Über 70 Milliarden Euro legen die Fondsmanager an, die von der WirtschaftsWoche in Frankfurt zum Gipfeltreffen gebeten wurden. Ihre Anlageentscheidungen bewegen Aktienkurse, ihre Meinung hat Gewicht. Fast drei Stunden stellten sie sich den Fragen der WirtschaftsWoche und der Mitglieder des WiWo Clubs. Eine Frage beherrschte die Diskussion: Brechen die Börsen nach fast neun Jahren Anstieg bald ein? Die Milliardenmanager mögen daran noch nicht glauben, selbst für den Fall, dass die Notenbanken jetzt allmählich das üppig verteilte Geld wieder einsammeln.
Die Topanlagestrategen des Investmentgipfels
Manuela Thies verantwortet bei Allianz Global Investors 45 Milliarden Euro. Im Depot Balance sind 60 Prozent Anleihen und zu 40 Prozent Aktien, zum Teil auch Derivate, die von fallenden Kursen profitieren sollen.
Frank Fischer ist Chef des Fondsanbieters Shareholder Value Management und investiert nach dem Vorbild von Warren Buffett. Topaktien: Alphabet, Novo Nordisk, Washtec.
Henning Gebhardt wechselte im Januar von der Deutschen Bank als Chef der Vermögensverwaltung zur Privatbank Berenberg. Topaktien: Wirecard, Grenke, Norma.
Jens Ehrhardt leitet seit 1974 seine Vermögensverwaltung und ist Experte für Geldpolitik und Kapitalmärkte. Seine größten Aktienpositionen: Blackrock, Allianz, DMG Mori Seiki (Maschinenbau).
Klaus Kaldemorgen ist der wohl erfahrenste Fondsmanager der Deutschen Asset Management. In seinem Fonds mischt er Aktien, Anleihen und Derivate, um gleichmäßig Erträge zu schaffen. Topaktien: Evonik, Monsanto, Nestlé.
WirtschaftsWoche: Frau Thies, meine Herren, die Börsen sind in diesem Jahr schon gut gelaufen, jetzt machen Nordkorea und der Euro Probleme. War’s das mit dem Börsenaufschwung?
Ehrhardt: Glaube ich nicht. Politische Krisen wie die um Nordkorea sind unkalkulierbar, wirken sich aber nur kurzfristig aus – hoffentlich auch in diesem Fall. Aber, ja, die Unsicherheit nimmt zu, auch in der Frage, wie sich die Geldpolitik der Notenbanken entwickelt. Ich habe in diversen Fondsdepots etwas Aktien verkauft, schon vor Nordkorea.
Frau Thies, Sie haben 45 Milliarden Euro zu verteilen. Kaufen Sie keine Aktien mehr?
Thies: Wir haben deren Anteil zuletzt etwas reduziert. Aber unsere Fonds brauchen auch Aktien, viele Zinsanlagen sind unattraktiv. 40 Prozent der Staatsanleihen aus dem Euro-Raum rentieren unter null, und die Renditeaussichten für andere Anleihesegmente sind eher schwach.
Investorenlegende Warren Buffett sitzt auf 100 Milliarden, die er nicht ausgeben kann, weil ihm viele Unternehmen zu teuer sind.
Fischer: In Branchen, die gerade nicht beliebt sind, finden wir günstige Aktien. Bei Autos, Pharma, Generika etwa. Die Aktie des Weltmarktführers bei Diabetes ...
... Novo Nordisk ...
Fischer: ... war sehr günstig, solche Gelegenheiten nutzen wir kurzfristig.
Kaldemorgen: Ich kann Buffetts Vorsicht verstehen. Die Digitalisierung zerstört Geschäftsmodelle. In den USA kommen wegen Amazon die großen Einzelhändler unter Druck. Banken verlieren, weil ihnen Mastercard oder Visa den Zahlungsverkehr streitig machen. Und in der Vermögensverwaltung machen ihnen die Fintechs Sorgen.
Wie sehr belastet der starke Euro?
Gebhardt: Der Euro könnte durchaus noch weiter steigen, und das drückt die Stimmung. Die Aktienkorrektur der vergangenen Wochen war völlig angemessen, sie spiegelt die Stärke des Euro gegenüber dem Dollar wider. In den nächsten Monaten werden wir sehen, dass die Gewinne europäischer Konzerne darunter leiden. Bei einigen könnten die mittelfristigen Ziele in Gefahr sein. US-Unternehmen, die günstiger im Ausland verkaufen können, werden profitieren.
Sind US-Technologiewerte zu teuer?
Ehrhardt: Ich habe in 50 Jahren Börse gelernt, dass man möglichst lange mit dem Strom schwimmen soll. Der Technologiesektor wächst überdurchschnittlich stark, der Trend wird anhalten. Mich beunruhigt nur, dass viele Hedgefonds sehr konzentriert dort investiert haben. Die sind auch ganz schnell wieder draußen. Aber noch sind die Zinsen niedrig, und wo sollte man sonst investieren, wenn nicht in gute Aktien?
