




Nur wenige Anleger kennen die Messlatten, nach denen sich weltweit die Preise von Finanzprodukten richten. Noch weniger wissen, wie sie funktionieren. Und bedenklich ist, dass auch die Aufsichtsbehörden von Interessenkonflikten bei der Preisfeststellung wichtiger Indizes immer wieder überrascht werden.
Nach dem Skandal um Manipulationen am Interbankenzins Libor kommen jetzt neue Vorwürfe hoch. Anleger verdanken das geschäftstüchtigen US-Anwälten. Sie forschen nach Finanzinstrumenten, bei denen etwas schiefläuft, vereinen Anleger in Sammelklagen und streichen bei Erfolg ein Viertel des Schadensersatzes ein. Jetzt haben sie sich das Gemauschel beim ISDAfix vorgenommen. Es ist die Messlatte im gigantischen 370-Billionen-Dollar-Markt der Zinsswaps. Swaps sind Tauschgeschäfte zwischen Banken und Unternehmen oder Anlegern. Getauscht werden Währungspaare, Strom gegen Kohle oder eben bei Anleihenportfolios langfristige gegen kurzfristige Zinslaufzeiten.
Was den Libor so wichtig macht
Grundsätzlich gilt der Libor für alle Kreditnehmer aus den folgenden Währungsräumen:
- Australischer Dollar
- Kanadischer Dollar
- Neuseeland-Dollar
- US-Dollar
- Schweizer Franken
- Dänische Krone
- Schwedische Krone
- Euro
- Pfund Sterling
- Yen
Der Libor ist ein Angebotszins, also der Satz, zu dem Banken Geld verleihen können. Grundsätzlich gilt der Libor nur für Kredite mit einer Laufzeit von einem Tag bis zu zwölf Monaten. Das heißt, er betrifft Optionen, Derivate und Termingeschäfte, aber auch den Kredit fürs neue Auto oder die Eigentumswohnung.
Grundsätzlich legt die British Banker's Association (BBA) den Libor (London Interbank Offered Rate) jeden Tag aufs Neue fest. Die BBA saugt sich den Satz allerdings nicht einfach so aus den Fingern, sondern ermittelt einen Durchschnittssatz aus den Angaben verschiedener Banken. 19 Institute melden der BBA täglich, zu welchem Zinssatz sie sich untereinander Geld leihen.
Grundsätzlich gibt es derzeit einen Verdacht gegen alle 19 Banken, die ihre Zinssätze der BBA mitteilen. Barclays hat die Manipulationen bereits zugegeben, ermittelt wird des Weiteren gegen die Royal Bank of Scotland, die Deutsche Bank, die HSBC, die UBS, Citigroup und Lloyds.
Milliardenschwere Portfolios von Lebensversicherern und Rentenfonds lassen sich ohne die Zinsswaps kaum noch lenken. Deshalb ist es abenteuerlich, dass der ISDAfix als Richtgröße auf Meldungen und Geschäften eines wichtigen Händlers namens ICAP und einer Handvoll Banken beruht. Ein amtlich festgestellter Preismaßstab sieht anders aus.
Händler ICAP ist als Wohltäter bekannt, der jährlich den Verdienst eines Arbeitstages spendet. Die Hilfsbereitschaft kannte offenbar keine Grenzen. Nach Mail- und Telefonauswertungen ergibt sich folgendes Bild vom Komplott: Fürchteten Banker, dass Kunden ein für die Bank ungünstiges Tauschgeschäft zu einem bestimmten Preis eingehen werden (Swaption), haben Kollegen über ICAP so viele Swaps gehandelt, bis der Preis die Höhe erreichte, bei dem die Option des Kunden wertlos verfiel. Da es in dem Geschäft um tatsächlich gehandelte Preise geht, bedeutete das, dass die Banker große Summen einsetzen mussten und hohe Risiken eingingen. Die so erreichten Abweichungen werden bei vielleicht läppischen 0,0025 Prozentpunkten vermutet. Wegen des riesigen Marktes machten die Banker offenbar trotzdem Gewinne. Da sich am ISDAfix andere Finanzinstrumente und Anleihen-Neuemissionen orientieren, kann auch Emittenten ein Schaden entstanden sein, wenn deren Zins zu hoch fixiert wurde.
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Nur wenn die Vergehen künftig für Banker richtig teuer werden und auch Privatvermögen betroffen wären, ließe sich Manipulation eindämmen. Die Fondsmanager waren bisher von den fantastischen Möglichkeiten der Swaps so fasziniert, dass sie wenig hinterfragt haben. Jetzt könnten sie Druck machen. Gäbe es Schadensersatzansprüche, müssen Fonds im Interesse der Anleger klagen. Doch auch beim Libor ist noch nichts passiert, weil alle auf Ermittlungsergebnisse der deutschen Finanzaufsicht warten. In den USA hätten sie es mit Klagen leichter. Dort bestimmen Gerichte zumindest die Schadenshöhe.