
Eigentlich ist er größere Bühnen gewöhnt. In einem unscheinbaren Konferenzraum des Bamberger „Hotel National“ steht Heinrich von Pierer vor einer Gruppe älterer Damen und Herren. Bei Wasser und Apfelschorle soll der Ex-Siemens-Chef seine Zuhörer davon überzeugen, MIG Fonds zu kaufen, die sich an jungen Unternehmen beteiligen. MIG steht für das stocksolide „Made in Germany“. Von Pierer berät heute Unternehmen – auch einige, an denen die Fonds beteiligt sind. Der Name zieht noch. Nach dem Vortrag geht der 73-Jährige von Tisch zu Tisch, ein Wort hier, ein Prosit da.
Doch der Eindruck von Gemütlichkeit täuscht. Die Fragen der Anleger sind kritisch wie einst die der Siemens-Aktionäre zur Korruptionsaffäre. Denn die Ausschüttungen der Fonds waren gering, weil die 2004 gestartete MIG Gruppe bisher nur vier Beteiligungen verkauft hat.
Höhere Erträge brachten nur zwei Verkäufe, der Leipziger Biotech-Entwickler Sovicell ging gar für einen symbolischen Euro raus. In Werbebroschüren spricht die Gruppe von „vier bis sieben Jahren Haltedauer“. Danach soll in der Regel ein „Exit“ kommen. Die beiden Medikamentenentwickler Isarna und Virologik aber liegen seit fast zehn Jahren wie Blei in den Fonds. Die MIG Verwaltungs AG begründet die fehlenden Verkäufe unter anderem mit dem schwachen Kapitalmarktumfeld für Technologiefirmen.
Fragen & Antworten zum Kleinanlegerschutz
Die Bundesregierung will Anbieter und Vermittler von Vermögensanlagen enger an die Kandare nehmen. Das Ziel: Anleger sollen die Erfolgsaussichten einer Vermögensanlage besser einschätzen können. Dazu sollen Anbieter von Finanzprodukten - zum Beispiel Genussscheinen, Nachrangdarlehen oder Namensschuldverschreibungen - in Prospekten besser und aktueller über die Anlage und ihre Risiken informieren. Unzulässige „Schneeballsysteme“ sollen eingedämmt werden. Die Finanzaufsicht Bafin kann die Werbung für bestimmte Geldanlagen einschränken oder ganz verbieten, wenn sie Bedenken wegen des Anlegerschutzes hat.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband plädiert für ein generelles Vertriebsverbot von Finanzprodukten des Grauen Marktes, der nur eingeschränkt von der Bafin kontrolliert wird. Es handele sich um Produkte, „die nicht für die Altersvorsorge und den Vermögensaufbau in Frage kommen“, argumentiert der VZBV. Sie sollten daher nicht öffentlich angeboten werden. Positiv sei aber, dass künftig Anbieter aller Vermögensanlagen Mindestinformationen über Produkte liefern müssten, die an Verbraucher verkauft werden können. Zudem sei keine uneingeschränkte Werbung mehr möglich. „Diese Einschränkung darf im weiteren Gesetzgebungsprozess aber nicht verwässert werden“, fordert VZBV-Finanzexpertin Dorothea Mohn.
Die Deutsche Kreditwirtschaft als Dachorganisation von Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken kritisierte, dass der von Gewerbeämtern beaufsichtigte Graue Kapitalmarkt weiterhin nicht umfassend von der Bafin kontrolliert werden soll. „Nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht kann ein einheitliches, qualitativ hohes Schutzniveau für alle Verbraucher sicherstellen“. So weit geht der Gesetzesentwurf allerdings nicht. Kritik gibt es auch am Zeitpunkt. Die Regelungen müssten möglicherweise später wegen überarbeiteter EU-Vorschriften (Mifid II) nocheinmal geändert werden.
Berlin plant Sonderregelungen für Start-ups und junge Unternehmen, die bei der Finanzierung ungewöhnliche Wege gehen. Sie beschaffen sich zum Beispiel Geld, indem viele Menschen mit relativ kleinen Einzelbeträgen Projekte, Produkte oder die Umsetzung von Geschäftsideen unterstützen (Crowdfunding). Diese Unternehmen sollen keinen Verkaufsprospekt veröffentlichen müssen, wenn die Gesamtsumme eine Million Euro nicht übersteigt und jeder Anleger nicht mehr als insgesamt 10.000 Euro in das Projekt steckt. Der Branchenverband Bitkom kritisiert die Schwellen als viel zu niedrig. Start-ups und jungen Unternehmen der digitalen Wirtschaft werde ein möglicher Weg der Finanzierung abgeschnitten. Der VZBV argumentiert dagegen: „Für das Gros der Kleinanleger sind 10.000 Euro eine bedeutende Summe und kaum Spielgeld“. Sie plädieren für deutlich niedrigere Schwellen von höchstens 1000 besser noch 500 Euro. So sollten die Interessen der Anleger und kleiner, junger Unternehmen berücksichtigt werden.
Junge Unternehmen sind ohne Frage wichtig. Die WirtschaftsWoche fördert sie mit dem Gründerpreis „Neumacher“. MIG-Vorstand Michael Motschmann, der als erfahrener Scout mit einem Riecher für vielversprechende Start-ups gilt, sitzt in der Jury. Ob Risikokapital, wie von den MIG-Fonds unterstellt, etwas für Durchschnittsanleger ist, steht auf einem anderen Blatt. Privatanleger binden sich über viele Jahre an riskante, oft von einem Produkt abhängige Unternehmen, die häufig scheitern. Auch wenn Fonds das Risiko streuen, sind massive Verluste möglich. Bei den MIG Fonds werfen zudem hohe Kosten und ein fragwürdiges Wechselspiel von Abschreibungen und erneuten Investitionen in dieselben Unternehmen Fragen auf.
Verkauft werden die MIG Fonds über die HMW Innovations AG. Mit 13 Fonds, der Vertrieb für einen weiteren läuft gerade an, haben die Verkäufer über 950 Millionen Euro bei mehr als 50 000 Anlegern platziert. Früher hieß der Vertrieb Alfred Wieder AG. Der Namensgeber zog sich 2013 offiziell aus dem Unternehmen zurück, kassiert allerdings über HMW-Vorzugsaktien weiter kräftig mit.
Das Kapital der Anleger steckt in 28 jungen Unternehmen, die meisten aus Biotech und Pharma. Ihre Macher träumen davon, das nächste Wundermittel gegen Krebs oder Alzheimer zu entwickeln.
Über einen Treuhänder fließen die Anlegergelder in ein komplexes Firmengeflecht. Eine „ungewöhnlich hohe Rendite“ sei möglich, heißt es etwa im Prospekt des Fonds MIG 13. Abseits des Pamphlets wurden auch mal zweistellige Zuwächse als Ziel ausgegeben. Doch dafür bräuchte es mehr gewinnbringende Verkäufe.