Gebhardt: Der Spätsommer ist schwierig. Die Nervosität spüren wir jetzt, insbesondere wegen der chaotischen US-Politik.
Kaldemorgen: Ich lege mich fest. Wenn es einen Börseneinbruch gibt, dann wegen des US-Haushaltsstreits. In den USA läuft die Diskussion, dass Donald Trumps Mauer zu Mexiko über den Staatshaushalt finanziert werden soll. Der Kongress will den Haushalt womöglich nicht freigeben. Dann wäre er blockiert, und die Börse leidet.
"Viele Anleger sind zu selbstbewusst"
Schön für Sie, Herr Gebhardt, dann können Sie für Ihren neuen Fonds günstig kaufen.
Gebhardt: Sollte man meinen. Aber wenn Kurse fallen, finden Sie leider wenig Investoren, weil die Bereitschaft, zu investieren, sinkt. Es sollte andersrum sein, aber Zuflüsse haben Fonds, wenn der Markt gut läuft.
Fischer: Aktuell wird Donald Trump verteufelt. Ich habe die vage Hoffnung, dass er mit einer Steuerreform die Erwartungen endlich mal erfüllen kann und diese Überraschung auch den Börsen hilft.
Thies: Aber die Geldpolitik verunsichert.
Was erwarten Sie in den USA?
Thies: Die Fed wird in diesem Jahr noch einmal die Zinsen leicht anheben. Und sie wird ihren Bestand an Anleihen, die sie über Jahre gekauft hat, reduzieren – hoffentlich behutsam. Dafür hat sie konjunkturellen Rückenwind, der Arbeitsmarkt in den USA ist stark, die Inflationserwartungen sind stabil.
Und in Europa?
Thies: Erst mal kein Zinsschritt.
Und falls doch?
Ehrhardt: Wenn die Kurse fallen, wird investiert. Fonds warten auf Rückschläge, sie haben Cash.
Kaldemorgen: Vorsicht. Viele Anleger sind zu selbstbewusst und überzeugt, dass alles so weitergehen wird. Das ist eher ein Warnsignal. Wie viel Cash die Fondsmanager halten, ist auch nicht so wichtig, denn der Markt wird, zumindest in den USA, von ETFs stark beeinflusst.
Das sind Fonds, die sich automatisch an einem Index ausrichten.
Kaldemorgen: Und die halten kein Cash, sondern verkaufen automatisch, wenn Anleger Geld abziehen.
Also soll ich doch Anleihen kaufen? Von Tesla oder der Türkei bekomme ich über fünf Prozent.
Ehrhardt: Bessere Zinsen gibt es nur bei höheren Risiken. Anleger müssen schlechte Bonitäten akzeptieren, sehr lange Laufzeiten wählen oder auf wilde Währungen setzen. Das sind alles keine Ruhekissen.
Kaldemorgen: Vorsichtige sollten nicht auf Zinspapiere verzichten. Aber ich schaue auch auf Aktien, die anleiheähnlichen Charakter haben. Unternehmen, die kaum wachsen und Investoren über die Dividende locken. Telekomkonzerne oder auch europäische Ölwerte mit vier bis sieben Prozent Dividendenrendite sind interessant. Wenn die Zinsen niedrig bleiben, sind auch noch Kurssteigerungen möglich.
Gebhardt: Dummerweise kaufen Sie da genau Kandidaten mit Wachstumsproblemen.
"Ich habe keine Ahnung, wie die Autoindustrie in zehn Jahren dastehen wird"
Und jetzt droht der Autoindustrie die politische Wende. Finger weg von Autoaktien?
Fischer: Warren Buffett sagt immer, denk darüber nach, wie die Firma in zehn Jahren dastehen wird. Ich habe keine Ahnung, wie die Autoindustrie dann aussehen wird.
Gebhardt: Noch wissen wir nicht genau, wie die Politik reagieren wird und was das die Branche kosten wird. Zyklisch spricht vieles gegen sie, denn ihre Margen sind auf dem Gipfel. Es besteht die Gefahr, dass die Autoindustrie, wie zuletzt die Banken, stark reguliert wird. In den Kursen steckt aber schon viel Unsicherheit. Auch bei den Zulieferern, von denen einige interessant sind.
Kaldemorgen: Ich lasse die Finger von Autos. Alle Digitalisierungsmodelle werden der Autoindustrie schaden. Unsere Einstellung zur Mobilität wird sich ändern. Uber etwa ist ein gefährlicher Konkurrent.
Fischer: Sie müssen Goldsuchern im Boom Spitzhacken verkaufen. Wenn ich nicht weiß, welcher Rohstoff gebraucht wird, ist das der defensivere Weg. Man kann jetzt Aktien von Lithiumanbietern oder von Panasonic als Batteriehersteller zu halbwegs vernünftigen Bewertungen kaufen.
