Messengerdienst Zockerbude Telegram: Wie Anleger in Risiko-Investments gelockt werden

In Telegram-Gruppen wird gezielt dazu aufgerufen, Krypto-Kurse zu manipulieren. Quelle: REUTERS

Der Messengerdienst Telegram ist zu einer beliebten Anlaufstelle für Krypto-Manipulatoren und Finanzjongleure aufgestiegen. Einblicke in eine dubiose Szene.

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Die Operation Mega-Rendite startet an einem Donnerstag Anfang Februar. „Warten Sie auf den großen Gewinn“, so die vollmundige Ansage. „Ich empfehle jedem, mitzumachen.“ Der Moderator einer Telegram-Gruppe hat an diesem Abend nämlich besondere Pläne: Er will gemeinsam mit seiner Gefolgschaft von gut 5600 Mitgliedern des Messengerdienstes massiv in eine Kryptowährung investieren, um den Kurs in die Höhe zu treiben. Wenn die Nutzer auf sein Verkaufssignal warteten, so der Moderator, sei ihnen eine ansehnliche Rendite sicher. Nach bloß 17 Minuten heißt es dann: „SELL SELL SELL!!!“

Es lief wohl zur Zufriedenheit des Moderators. „Wir haben den Markt gesprengt“, freut er sich und bedankt sich bei seinen Mitstreitern. Welche Kryptowährung die illustre Gemeinschaft für ihre Aktion ausgewählt hat, ist im Nachhinein nicht mehr nachvollziehbar. Hinweise darauf wurden aus der Gruppe entfernt – damit nicht später noch Anleger Geld investieren und es verlieren, heißt es. 

Das, was sich in dieser Telegram-Gruppe abspielt, ist keine Seltenheit. In zahlreichen „Pump and Dump“-Gruppen verabreden sich Nutzer, um den Kurs einer Kryptowährung oder auch einer Aktie in die Höhe zu treiben, also aufzupumpen ("pump"), und anschließend mit hohen Gewinnen zu verkaufen ("dump" heißt auf Englisch soviel wie wegwerfen, entsorgen). 

Das Perfide: Ahnungslose oder naive Anleger werden von dem exorbitanten Kursanstieg angezogen und verlieren so Geld. Marktmanipulation ist für manchen Telegram-Nutzer offenbar eine akzeptable Freizeitbeschäftigung.

Telegram bietet längst nicht nur Querdenkern und Extremisten eine reichweitenstarke Plattform. Inzwischen ist der Messengerdienst zu einer beliebten Anlaufstelle für Manipulatoren und windige Finanzjongleure geworden. Das Nutzerinteresse ist groß. Einige Gruppen zählen mehrere Millionen Mitglieder. Die Drahtzieher überschütten sie dort mit zweifelhaften Kaufempfehlungen, offerieren ihnen fragwürdige Privatkredite oder locken sie gar in betrügerische Schneeballsysteme.

Fokus auf Mini-Kryptowährungen

Dass soziale Netzwerke wie Telegram durchaus zum Problem werden, darauf weist mittlerweile auch die Bundesfinanzaufsicht hin. Jüngst warnte sie Privatanleger, sich bei Tipps insbesondere zu Bitcoin und Co. nicht blenden zu lassen. Tatsächlich wird in vielen Gruppen der Bitcoin einseitig als rentable Geldanlage dargestellt. Dass mit Kryptowährungen aber auch hohe Verluste einhergehen können, das wird oftmals kleingeredet.

Bei ihren Pump-and-Dump-Aktionen jedoch konzentrieren sich die Strippenzieher weniger auf die großen Kryptowährungen. Die Marktkapitalisierung des Bitcoin liegt bei etwa 820 Milliarden Dollar. Für kursbewegende Transaktionen bräuchte es einen großen Bitcoin-Bestand. Deshalb zielen Aktionen vor allem auf niedrig kapitalisierte Digitalwährungen mit einem Börsenwert in ein- oder zweistelligem Millionenbereich.

Auch zwielichtige Krypto-Projekte werden über Telegram beworben. Für Aufsehen sorgt derzeit das Netzwerk HyperVerse, das vor kurzem noch unter dem Namen HyperFund auftrat. Finanzaufsichten überall auf der Welt warnen vor Investments in das Projekt. Die WirtschaftsWoche hatte bereits im vergangenen Jahr darüber berichtet.

Die hohen Renditeaussichten locken inzwischen Zehntausende Anleger aus aller Welt. Innerhalb kürzester Zeit soll sich das Investment verdoppeln. Worauf der Wertzuwachs basiert, bleibt offen – genauso wie die Hintergründe der Unternehmen, die das Projekt initiiert haben.



Kritiker warnen, dass es sich bei HyperVerse um ein Schneeballsystem handeln könnte. Ein Schneeballsystem ist darauf angewiesen, dass immer mehr Nutzer ihr Geld investieren. Nur so kann den bereits investierten Anlegern ihre Scheinrendite ausgezahlt werden. Schneeballsysteme brechen zusammen, wenn keine neuen Mitglieder (und kein neues Geld mehr) dazukommen. Ob es sich bei HyperVerse tatsächlich um ein solches Schneeballsystem handelt, mit Gewissheit also erst gesagt werden, wenn es zu spät ist.

Privatkredit bis zu 700.000 Euro?

Für besonderes Aufsehen sorgte im November vergangenen Jahres der Squid-Game-Token. Die Kryptowährung war an die Netflix-Hitserie angelehnt, in der Menschen in Kinderspielen um einen hohen Millionengewinn gegeneinander antreten – und getötet werden, wenn sie verlieren.

Der Kurs des Squid-Game-Tokens wuchs binnen zwei Wochen von 0,01 Dollar auf 2856 Dollar – ein Wertzuwachs von 28.559.900 Prozent. Doch die Anleger erlitten einen Totalverlust, denn die Initiatoren machten sich offenbar mit rund drei Millionen Dollar Anlegergeld aus dem Staub. Beworben hatten sie den Coin vor allem in sozialen Netzwerken und mit Messengern – wie Telegram eben.

Tatsächlich ist es relativ einfach, einen eigenen Krypto-Token zu lancieren. Das wissen auch Betrüger. Sie nutzen Telegram-Chats, um ihren Coin unter Anlegern zu bewerben und bedienen sich anschließend an deren Investmentgeldern.

Bei Telegram versteht man sich nicht nur als Renditeorakel, sondern auch als Ersatz für Kreditinstitute. In mehreren Gruppen werden Zehntausenden Nutzern Kredite für ein Eigenheim, ein schickes Auto oder was sonst das Konsumentenherz begehrt angeboten. Bis zu 700.000 Euro sollen sie bekommen, zu einem Zinssatz von zwei Prozent.

Auf Anfrage wollen die Drahtzieher für einen Kredit in Höhe von 80.000 Euro weder eine Bonitätskontrolle durchführen noch eine Schufa-Auskunft einholen. „Ich werde dir helfen“, schreibt jemand, der sich als Petra ausgibt - und will einzig wissen, wie lange die Rückzahlung dauern wird. Ob das gut geht?

Dass die Telegram-Finanzberatung nicht immer funktioniert, zeigt ein Blick in eine weitere Gruppe. Dort wurde dazu aufgerufen, einen Mini-Coin durch massive Käufe in die Höhe zu treiben. „Unser erster Pump ist fehlgeschlagen“, müssen die Initiatoren zugeben. Schwamm drüber, Fehler passieren, so deren Devise. Jetzt hoffen sie, dass beim nächsten Pump mehr Anleger teilnehmen.

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