Kreditwahnsinn Wie ich 1000 Euro gewann - und (fast) nicht bekam

Internetportale unterbieten sich mit Krediten zu Negativzinsen. Gibt es die wirklich? Ich habe es getestet und eine Odyssee erlebt.

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Ich bin ein Gewinnertyp. Zugegeben: Mitunter mit tragischen Zügen.

So habe ich als Kind auf einem Kirchenbasar einen Fernseher gewonnen, in einer Lotterie. Zwei Wochen später war die Kiste kaputt. Als Student habe ich in einem französischen Supermarkt einen Warenkorb im Wert von 120 Euro gewonnen. Aussuchen durfte ich mir die Sachen allerdings nicht. So bekam ich zum Beispiel mehrere Dosen teures Vanilleeis. Sehr lecker. Nur hatte ich in meinem Wohnheimzimmer nicht einmal einen Kühlschrank. Das gemeinsame Festmahl mit Studenten aus aller Welt brachte mir dafür dann viele neue Bekannte. Insofern: Kein Mitleid, bitte. Mir geht es super.

Dennoch hätte mich die Vorgeschichte vorsichtig stimmen sollen, als ich nun testen wollte, was hinter negativ verzinsten Krediten wirklich steckt. Im vergangenen Jahr war das Finanzportal Smava, eine Art Marktplatz für Kredite, vorgeprescht und hatte einen Kredit zu -0,4 Prozent angeboten. Auf gut Deutsch: Kunden bekamen Geld ausgezahlt und mussten danach in Summe weniger zurückzahlen. Der Werbeeffekt war gigantisch. Smava landete mit dem Coup auf Seite Eins der Bild-Zeitung. Günstiger hat ein Unternehmen das mit Positiv-PR wohl selten geschafft.

Mittlerweile wären -0,4 Prozent keine Schlagzeile mehr wert. Das Vergleichsportal Check24 und Smava starteten dieses Jahr einen Unterbietungswettbewerb: Zuletzt boten beide einen Kredit zu -5 Prozent an. Bei Smava bei einer Laufzeit von drei Jahren, bei Check24 mit einjähriger Laufzeit. Solche Angebote machen mich neugierig, also habe ich den Check24-Kredit beantragt.

Für mich absolutes Neuland: Bis Montag war ich stolz darauf, nie in meinem Leben einen Kredit gebraucht zu haben. Ich bin Mieter und als Großstädter komme ich ohne Auto aus. Zwar bin ich nach meiner Meinung natürlich unterbezahlt (lieber Chefredakteur), aber ich komme schon ohne Kredit über die Runden. Nun also trotzdem einer.

Bei Check24 musste ich all meine Einnahmen und Ausgaben offenlegen, persönliche Daten. Selbst die Zugangsdaten zu meinem Onlinekonto wollte das Portal haben, um meine Angaben dann prüfen zu können. Das klingt vielleicht nach einer Betrugsmasche, ist mittlerweile aber bei seriösen Portalen und Finanz-Start-ups nicht unüblich. Nach einer im Januar in Kraft getretenen EU-Richtlinie (PSD2) müssen Banken Dienstleistern sogar einen solchen Kontozugriff gewähren, wenn Kunden dies genehmigt haben. Die Drittanbieter können dann in der Regel 90 Tage rückwirkend Daten einsehen. Vorsicht: Kunden sollten allein für den Blick auf die Finanzdaten durch Dritte natürlich nicht irgendwelche Freigabecodes (TAN oder mTAN) weitergeben. Damit könnten diese selbst Transaktionen vornehmen.

Soweit lief alles glatt. Ich bekam tatsächlich einen Kredit in Aussicht gestellt. Nur sah der nicht so aus, als ob er negativ verzinst sei. Hinter dem Kredit stand laut Unterlagen eine Kredite24 Service GmbH aus München, wobei der Kredit selbst von der SWK Bank ausgezahlt werden würde. 1000 Euro sollte ich erhalten und danach elf Mal 84,60 Euro und dann ein Mal 84,06 zurückzahlen - in Summe also 1014,66 Euro. Das entspricht nicht -5 Prozent Kreditzins, sondern knapp 2,8 Prozent, wie das Angebot auch klarstellte. Handelte es sich beim angeblichen Negativzins also um Täuschung?

"Bewusste Provokation"

Nein. Check24 wollte den Kredit bezuschussen, sodass ich faktisch pro Monat nur 81,04 Euro zahlen müsste, in Summe 972,48 Euro. Bei monatlicher Zahlung ein Jahr lang entsprach das exakt dem angepriesenen Negativzins von -5%. Nachdem ich mich in einem Videochat mit dem Dienstleister IDnow noch freigeschaltet hatte, war Dienstagabend eigentlich alles erledigt. Meine erste Lektion: Ein Kredit, der sich "Sofort-Auszahlungs-Angebot" nennt, braucht dennoch etwas Zeit.

