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So erkennen Sie wirklich eine gute Aktie

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

Bewerten Berater eine Aktie, berufen sie sich oft auf die durchschnittliche jährliche Rendite. Dabei ist die sogenannte CAGR die viel wichtigere Kennzahl.

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„In zwanzig Jahren wirst Du stärker enttäuscht sein von den Dingen, die Du nicht getan hast, als von denen, die Du getan hast“, sagte der US-amerikanische Schriftsteller Samuel Langhorne Clemens (1835 – 1910), besser bekannt unter dem Pseudonym Mark Twain. Auch für Investoren ist das eine wichtige Einsicht. Sie zeigt einerseits, dass man lieber handeln sollte, als abzuwarten - auch an der Börse. Andererseits offenbart Twain, dass sich Erfolg oder Misserfolg der getroffenen Entscheidungen erst mit großer zeitlicher Verzögerung zeigen. Als Investor schon heute zu erkennen, was künftig viel mehr Wert sein wird, ist zweifellos eine große Herausforderung.

Um sie zu meistern, ist es hilfreich, wenn man seinen gesunden Menschenverstand bewahrt; sich seine Urteilskraft nicht eintrüben lässt durch die Verlautbarungen der modernen Finanzmarkttheorie und bei Investmententscheidungen so gut es geht von staatlichen Regulierungen verschont bleibt. Ganz wichtig ist ein langfristiger Horizont von, sagen wir, mindestens fünf Jahren: Der Investmenterfolg stellt sich langfristig ein, sodass man sich vom kurzfristigen Auf und Ab der Börsenkurse nicht ablenken lassen sollte.

Aktie 1Aktie 2
JahrBetrag
(in Euro)
Rendite pro Jahr
(in Prozent)
Betrag
(in Euro)
Rendite pro Jahr
(in Prozent)
0100,00...100,00...
175,00-25,078,00-22,0
288,5018,093,6020,0
395,588,099,226,0
4105,1410,0113,1114,0
5116,7011,0127,8113,0
Durchschnitt der jährlichen Rendite (in Prozent)4,406,20
CAGR (in Prozent)3,145,03

Nehmen wir einmal an, ein Anlageberater legt Ihnen die obige Tabelle vor: Wenn Sie vor fünf Jahren 100 Euro in Aktie 1 investiert hätten, würden Sie sich heute über 116,70 Euro freuen. Wie ist dieses Ergebnis zu bewerten? Hoffentlich ermittelt Ihr Berater dazu nicht den Durchschnitt der Jahresrenditen: (–25 + 18 + 8 +10 + 11) / 5 = 4,40 Prozent. Denn diese Zahl ist irreführend. Warum?

Die Durchschnittsrendite pro Jahr – ein arithmetischer Durchschnitt – zeigt Ihnen nicht die unterliegende Renditedynamik Ihres Investments. Sie berücksichtigt zudem nicht den Zins- und Zinseszinseffekt, so dass der tatsächliche Investmenterfolg überschätzt wird. Eine sinnvolle, richtige Beurteilungsgröße ist die stetige annualisierte Rendite. Im englischen heißt sie „CAGR“: Compound Annual Growth Rate, und ihre Formel lautet:

CAGR = [(EW/AW) ^1/n – 1] * 100

Dabei ist EW = Endwert, AW = Anfangswert, n = Anzahl der Jahre. Wenn wir die Zahlen aus dem obigen Beispiel einsetzen, erhalten wir:

CAGR = [(116,70/100) ^1/5 – 1] * 100 ≈ 3,14

Der unterliegende Trend Aktie 1 beträgt also nicht etwa 4,40 Prozent pro Jahr, sondern nur 3,14 Prozent. Was für ein Unterschied! Wenn Sie 10.000 Euro für 20 Jahre zu 4,40 Prozent pro Jahr anlegen, haben Sie am Ende 23.659,72 Euro. Wenn Ihre tatsächliche Rendite aber nur 3,14 Prozent pro Jahr ist, beträgt der Endwert Ihres Investments lediglich 18.549,44 Euro – und Sie werden dann sicherlich enttäuscht sein.

Was lernen wir daraus? Um den Erfolg eines Investments beurteilen zu können – gerade auch dann wenn man als Investor einen langen Investitionshorizont hat –, bietet es sich an, auf die CAGR zu schauen. Das gilt natürlich auch für den Fall, in dem man alternative Investments miteinander vergleichen will. CAGR ist ein einfach anwendbares Maß zur Erfolgsbeurteilung, das jeder schnell auf seinem Taschenrechner ermitteln kann.
Erweitern wir unser Beispiel um Aktie 2. Sie hat nach fünf Jahren einen Endwert von 127,81 Euro. Wenn Sie die durchschnittliche jährliche Rendite der beiden Investments vergleichen, kommen Sie zum Schluss: Aktie 2 ist um 1,8 Prozentpunkte besser als Aktie 2. Wenn Sie auf CAGR schauen, beträgt der Unterschied sogar 1,89 Prozentpunkte: Aktie 2 (mit 5,03 Prozent) ist besser als Aktie 1 (mit 3,14 Prozent).