Kaldemorgen: Amazon-Chef Jeff Bezos sagte mal, Unternehmen sollen nicht darauf schauen, was sich ändert, sondern darauf, was bleibt. Amazon hat verstanden, dass Kunden einkaufen wollen, aber bequemer. So bleibt auch der Wunsch nach Mobilität. Wir müssen Dienstleister suchen, die Kunden bei ihren Wünschen abholen.
Wo finde ich die?
Ehrhardt: Schauen Sie nach China. Das Wachstum der Technologiedienstleister ist phänomenal. Die entwickeln sich noch besser als die US-Konkurrenten.
Ist Chinas Konjunktur gesund?
Thies: Sie hat positiv überrascht, fast sieben Prozent Wachstum. Mit der globalen Dynamik wirkt sich das erfreulich auf Asien aus.
Kaldemorgen: Mein Enthusiasmus für China hält sich in Grenzen. Die Hälfte des Markts sind Finanz-, Öl- und Immobilienaktien. Da gibt es in Europa deutlich attraktivere.
Santander, BNP Paribas oder die Ölwerte Eni und Royal Dutch aus Ihrem Fonds?
Kaldemorgen: Der Gedanke liegt nahe. Chinesische Unternehmen, die sich weltweit behaupten, sind einen Blick wert. Aber China nur zu wählen, weil da so viele Menschen leben, ist kein gutes Anlagekonzept. Zumal es politische Risiken gibt.
Ist Indien das neue China?
Fischer: Wir haben einen Kollegen für ein Jahr nach Indien geschickt, damit er vor Ort für uns Aktien recherchiert. Viele sind teuer.
Gebhardt: Ich habe dort schon vor 20 Jahren Aktien für Fonds gekauft und würde immer lieber in Indien als in China investieren, weil dort die Bevölkerung jung ist. Premierminister Narendra Modis Reformen sind richtig. Allerdings ist die Infrastruktur extrem schlecht, und es gibt viele faule Bankkredite.
"Wir betreten unbekanntes Terrain "
Kommt uns bekannt vor. Was halten Sie von europäischen Banken?
Gebhardt: Sie erholen sich, stehen aber durch Digitalisierung und alte IT-Infrastruktur vor Herausforderungen. Der Chef der UniCredit hat gesagt, dass er vieles angestoßen habe, aber er brauche 30 Jahre, bis seine IT-Landschaft aufgeräumt sei. Das kostet. Es gibt Topbanken in Skandinavien.
Svenska Handelsbanken?
Fischer: Die sind aber auch schon teuer. Es hilft aber, dass es dort bescheidenere Manager gibt.
Kaldemorgen: Europäische Banken haben ihre Kapitaldecke verbessert, steigende Zinsen könnten weiter helfen. Aber wie ich Herrn Draghi kenne, lässt er sich noch eine Weile bitten.
Hat die EZB Europa vorangebracht?
Thies: Der Aufschwung im Euro-Raum wird von vielen Ländern getragen. Jetzt sind Reformen nötig, um die schwache Produktivität anzugehen. Die sehr lockere Geldpolitik ist kein Allheilmittel.
Die Zentralbanken haben neun Jahre mit immer neuem Geld die Kurse getrieben. Wird es an der Börse genauso heftig runtergehen, wenn sie Liquidität abschöpfen?
Thies: Das ist unerforschtes Terrain. Sie müssen den Rückwärtsgang sacht einlegen, um das Vertrauen der Anleger zu bewahren.
Gebhardt: Es war doch nicht nur das billige Geld. Die letzten zwei Jahre sind die Kurse aufgrund von Gewinnsteigerungen gestiegen. Und das kann noch so weitergehen.
Kaldemorgen: Einspruch. In den letzten fünf Jahren sind Kurse stärker gestiegen als Gewinne, also sind Aktien jetzt teurer. Wir haben, vor allem in den USA, Gewinnmargen am historisch oberen Ende. Die werden sinken, die goldenen Zeiten sind vorbei.
Und für Gold beginnen sie jetzt?
Ehrhardt: Gold finde ich gut, ein kleiner Depotanteil ist vernünftig. Bitcoin steigt, da müsste man auf Gold setzen. Beides ist ja angeblich begrenzt. Aktien sind gestiegen, Rohstoffe, Immobilien. Ich glaube nicht an eine Bankenkrise, aber Gold wird steigen.
Und Bitcoins?
Fischer: Falls sie sich durchsetzen, werden sie wegreguliert. Die Politik will die Hoheit behalten. Sie könnten das bessere Geld sein, weil sie knapp sind. Aber die aktuelle Preisentwicklung wirkt wie eine Blase.
Kaldemorgen: Kein Staat kann es sich bieten lassen, dass man Gesetze mithilfe von Cyberwährungen umgeht. Und es gibt ein technologisches Risiko, weil Standards von einer kleinen Clique gesetzt werden. Ich bezweifle, dass man Bitcoins begrenzen kann. Da gibt es dann irgendeinen Algorithmus, mit dessen Hilfe plötzlich mehr Bitcoins geschaffen werden. Ich neige zu Werten, die ich anfassen kann. Da ist mir Gold lieber.