Doch wer braucht einen Kredit mit -5 Prozent, wenn er einen mit -100 Prozent bekommen kann. Und, ja, einen solchen sollte es tatsächlich geben. Am Dienstagmittag machte das Vergleichsportal Finanzcheck plötzlich ein solches Angebot. Den Kredit bei Check24 hatte ich da gerade beantragt. Die Mail von Finanzcheck leitete mir ein Kollege weiter, der von meinem Selbstversuch wusste. "Was für Pappnasen", kommentierte er. Doch ich las neugierig.

Moritz Thiele, Gründer und Chef von Finanzcheck, nannte das Angebot eine "bewusste Provokation". Er wollte zeigen, dass dieser Preiskampf nicht nachhaltig sei. "Natürlich arbeiten wir jeden Tag an Transparenz und günstigsten Zinsen für unsere Kunden, aber am Ende sollte jedem klar sein, dass Geld zu verschenken keine langfristige Lösung für ein wirtschaftlich arbeitendes Unternehmen darstellt." Es gehört schon eine gewisse Dialektik dazu, dann genau das zu tun. Den ersten 100 Kunden, die Dienstag von 13 Uhr an, einen 1000 Euro Kredit auf 12 Monate bei Finanzcheck beantragen würden, wollte er die 1000 Euro schenken. Kreditgeber sollte hier das Finanzportal Fidor sein.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob dieser PR-Coup ernst gemeint war. Aber wo ich meine Daten eh schon offengelegt hatte, konnte ich das auch noch ein zweites Mal machen. Also stellte ich bei Finanzcheck einen weiteren Kreditantrag. Das Verfahren kannte ich nun schon. Als die Angebote angezeigt wurden und danach noch per Mail kamen, war ich enttäuscht.

Das günstigste Angebot stammte zwar tatsächlich von der Fidor-Bank, hatte aber einen Zins von 0 Prozent. Günstig, zugegeben. Aber eben weit von -100 Prozent entfernt. Da ich ja eigentlich gar keinen Kredit brauchte, war ich daran nicht interessiert. Doch, plötzlich, 40 Minuten später trudelte eine neue Mail von Finanzcheck in meinem Postfach ein. "Herzlichen Glückwunsch", war dort zu lesen. "Sie sind einer der glücklichen ersten 100 Kunden, bei denen Finanzcheck aufgrund unserer begrenzten Sonderaktion vom 27. Februar 2018 für den genannten Kredit die Rückzahlung übernimmt." Ich sollte den Kredit erst beantragen, Finanzcheck würde dann mit einer Soforttilgung den Kredit wieder abzahlen. Eigentlich hätten sie mir die 1000 Euro dann auch direkt - ohne den Umweg über den Fidor-Kredit - überweisen können. Aber dann hätten sie ja nicht mit -100 Prozent Kreditzins werben können. Logisch.

Nun denn: Ich klickte im pdf-Dokument mit dem Kreditangebot der Fidor-Bank auf einen Button, der mich zur Fidor-Website führte. Dort sollte ich mich registrieren und bestätigen, dass ich die AGB und Datenschutzbestimmungen gelesen haben. Weiter. Nun jedoch landete ich auf einer kryptischen Fehlerseite: "We are sorry, but something went wrong." Egal auf welchem Computer, Tablet oder Smartphone, egal mit welchem Browser - die Fehlermeldung war immer die gleiche. So leicht sollte mein Traum von den geschenkten 1000 Euro aber nicht platzen, sagte ich mir. Diesmal würde ich nicht als tragischer Gewinner enden. Nicht schon wieder.

Noch Dienstagabend schrieb ich sowohl Finanzcheck als auch Fidor an und berichtete von meinen Problemen. Vorerst keine Reaktion. Klar, die wurden wohl angesichts der Werbemasche von Interessenten überrannt. Als ich bei Fidor endlich eine Kontakt-Telefonnummer für Privatkunden erfahren hatte (auf der Website wird diese schlicht nicht genannt und nur auf Fax und E-Mail verwiesen), hing ich in der Warteschleife. Mittlerweile hatte ich mich einfach unabhängig vom Kreditangebot bei Fidor registriert, war dort aber noch nicht komplett für die Nutzung freigeschaltet worden. Nach etwa einer halben Stunde Wartezeit meldete sich endlich ein Fidor-Mitarbeiter. Er sah sich mein Onlinekonto bei Fidor an. Dieses müsse jetzt nur noch freigeschaltet werden.

