Es ist wieder soweit: Ökonomen und Marktstrategen mahnen die Anleger zur Vorsicht, Finanzgazetten warnen vor steigender Rezessionsgefahr, und so mancher Crash-Prophet malt ein noch düstereres Bild. Der weltweite Konjunkturaufschwung laufe aus, so ist zu lesen und zu hören; die Unsicherheit, für die die US-Politik sorgt, bremse Unternehmensinvestitionen, und das wiederum schwäche die Nachfrage. Außerdem würden die Probleme vieler Banken eine neue Krise heraufbeschwören, die größer sein werde als die in 2008/2009.
Für die Finanzbranche ist eine Crash-Prophezeiung zwar nicht die beste aller Welten. Aber auch sie kann die Kasse klingeln lassen. Denn im Regelfall werden dann viele Investoren hektisch, wollen ihr Portfolio umzuschichten: zum Beispiel Aktien verkaufen, Anleihen und Absicherungsinstrumente kaufen. Mit jedem Kauf und Verkauf verdienen die Banken Gebühren. Das schmälert zunächst einmal das Investitionskapital der Anleger. Eine wichtige Frage ist daher: Lohnt sich das zyklische Handeln überhaupt? Oder: Was tun in Zeiten der Crash-Prophezeiungen?
Verlockendes Market-Timing
Wem es gelingt, oben zu verkaufen und unten zu kaufen, der ist bekanntlich gut dran: Denn er wird so Überrenditen einfahren – also eine Rendite auf das eingesetzte Kapital erzielen, die höher ausfällt als die Rendite des Gesamtmarktes. Doch leider es gibt nur wenige, die solch ein „Market-Timing“ hinreichend gut beherrschen, die also mit “Rein-Raus“ Überrenditen erzielen können. Sicher, das ein oder andere Mal mag einem das gelingen, aber eben nicht in systematisch-verlässlicher Weise. Und dennoch ist es für die meisten sehr verlockend, sich dem Market-Timing hinzugeben.
Das gilt vor allem in Phasen nachgebender Kurse, wenn sich Sorge und Angst bei den Börsianern breit machen. Jeder Anleger will Verluste vermeiden und Gewinne mitnehmen. Man will kurzfristig aus dem Markt aussteigen und dann, sobald sich die Lage beruhigt hat, wieder einsteigen. Dieser Drang ist nur allzu menschlich. Wer aber das Market-Timing nicht perfekt beherrscht, fällt dabei leicht auf die Nase.
Ein Beispiel soll das illustrieren. Nehmen wir an, Sie investieren 10.000 Euro in eine Aktie zum Kurs von 100 Euro, sie besitzen jetzt also 100 Aktien. Nun sinkt der Aktienkurs auf, sagen wir, 80 Euro.
[1] Anlagebetrag | [2] Kurs | [3] Anzahl der Aktien | [4] Entscheidung | [5] Effektiver Gewinn (+) / Verlust (-) |
10 000 | 100 | 100 | Halten | |
8000 | 80 | 100 | Halten | |
4000 | 40 | 100 | Verkaufen | - 6000 |
4000 | 50 | 80 | Kaufen | |
8000 | 100 | 80 | Halten | |
12 000 | 150 | 80 | Verkaufen | + 2000 |
Quelle: Eigene Darstellung |
Zunächst halten Sie den Buchverlust von 2.000 Euro aus. Doch der Kurs rauscht weiter nach unten, auf 40 Euro. Jetzt reicht es Ihnen. Sie verkaufen. Ihr realisierter Verlust beträgt 6.000 Euro. Doch dann dreht der Markt. Sie aber sind sich noch nicht sicher, ob das schon die „Trendwende“ ist und warten. Der Kurs steigt auf 50 Euro, und jetzt kaufen Sie mit ihrem verbliebenen Kapital 80 Aktien. Der Aktienkurs steigt auf 150 Euro. Ihre Rendite beträgt 20 Prozent (vor Kosten). Doch wären Sie investiert geblieben, hätten Sie sich über 50 Prozent freuen können.
Rezessionen sind kaum prognostizierbar
Vielleicht denken Sie jetzt: Nun gut, ich selbst kann kein Market-Timing. Die „Experten“ auf den Kapitalmärkten – Ökonomen, Strategen und Portfoliomanager – aber sind fähig, Rezessionen und Crashs vorherzusagen, und deshalb richte ich meine Investitionsentscheidungen an ihrem Rat aus. Doch Vorsicht: Auch Experten können meist Rezessionen und Krisen nicht treffsicher vorhersehen. Der Grund: Das Geschehen in den Volkswirtschaften lässt sich nicht so ohne weiteres vorhersagen, schon gar nicht mit wissenschaftlichen Mitteln.
Im Bereich des menschlichen Handelns lassen sich nämlich – anders als in den Naturwissenschaften – keine konstanten Verhaltensparameter identifizieren, die uns sagen könnten, wie die Handelnden auf das Eintreffen eines bestimmten Faktors (wie zum Beispiel Zinserhöhung, Ölpreisverfall, Steuererhöhung etc.) reagieren – nach dem Motto: „Wenn X, dann Y“. Zudem ist auch das Eintreffen der Faktoren selbst, die das Handeln der Marktakteure bestimmen, nicht selten unbekannt: Wer weiß zum Beispiel heute schon, welche neuen Produkte und welche neuen Firmen es künftig geben wird?
Und selbst wenn man das wüsste, so müsste man auch noch wissen, in welchem Ausmaß bestimmte Entwicklungen – also Zinsen, Wechselkurse oder sonstige politische Geschehnisse – auf die Finanzmarktpreise einwirken. Dazu müsste man dann aber wiederum wissen, welche Erwartungen die Finanzmarktpreise bereits enthalten, ob also die künftigen Geschehnisse eine „Überraschung“ und damit kursrelevant sein werden, oder ob sie bereits erwartet und damit bereits in den Börsenkursen enthalten und damit nicht kursbeeinflussend sind. All das lässt sich nicht verlässlich abschätzen.