-wirtschaftlicher Ziele. Geld wird in Verwendungen gesteckt, die nur eine geringe oder gar keine produktive Wirkung entfalten.

Die Illusion

Wer nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, der kann leicht erkennen, dass die Staatsschulden von heute die (erdrückende) Steuerlast von morgen darstellen: Das, was der Staat heute auf Pump finanziert, muss schließlich irgendwann bezahlt werden. Die Aussicht auf künftige Besteuerung schmälert daher schon heute, in der Gegenwart, den Anreiz zu sparen und zu investieren. Die Folge: weniger Wohlstandszuwachs. 

Man mag einwenden: Die Volkswirtschaften sind doch in den letzten Jahrzehnten gewachsen, obwohl die Staatsverschuldung immer weiter zugenommen hat. Das aber wäre vorschnell geurteilt. Denn die Volkswirtschaften wären stärker gewachsen, wenn es keine Staatsverschuldung gegeben hätte. Es gab Wohlstandszuwachs trotz, und nicht wegen steigender Staatsschulden.

Vielen Menschen ginge es heute besser, gäbe es keine Staatsverschuldung. Beispielsweise wären die Produktivität der Volkswirtschaft und das allgemeine Lohnniveau höher, als sie es heute sind. Die Altersvorsorge stünde auf soliden Füßen, während heutzutage viele Menschen – direkt oder indirekt – ihre Pensionen in Staatsschulden angelegt haben, also in Schuldpapiere, mit deren ehrlicher Rückzahlung man nicht rechnen kann.

Die Einsicht

Die ernüchternde Einsicht lautet: Wer in Staatsanleihen investiert, macht nichts Gutes, hat die Moral nicht auf seiner Seite, handelt unethisch. Er spielt einer Institution in die Hände, die auf vielfältige Weise das Eigentum unterwandert, aushebelt, es scheibchenweise aufhebt. Das ist – wie bereits aufgezeigt – unvereinbar mit einer ethischen Handlungsnorm. Eine Einsicht, die die Sparer und Investor zum Nachdenken anregen sollte. 

Die Treue zu den Staatsanleihen, die viele Investoren zeigen, erklärt sich vermutlich durch die Renditen, die man in der Vergangenheit erzielen konnte. Wer beispielsweise seit Beginn der 1980er Jahre bis Januar 2018 in deutsche Staatspapiere angelegt hat, hat eine jahresdurchschnittliche Rendite von immerhin 6 Prozent (vor Steuern und Inflation) erzielt – während deutsche Aktien 9,4 Prozent und US-amerikanische 12,2 Prozent einbrachten.

Doch die Aussichten, mit Staatsanleihen auch künftig verdienen zu können, haben sich verdüstert. Die Staatsschulden sind vielerorts so groß geworden, dass die Zentralbanken die Zinsen auf extreme Niedrigstände gedrückt haben. Das Ziel: Kredite sollen die Staaten nichts mehr kosten, seine Kreditgeber sollen nichts mehr verdienen. Am besten sollen sie noch draufzahlen, indem die staatliche Zentralbank der Zins, den der Staat zahlt, abzüglich der Inflation negativ macht.

Der Staat hat begonnen, seine Kreditgeber zur Ader zu lassen. Die Strategie, dem Staat Geld zu leihen und im Gegenzug eine einträgliche Belohnung kassieren zu können, geht nicht mehr auf. Doch das ist – auch wenn es für den einen oder anderen Anleger schmerzlich ist – letztlich eine Wendung zum Guten: Anleger werden mit der Nase darauf gestoßen, dass die ethischen (und lohnenden) Investments im freien Markt zu finden sind und dass sie nicht in der Kreditfinanzierung des Staates bestehen.

Die Wertung

Ein letzter Gedanke: Der Investor, der über die Ethik seiner Investitionen nachdenkt, sollte zwischen persönlichen Wertungen und ethischen Handlungsnormen genau unterscheiden. Beispielsweise möchte ich nicht in Unternehmen investieren, die Computerspiele herstellen (weil ich meine, Computerspiele schaden den Kindern). Es steht mir natürlich frei, diese Meinung zu haben und entsprechend zu handeln. Aber das heißt noch nicht, dass mein Handeln damit ethisch ist.

Das, was in meiner Entscheidung als „bloße Form eines allgemeinen Gesetzes“ enthalten ist, lautet: „Was mir nicht gefällt, das muss auch anderen nicht gefallen“. Das aber kann keine ethische Handlungsnorm sein. Es würde das, was ich anstrebe („Was mir nicht gefällt, muss auch den anderen nicht gefallen“), verunmöglichen (denn das zugrundeliegende allgemeine Handlungsgesetz hieße: „Was den anderen gefällt, das muss auch mir gefallen“).

Will man als Investor ethische von unethischen Investments abgrenzen, sollte man also genau prüfen, welche Entscheidungskriterien man zugrundelegt – ob sie einer persönlichen Wertung entstammen, oder ob sie einen verallgemeinerungsfähigen Leitsatz des eigenes Handelns darstellen. Ansonsten besteht die Gefahr, zu falschen Entscheidungen zu gelangen. Bei Staatsanleihen ist der Fall offenkundig: Sie sind keine ethischen Investments.

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