Doch dann folgte eine schlechte Nachricht: Er sei sich nicht sicher, ob es möglich sei, mein Kreditangebot mit diesem Konto zu verknüpfen, wenn ich nicht direkt über die Registrierung aus dem Kredit-pdf-Angebot gekommen sei. Dass der Button dort zu einer Fehlermeldung führte, konnte er sich auch nicht erklären. Ich solle mich am besten bei Finanzcheck melden und von meinen Problemen berichten. Auf die Idee war ich auch schon gekommen...

Glückliche Gewinner warten gerne

Die nächste Hiobsbotschaft kam Mittwochabend. Eine Mail von Fidor, endlich! Doch ein Mitarbeiter schrieb mir: "Laut System hatten Sie in Vergangenheit ein Konto bei uns, welches Sie gekündigt und gelöscht haben." Die Fehlermeldung sei dadurch zu erklären. Tatsächlich hatte ich Fidor 2010 schon mal getestet. Damals sollte es dort möglich sein, Geld so einfach wie eine E-Mail an Kontakte zu verschicken, ohne Kosten. Ich fand das sinnvoll. Grundsätzlich klappte es auch, nur war keiner meiner Bekannten oder Verwandten Kunde bei Fidor. Im Alltag nutzte ich den Dienst daher nie.

Als Fidor sich bei mir 2015 wieder meldete und darum bat, dass ich mich noch per Post-Ident-Verfahren in einer Postfiliale registrieren müsste (mittlerweile galten strengere Identifizierungsregeln), habe ich mein Konto stattdessen gekündigt und bat, meine Daten zu löschen.

Soweit, so richtig. Aber welche Rolle sollte das jetzt spielen? Ich hatte damals keinen Kredit aufgenommen. In keiner der Geschäftsbedingungen von Finanzcheck oder Fidor war ich jetzt auf eine Klausel gestoßen, wonach frühere Fidor-Kunden ausgeschlossen seien. Warum auch? Und - da meine Daten ja angeblich vor drei Jahren bei Fidor gelöscht worden war - woher wusste Fidor eigentlich noch von meiner früheren Nutzung?

Ich meldete mich erneut bei Fidor und bat darum, diese Auskunft zu überprüfen. Mir sei nicht ersichtlich, warum meine frühere Nutzung jetzt zu Problemen führen sollte. Daran, dass ich die 1000 Euro noch bekommen sollte, glaubte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr. Da klingelte mein Handy, eine Mitarbeiterin von Finanzcheck meldete sich. Sie gratulierte mir nochmal und hörte sich freundlich und geduldig meine Geschichte an. Immer wieder sagte Sie mir: "Machen Sie sich keine Gedanken. Sie haben das Geld gewonnen. Sie werden es bekommen." Mir aber fehlte der Glaube. Sie wusste eben nicht, dass ich ein tragischer Gewinner bin. Der Mittwoch war nun vorbei. Das Geld von Check24 war noch nicht da, das von Fidor und Finanzcheck würde ich wohl nie sehen. Ein bitteres Zwischenfazit.

Am Donnerstagfrüh schaute ich als erstes in meine E-Mails. Eine Nachricht der Fidor Bank: "Status Info: Sie sind voll legitimiert." Ich glaubte meinen Augen nicht. Als Erstes loggte ich mich auf der Fidor-Website ein. Es kam noch besser. "Kontostand: 1000 Euro", war dort ganz oben zu lesen. Von einem Kredit entdeckte ich im Kundenkonto plötzlich nichts mehr. Vorsichtshalber überwies ich mir schnell 500 Euro auf mein normales Konto, mehr ging auf einen Schlag nicht. Sicher ist sicher.

Nun also habe ich die ersten zwei Kredite meines Lebens abgeschlossen. Vermutlich meinen Schufa-Score in den Keller getrieben, sodass die Aufnahme anderer Kredite schwierig werden könnte. Ich habe meine Daten an Kreditvermittler und Vergleichsportale weitergegeben, die sich nun noch mit einigen anderen Angeboten melden dürften. Einen ersten Handyanruf wegen eines weiteren Kreditangebots habe ich schon bekommen.

Und trotzdem: Meine Geschichte als tragischer Gewinner hat ein - vorerst - glückliches Ende bekommen. Das Geld von Finanzcheck und Fidor brauche ich da nicht mehr. Die 1000 Euro spende ich für einen guten Zweck, voraussichtlich an die Kindernothilfe aus Duisburg, die sich für Kinder in Notlagen weltweit einsetzt.

Und die 1000 Euro von Check24? Ach, wo sind die eigentlich... Bis Donnerstagvormittag hatte ich das Geld jedenfalls nicht auf dem Konto. Am Mittwochmittag hatte mir Check24 geschrieben, meine Unterlagen seien nun bei der Bank eingegangen und würden dort geprüft. Die Bearbeitung "wird etwas Zeit in Anspruch nehmen". Kein Problem. Als glücklicher Gewinner warte ich gerne.

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