Leitzins bleibt auf null Minuszinsen sind die Regel, nicht die Ausnahme

Deutsche sparen für ihre Leben gern, doch Zinsen gibt es leider derzeit kaum Quelle: Getty Images

Die EZB hat entschieden, was mit dem Leitzins geschieht – und wird ihn bei null Prozent belassen. Deutsche Sparer fühlen sich enteignet. Dabei ist ein negativer Realzins historisch gesehen nichts Außergewöhnliches.

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Seit Jahren sind erst Niedrig-, dann Nullzinsen ungeliebte, aber treue Begleiter der europäischen Sparer. Und das wird auch vorerst so weitergehen: Die Europäische Zentralbank lässt den Leitzins unverändert auf null Prozent. Kritiker sprechen deshalb von einer Enteignung der Sparer. Tatsächlich ist der Realzins derzeit negativ, das heißt die mageren Zinsen, wenn es denn überhaupt welche gibt, werden von der Inflation aufgefressen. Wer sein Erspartes zur Bank bringt, verliert also effektiv Geld (und wer es unter der Matratze lässt, ebenso).

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass negative Realzinsen in der neueren deutschen Geschichte keine Seltenheit sind – ganz im Gegenteil. Oder, wie die Bundesbank schreibt: „In den vergangenen Jahrzehnten waren negative Realzinsen sogar eher die Regel als die Ausnahme.“ So lag der reale Zins für Sparkonten während eines großen Teils der 1970er-Jahre und frühen 1980er-Jahre im negativen Bereich, dann wieder zu Beginn der 1990er-Jahre, zu Beginn der 2000er und wieder seit 2010. Dabei lag der Realzins zum Höhepunkt der Ölkrise 1973 bei knapp minus drei Prozent.

Und die Bundesbank hat noch detailliertere Daten in ihrem Fundus. Seit 1972 erhebt sie Nominalzins, Realzins und Inflation nicht nur Quartals- oder Jahresweise, sondern jeden Monat. Das Ergebnis: In 299 von 504 untersuchten Monaten war der Realzins negativ. Und die Bilanz dürfte heute noch schlechter ausfallen, schließlich bezieht sich die Erhebung nur auf den Zeitraum bis 2014. Seitdem war der Realzins jedoch fast durchgängig negativ.

Sichteinlagen und Spareinlagen hatten schon oft negative Realzinsen, Termineinlagen erst seit Kurzem Quelle: Bundesbank

Noch schlechter sieht die Situation bei sogenannten Sichteinlagen aus, also etwa bei Giro- und Tagesgeldkonten. Ihr Realzins befindet sich seit Mitte der 1990er-Jahre - von da stammen die ersten Daten der Bundesbank - mit kurzen Ausnahmen dauerhaft im negativen Bereich. Da auf Girokonten heute in der Regel keine und auf Tagesgeldkonten nur minimale Zinsen anfallen, bekommen Verbraucher die ungebremste Wucht der Inflation ab.

In den bisherigen Minuszinsphasen waren dabei in der Regel nicht niedrige Leitzinsen schuld, sondern die Inflation. Die Menschen konnten sich über drei, vier, fünf Prozent Zinsen bei der Bank freuen, es schien, als würde ihr Geld sich stetig vermehren. In der Realität fraß die Inflation die Gewinne jedoch mehr als auf. So erreichte die Inflation im Zuge der Ölpreiskrise in den 1970er-Jahren sechs bis sieben Prozent, auch 1981 stieg sie auf über sechs und 1992 wieder auf immerhin gut fünf Prozent. Minuszinsen sind also keine Erfindung Mario Draghis.

Trotzdem kann man die Situation nur bedingt vergleichen. Denn in der Vergangenheit gab es eine Anlageform, deren Realzins stets positiv blieb: Termineinlagen. Wer sein Geld der Bank längerfristig zur Verfügung stellte, etwa auf einem Festgeldkonto, lag nach Abzug der Inflation stets im Plus. Selbst dann, wenn Sparkonto-Inhaber längst von der Inflation enteignet wurden. Doch 2011 drehte erstmals auch der Realzins für Termineinlagen ins Negative.

Das ist umso dramatischer, als sich die Gegebenheiten in Deutschland grundlegend verändert haben. Früher konnten die Menschen noch auf die gesetzliche Rente vertrauen. Alles, was sie privat fürs Alter zurücklegten, war ein angenehmer Zuverdienst. Heute hingegen muss privat vorsorgen, wer auch im Alter genug Geld haben will – und ausgerechnet in dieser Situation gibt es erstmals keine Chance mehr, sein Geld gewinnbringend und dennoch sicher anzulegen.

Immerhin: Inzwischen heben auch die ersten Banken die Zinsen für Spareinlagen wieder an. Wer sein Geld auf einem Festgeldkonto für mindestens drei Jahre anlegt, kann aktuell bis zu zwei Prozent Zinsen bekommen. Bei einer Inflation von 1,8 Prozent macht er damit immerhin 0,2 Prozent Gewinn. Das gilt jedoch nur für Direktbanken, die zudem oftmals im europäischen Ausland sitzen.

Die traditionellen Heimatbanken der Deutschen wie die Sparkassen oder Volksbanken sind da weniger hilfreich. So bietet etwa die Vereinigte Volksbank für ihr Festgeldkonto pauschal 0,01 Prozent Zinsen. Bei der Sparkasse sind es maximal 0,4 Prozent. Wer sich einen positiven Realzins sichern will, muss also in der Regel die Bank wechseln – oder ins Risiko gehen und riskantere Geldanlagen wie Aktien oder Fonds in Erwägung ziehen.

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