Interview Robert Halver "Anleihekäufer verdienen einen Orden"

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"Staatsanleihen sind völlig überteuert"

Wohin steuert Mario Draghi die EZB?
Eines kann man Mario Draghi sicher nicht vorwerfen: Tatenlosigkeit. Seit der Italiener vor bald 100 Tagen an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) aufrückte, kramt er tief im Instrumentenschrank. Schließlich brennt es im Euroraum lichterloh - und nicht wenige sehen in der EZB den einzigen potenten Retter im Kampf gegen Schuldenkrise, drohenden Bankenkollaps und Rezession. „Realistisch gesehen verfügt gegenwärtig nur noch die Geldpolitik über die Mittel, die Wirtschaft zu beleben“, sagt etwa Ansgar Belke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Quelle: dpa
Draghi wurde fündig. Gleich zum Amtsantritt nahm der Bank- und Finanzexperte die Zinserhöhungen von Jean-Claude Trichet (rechts) zurück. „Dies war ein Einstand mit Pauken und Trompeten, denn Draghi korrigierte die viel zu restriktive Geldpolitik seines Vorgängers“, lobt Thomas Steinemann, Chefstratege der Bank Vontobel. Quelle: dapd
Dass der renommierte Ökonom Draghi, der seit seiner Zeit bei den Analysten von Goldman Sachs den Beinamen „Super-Mario“ trägt, mit der Lockerung der Zinsschraube typisch südländisch handelte und vor allem seinem angeschlagenen Heimatland diente, glaubt in Notenbankkreisen niemand. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann soll sogar überrascht sein, in Draghi einen engen Verbündeten zu haben, für den Geldwertstabilität auch bei Konjunkturflauten das Oberziel der Notenbank bleibt. Quelle: Reuters
Während er den Leitzins bisher „nur“ auf das frühere Rekordtief senkte, betrat der Italiener mit einer anderen Maßnahme Neuland: Um einen Bankenkollaps samt Kreditklemme zu verhindern, flutete die EZB die Banken mit billigem Geld für die Rekordlaufzeit von drei Jahren. Die Draghi-„Bazooka“ wirkte: Seither können sich klamme Staaten günstiger finanzieren, Aktienkurse starteten zum Höhenflug. „Wir haben eine schwere Kreditkrise verhindert“, ist Draghi überzeugt. Quelle: dpa
Ohne Zweifel: Der Schritt hat die hypernervösen Märkte nicht nur beruhigt, sondern beflügelt. Für Ende Februar ist ein zweites Dreijahresgeschäft geplant, bei dem sich Europas Banken womöglich bis zu einer Billion Euro bei der Zentralbank leihen. „Sollte sich die Lage verschärfen, dann wäre die EZB bereit, auch einen dritten und vierten Tender mit einer Laufzeit von drei Jahren durchzuführen“, ist Jürgen Michels, Europa-Chefvolkswirt der Citigroup, überzeugt. Quelle: dpa
Der Präsident des Privatbankenverbandes BdB, Andreas Schmitz, lobt den „Schuss Pragmatismus“, mit dem die EZB in den vergangenen Monaten für Entschärfung der Krise gesorgt habe. „Aber Geld- und Fiskalpolitik müssen wieder getrennte Wege gehen“, betont Schmitz. Er habe „nicht den leisesten Zweifel“, dass Draghi das auch so sehe. Quelle: dpa
Das gigantische Verleihgeschäft birgt Gefahren. Während das Inflationsrisiko nicht unmittelbar steigt, rückte die Notenbank näher an die Politik. Denn obwohl dies nach Draghis Bekunden nicht das Ziel war, lädt das Dreijahresgeld quasi zum Nulltarif die Banken förmlich dazu ein, staatliche Bonds zu kaufen. Damit werde die EZB durch die Hintertür zum Staatsfinanzierer, moniert DIW-Experte Ansgar Belke. Quelle: PR

Stichwort Inflation – mit welcher Entwicklung rechnen Sie in den kommenden Jahren? Und welche Auswirkungen wird das Ihrer Meinung nach auf die Märkte haben?

