Doch es gibt noch andere gewichtige Gründe, die auf dem Goldpreis lasten: Wenn in China, auf das ein Viertel der globalen Goldnachfrage entfällt, die Wirtschaft abflaut, dann spürt das auch der Goldmarkt: Laut World Gold Council, der Lobbyorganisation der Goldminen, fiel Chinas Goldnachfrage im ersten Quartal um sieben Prozent auf 273 Tonnen. Zwischen Januar und Mai erreichte über Hongkong, dem wichtigsten Umschlagplatz für Gold in Asien, netto 18 Prozent weniger Gold das chinesische Festland als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum.
Gier und Angst dämpfen Nachfrage
Preisdämpfend auch: das Aktienfieber in China. Die Regierung in Peking hatte 2014 eine Aktienrally entfacht. Der Index CSI 300 der Börsen Shanghai und Shenzhen schoss seit Juli 2014 in der Spitze um gut 150 Prozent nach oben. Bei der Gier nach dem schnellen Yuan war Gold weniger gefragt. Unbedarfte Privatanleger, die zu spät auf den Börsenzug aufgesprungen sind und Aktien massiv auf Pump gekauft haben, stehen jetzt finanziell tief unter Wasser.
Vergleichen lässt sich die aktuelle Situation in China mit der Finanzkrise von 2008. Damals drohte dem gesamten Finanzsystem nach dem Aus von Lehman Brothers die Liquidität auszugehen. Auch damals geriet der Goldpreis zeitweise unter Druck, weil Liquidität beschafft werden musste. Wenn jetzt viele Anleger im Land des weltweit größten Goldkäufers in der Liquiditätsklemme sitzen, fehlt das Geld zum Goldkauf. Anleger kommen nicht an ihre Aktien und können nicht verkaufen, oder sie müssen zwangsweise Aktien verkaufen, um ihre Börsenkredite zu bedienen. Einige unglückliche Spekulanten könnten jetzt gezwungen sein, ihre Goldreserve zu verkaufen.
China geht den Weg des Westens
Sollte die aktuelle Liquiditätsklemme aber irgendwann behoben sein, dann wird der Druck auf den Goldpreis wieder nachlassen – eine kräftige Erholung ist gar wahrscheinlich. China könnte den Weg des Westens einschlagen und ebenfalls versuchen, über den Ankauf von Wertpapieren die Vermögenspreise wieder nach oben zu drücken und die eigene Währung zu schwächen. „An einem gewissen Punkt wird China seine Währung gegenüber dem Dollar abwerten“, prophezeit der Starinvestor Bill Gross. Noch zaudert Peking, weil der Renminbi aufgebaut werden soll zu einer globalen Reservewährung. Aber der deflationäre Druck droht noch stärker zu werden im Reich der Mitte. Die People’s Bank of China dürfte dann denselben Weg einschlagen wie zuvor schon die Federal Reserve, die Bank of England, die Bank of Japan – und als letzte große Notenbank die Europäische Zentralbank (EZB).
„Unser Ziel ist, die Größe unserer Bilanzsumme dorthin zu bewegen, wo sie Anfang 2012 war“, kündigte deren Präsident Mario Draghi im August 2014 an. Rückblick: Im März 2012 überstieg die Bilanzsumme des Euro-Systems zeitweise 3000 Milliarden Euro. Ihren Rekordstand erreichte sie wenige Monate später bei 3102 Milliarden Euro. Mehr Euro-Angebot bei nahezu konstanter Goldmenge – diese Relation schob damals den Goldpreis an. In Euro kostete die Feinunze im Oktober 2012 in der Spitze 1386,51 Euro. Für den steilen Anstieg der Bilanzsumme des Euro-Systems – und des Goldpreises in Euro – gesorgt hatte Draghi mit zwei je 500 Milliarden Euro schweren dreijährigen Liquiditätsprogrammen, die den Banken im Dezember 2011 und März 2012 verabreicht wurden. Die Banken begannen im Sommer 2012 mit der Rückzahlung. Entsprechend schrumpfte die Bilanzsumme wieder, im Tief auf 1988 Milliarden Euro. Nahezu parallel dazu fiel auch der Goldpreis in Euro auf das Preisniveau der Zeit vor der Liquiditätsflut zurück.