Wie Sie an der CAGR-Formel erkennen, setzt sie das Endergebnis (Endwert) des Investments in Bezug zum anfänglichen Kapitaleinsatz. Was zwischendurch passiert, das Auf und Ab der Kurse beziehungsweise der periodischen Renditen, wird quasi geglättet. Diese Einsicht führt uns zu einem ganz wichtigen Aspekt: Langfristig wollen Sie als Investor – Hand aufs Herz – eine möglichst hohe Rendite auf Ihr eingesetztes Kapital erzielen.

Sie mögen zwar an Ihre Investments zwar bestimmte Anforderungen stellen – beispielsweise wollen Sie nur Aktien von ethisch vertretbaren Firmen erwerben oder nur in bestimmten Regionen der Welt investieren. Jedoch unter den gesetzten Restriktionen ist es Ihr Wunsch, einen möglichst hohen Endwert Ihres Investments zu erreichen. Und um an Ihr Ziel zu gelangen, brauchen Sie Investments mit einem hohen CAGR.

Die Sache mit dem Risiko

Typischerweise wird an dieser Stelle eingewendet, ein hoher Endwert und eine hohe CAGR seien ja schön und gut. Aber bitte doch nur, wenn das Risiko im Zaume bleibt! Das Risiko wird dabei vielfach verstanden als Schwankungen der Börsenkurse (Volatilität). Das aber ist kein überzeugendes Risikoverständnis (mehr dazu in meiner Kolumne "Falsches Risiko, richtiges Risiko"), und deshalb haben erfolgreiche Investoren ein anderes entwickelt.

Für sie ergibt sich das Risiko aus dem Unterschied zwischen dem Wert und dem Preis, also dem Börsenkurs, der Aktie. Der Wert ist – vereinfachend gesprochen – die Summe der abgezinsten erwarteten Unternehmensgewinne. Liegt der Wert der Aktie deutlich über ihrem Börsenkurs, hat der Investor eine hohe „Sicherheitsmarge“, die für ihn arbeitet.

Beispiel: Sie schätzen den Wert einer Aktie auf 100 Euro. Die Aktie handelt nun aber bei, sagen wir, 50 Euro, weil gerade Panik auf dem Börsenparkett herrscht.

Wenn Sie zu 50 Euro kaufen, beträgt Ihre Sicherheitsmarge 50 Euro beziehungsweise 50 Prozent: Um diesen Betrag beziehungsweise Prozentsatz kann der Aktienwert fallen, ohne dass Sie einen Kapitalverlust befürchten müssen. Gleichzeitig bedeutet es, dass Ihre Renditeaussicht 100 Prozent ist (sie entspricht der Kursteigerung von 50 auf 100 Euro). Je höher also die Sicherheitsmarge ausfällt, desto geringer ist Ihr Investmentrisiko.
Fällt der Kurs der Aktie, nachdem Sie gekauft haben, auf zum Beispiel 30 Euro, haben Sie immer noch eine Sicherheitsmarge von 50 Prozent (und eine Renditeaussicht von 100 Prozent). Wenn Sie zu 30 Euro hinzukaufen, steigt die Sicherheitsmarge der Zukäufe auf 70 Euro, beziehungsweise die Rendite steigt auf 233,3 Prozent. Bei steigender Sicherheitsmarge wird das Investieren risikoloser – und gleichzeitig verbessert sich die Rendite!

Wenn Sie das „Preis versus Wert“-Prinzip konsequent anwenden, greifen Sie natürlich nach dem Investment mit der höchsten Sicherheitsmarge – und das ist auch das Investment mit dem geringsten Risiko und dem höchsten CAGR. Haben Sie Ihre Hausaufgaben gut erledigt, wird sich rückblickend zeigen, dass der Endwert beziehungsweise CAGR Ihres Investments hoch ausfallen im Vergleich zu anderen Investments, die eine geringere Sicherheitsmarge aufgewiesen haben.

Und damit zurück zum Anfang dieses Aufsatzes. Wenn Sie als umsichtiger Investor die einleitend skizzierten Leitlinien teilen, dann haben Sie guten Grund unbeirrt zu sagen: „Auf den Endwert kommt es an.“ Lassen Sie sich daher nicht von kurzfristigen Schwankungen der Börsenkurse irritieren. Denken und handeln Sie stets langfristig – und stellen Sie sicher, dass Sie Ihre Investments nach „Preis versus Wert“-Prinzip auswählen.
Und lassen Sie sich vor allem nicht abspeisen mit „risikobereinigten Renditen“, auf die sich viele Anlageberater und Fondsmanager heutzutage gern berufen. Denn dadurch sollen meist durchschnittliche oder gar unterdurchschnittliche Resultate als gute Ergebnisse verkauft werden. CAGR bringt Klarheit und hilft Ihnen – in Verbindung mit dem Preis versus Wert“-Prinzip –, bessere Investmententscheidungen treffen zu können.

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