WirtschaftsWoche: Herr Waldstein, Sie kümmern sich um Versicherungsgelder und legen langfristig an. Interessiert Sie das tägliche Auf und Ab der Märkte?
Philipp Waldstein Wartenberg: Ja. Allerdings ist der wirkliche Treiber selten die jüngste Schlagzeile, sondern es sind die internationalen Kapitalströme oder der grundlegende Wirtschaftstrend. Die Krim-Krise beschäftigt uns, aber die ausgelöste Korrektur am Aktienmarkt war überfällig. Inzwischen hat die Börse neue Stärke gewonnen, denn die Sanktionen sollten keine größeren Auswirkungen haben. Schon 2013 gab es mit Syrien und Nordkorea politische Krisen. Bleiben sie isoliert, wirken sie sich weniger aus als der Wirtschaftstrend.
Und der ist stark?
Ja, wir gehen von einer Fortsetzung des Aufschwungs in den USA und einem stärkeren Wachstum in Europa aus. Dadurch steigen auch die Gewinne der Unternehmen. Somit sehen wir an den Börsen keine Überhitzung. Viele Investoren haben noch wenig Aktien. Sie sind aber verunsichert, weil sie die Kernfrage nicht beantworten können.
Und die lautet?
Wo gehen die Zinsen hin?
Wie ist Ihre Antwort?
Wir erwarten allenfalls einen leichten Zinsanstieg. Andere gehen davon aus, dass mit dem Wirtschaftsaufschwung und dem Rückzug der US-Zentralbank aus Anleihekäufen, ab Mitte 2015 die US-Zinsen stark steigen. Der Aufschwung dort ist allerdings schwächer als früher und läuft auch schon fünf Jahre. Wer jetzt nur kurzfristig für zwei bis drei Jahre in Anleihen investiert, weil er Zinserhöhungen erwartet, könnte enttäuscht werden. Aktien hingegen könnten besser laufen als gedacht.
Was kaufen Sie?
Da wir nur einen moderaten Zinsanstieg erwarten, investieren wir auch in Staats- und Unternehmensanleihen sowie etwa Pfandbriefe mit einer langen Laufzeit. Vereinzelt bauen wir den Bestand an Immobilien und Infrastruktur aus und investieren etwa in Gaskraftwerke sowie Wind- und Solarparks, für die langfristige Stromabnahme-Verträge bestehen. Das bringt kalkulierbare Erträge, mit denen Munich Re und Ergo die Zahlungsversprechen decken. 4,5 Prozent der Versicherungsgelder stecken in Aktien.
Das ist extrem wenig.
Es liegt aber nicht daran, dass wir fallende Kurse erwarten. Wir müssen bei der Kapitalanlage gewährleisten, dass die Versicherungsgarantien durch Erträge der Anlagen gedeckt sind. Aktien sind durch ihre Kursschwankungen dafür wenig geeignet. Deshalb verlangt auch die Versicherungsaufsicht, dass wir für Aktien Eigenkapital zurückstellen. Bei Staatsanleihen müssen wir das nicht.
"Bei Schwellenländern sind wir vorsichtiger"
Was ist besser: eine Lebensversicherung abschließen oder in Investmentfonds investieren?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Publikumsfonds haben allerdings bei der Anlage mehr Freiheiten. In unsere Mischfonds etwa können wir mehr Aktien packen als in die Versicherungsportfolios. In einem langfristigen Börsenaufschwung ist die Rendite höher.
Welche Anleihen lohnen?
Anleihen der Euro-Schuldenländer wie Irland, Italien, Spanien, Portugal sind interessant. Die Sanierung der Haushalte über den niedrigen Zins statt die Währung scheint zu funktionieren. Ich bin überzeugt, dass die angestoßenen Reformen langsam wirken.
Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln
Gegen die größer werdenden Unwägbarkeiten sollte man sich zuallererst mit einer Strategie wappnen: Wer an kräftiges Wachstum in Deutschland glaubt, an einen anhaltenden Boom der Schwellenländer und hohen privaten Konsum, kann weiter am Aktienmarkt investieren. Wer skeptisch ist, sollte seine Bestände hingegen nicht aufstocken.
Eng verbunden mit der ersten Regel: Immer wieder kommt es vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man erwartet hat. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und nicht jeder Entwicklung hinterherzulaufen. Eine solche Reaktion zeugt nicht von einem geringen Vertrauen in die eigene Strategie. Es kostet meist auch Geld, weil die Masse schon vorher diese Richtung eingeschlagen und das Gros an Rendite eingefahren hat.
Groß oder klein, spekulativ oder konservativ, liquide oder illiquide, dividendenstark oder dividendenschwach, Substanz oder Wachstum: Bei Aktien ist die Auswahl riesig. Der richtige Mix aus spekulativen und konservativen Titeln hilft, Schwankungen zwischen guten und schlechten Zeiten auszugleichen. Nicht zu unterschätzen sind starke Dividendenzahler, die Jahr für Jahr den Grundstock für eine solide Rendite legen.