Offiziell wird die Inflationsrate die tatsächliche Entwicklung nicht widerspiegeln. Aber wenn man sich die Verteuerungen bei lebensnotwendigen und damit häufig gekauften Produkten wie Benzin, Warmkosten bei Mieten, Lebensmittel über Agrarrohstoffe, Versicherungen, Strom etc. ansieht, liegt die tatsächliche Preissteigerung schon heute bei über vier Prozent. Ich gehe davon aus, dass sich diese Entwicklung auch in der Höhe fortsetzen wird. Wie will man auch alternativ die Staatsschulden beherrschbar machen? Das geht nicht mehr über Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen, die die Wirtschaft ruinieren würden. Das geht wie in den USA seit vielen Jahrzehnten über die Preiskeule, wobei der Staat sich konkret entschuldet, indem er die Zinsen für seine Wertpapiere unter der tatsächlichen Inflationsrate hält.
Diese Entschuldung bedeutet für den Anleger bei seinen Zinspapieren Entreicherung. Die Staatsschuldenkrise ist also für die Privaten eine Guthabenkrise bei Staatstiteln.

In den vergangenen Wochen ging in diesem Zusammenhang der Begriff der finanziellen Repression durch die Presse. Ein Experte hält ihn sogar für den wichtigsten Anlagetrend der kommenden zwanzig Jahre. Wie sehen Sie das?

Finanzielle Repression wird zunehmend wichtiger, um den Staat finanziell handlungsfähig zu halten. Wie soll auch sonst die europäische Haftungsunion bezahlt werden. Die teilweise nach folgenden Motto abläuft: Sie sähen nicht, sie ernten nicht und dennoch hat der europäische Rettungsschirm sie lieb.
Ich bezeichne die finanzielle Repression als 3-Phasen-Reiniger. In der ersten Phase werden die Zinsen künstlich niedrig gehalten, in der zweiten Phase wird die Inflation geschürt und in der dritten Phase – wenn sich keine Entspannung der Staatsschuldenkrise eingestellt hat – werden die institutionellen Anleger durch regulatorische Auflagen angehalten, Staatspapiere zu kaufen. Schauen Sie sich doch heute schon Pensionskassen und Rentenversicherungen an. Sie sind gefüllt mit Staatsanleihen, Staatsanleihen und Staatsanleihen.

Was haben Sie gegen Staatsanleihen?

Staatsanleihen sind völlig überteuert, sie bieten schon lange keine inflations- bzw. risikogerechte Verzinsung. Bereits bei Berücksichtigung der offiziell – also geschönten – Inflation zahlen die Anleger drauf. Wir haben negative Realzinsen. Das gilt umso mehr, wenn ich an die tatsächliche, höhere Preissteigerungsrate denke. Und mit Blick auf die immer weiter steigenden Bürgschaften Deutschlands für unsere euroländischen Brüder und Schwestern fehlt eindeutig ein Risikozuschlag in Form einer deutlich höheren Rendite. Als Dankeschön zahlen wir auch noch Abgeltungssteuer. Eigentlich hätten Anleihenkäufer einen Orden für Verdienste für das Vaterland verdient.
Um es deutlich zu sagen: Wer heute einseitig auf Zinspapiere statt auf Sachkapital auch in Form von Aktien setzt, ist ein Spekulant.

Gibt es denn gar keine Staatsanleihen, die Sie für kaufenswert halten?

Es ist gegen Kurzläufer von deutschen Staatspapieren in überschaubarem Maße, etwa als Liquiditätsreserve, nichts einzuwenden. Ich empfehle aber stärker auf Staatsanleihen aus Ländern zu setzen, die über umfängliche Rohstoffe verfügen. Sie haben sozusagen gedeckte Währungen, ihre Staatschulden sind also abgesichert. Ich denke da an Kanada, Norwegen, Australien, Brasilien. Teilweise ist es aber nicht so einfach an diese Papiere zu kommen, da die Länder nicht aufwerten wollen.

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