Keine Frage, die Börsen haben in den vergangenen zehn Jahren stärker geschwankt als in allen Dekaden zuvor. Das wird so bleiben, mit wachsendem Computerhandel sogar noch zunehmen. Wer sein Risiko minimieren will, baut Barrieren ein – sogenannte Stopps. Gerne werden Stopps bei 20 Prozent über und unterhalb des aktuellen Kurses gewählt. Dann wird automatisch verkauft, wenn diese Grenzen erreicht sind. Kommt eine Phase überraschend steigender Kurse mit anhaltendem Aufwärtstrend, lässt sich die Barriere leicht nach oben verschieben. Wichtig ist dann, auch die Barriere am unteren Ende nachzuziehen.
Wichtig in Phasen überraschender Kurssteigerungen oder -stürze ist es, das Verhalten der Masse zu beobachten. Ist es noch nachvollziehbar oder völlig irrational? Häufig ist es irrational. Dann hilft meist die zweite Regel: Widerstandskraft zeigen. Nach einigen Monaten kehrt die Rationalität von ganz allein zurück. Der Kurssturz aus dem vergangenen Jahr und die jüngste Entwicklung beweisen das gerade wieder.
Sind Aktien wie seit Jahresbeginn schon um 30, 40 oder gar 50 Prozent gestiegen, dann sind Anschlussgewinne in der Regel nur noch schwer zu erzielen. Phrasenverdächtig ist zwar die alte Weisheit: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand zugrunde gegangen.“ Richtig ist sie trotzdem.
Firmenchefs haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber normalen Aktionären. Sie wissen weit mehr als jeder Analyst oder Kommentator, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Insider nennt man sie deshalb. Sie melden ihre Orders innerhalb von fünf Handelstagen an die Börsenaufsicht Bafin. Das Handelsblatt veröffentlicht alle zwei Wochen das sogenannte Insider-Barometer, das aus der Summe aller Kauf- und Verkaufsorders Schlüsse für den weiteren Verlauf in Dax & Co. zieht. Jüngste Tendenz: Vorstände und Aufsichtsräte verkaufen mehr als sie kaufen. Vorsicht also!
Terroranschläge und Naturkatastrophen kommen unerwartet. Politische Konflikte wie aktuell zwischen Israel und dem Iran schwelen meist länger. Entscheidende Wahlen wie jüngst in Russland und in diesem Jahr noch in Frankreich und den USA sind vorhersehbar und haben immer Einfluss auf die Börse. Dabei gilt generell: Wahljahre sind gute Börsenjahre.
Mit Optionsscheinen oder Bonus-Zertifikaten lässt sich zwar aus einem Aufwärtstrend ein noch größerer Profit schlagen. Dies sind jedoch in der Regel Wetten ohne realen Hintergrund. Aktien sind reale Werte.
Vor allem Aktien einzelner Branchen unterliegen immer wieder gewissen Moden. Doch die wechseln wie im realen Leben, und manchmal geht das schneller, als man denkt. Das bekommt gerade die einst angesehene Solarenergie-Branche bitter zu spüren.
Die Zinsen sind kaum höher als die deutscher Staatsanleihen.
Bei Spanien stimmt das. Eine fünfjährige spanische Anleihe rentiert nur noch mit 1,7 Prozent, seit die Europäische Zentralbank über Anleihekäufe nachdenkt. Sie wirft damit so viel ab wie US-Anleihen. Allerdings gibt es bei Spanien auch kein Währungsrisiko.
Ist die neue Griechenland-Anleihe mit 4,95 Prozent Rendite für Sie interessant?
Nein. Griechenland ist eine Nische und politisch beladen. Aber die große Linie stimmt in der Peripherie. Anleihen der Euro-Schuldenstaaten bieten einen gewissen Schutz vor Zinserhöhungen. Läuft die Konjunktur im Euro-Land besser, würden die Zinsen erhöht. Die Risikoaufschläge zu deutschen Bundesanleihen könnten sinken, weil sich die wirtschaftliche Lage und die Zahlungsfähigkeit verbessern würden.
Haben Sie niedrige Kurse bei Schwellenländer-Anleihen zum Kauf genutzt?
Nein. Wir halten sie bereits, sind jetzt aber vorsichtiger. Viele Länder bauen Defizite auf, während die Euro-Peripherie sich entschuldet. Spanien hat einen Leistungsbilanzüberschuss, und Anleger kaufen spanische Anleihen, dafür ziehen sie Geld etwa aus Brasilien ab.
Hat die Europäische Zentralbank ein gutes Händchen?
Ja. Das Zinsniveau bleibt niedrig, und die Peripherie entwickelt sich. Aber die EZB und die US-Notenbank müssen aus dem außerordentlichen Modus herauskommen, bevor es eine neue Rezession gibt. Sonst haben sie ihr Pulver verschossen, wenn sie es brauchen. Außerdem steigt die Gefahr, dass eine überbordende Geldversorgung am Aktien- und Immobilienmarkt Blasen aufpumpt.