Nach Erdoğans Wahlschlappe Bietet die Türkei Anlegern wieder Chancen?

Biete die Türkei Anlegern wieder Chancen? Quelle: dpa

Nachdem Präsident Erdoğans AKP die Wahl in Istanbul verloren hat, deutet sich in der Türkei auch eine wirtschaftliche Erholung an. Ob das Fondsanlegern Chancen eröffnet, ist aber noch nicht ausgemacht.

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Der türkische Aktienmarkt hat die Istanbul-Wahl bejubelt – und so dürften auch Aktienfonds mit Schwerpunkt Türkei für viele Anleger früher oder später wieder attraktives Potenzial bieten. Der wichtigste Index des Landes, der ISE 100 oder ISE National 100, hat sich bereits seit Ende Mai innerhalb von knapp sechs Wochen um rund 18 Prozent verbessert. Als Ursache dafür haben in- und ausländische Experten den absehbaren Sieg der Opposition bei der Kommunalwahl in der größten Stadt des Landes am 22. Juni ausgemacht.

Dennoch stellen sich einige Fragen: Wie aussagekräftig ist das Ergebnis für die Stimmung in der Türkei insgesamt? Und wie nachhaltig ist der Stimmungsumschwung? Oder ist es nur ein Sonderergebnis der großen Metropole, das nicht einfach eins zu eins auf die gesamte Republik übertragen werden kann? Dabei ist es so, dass Istanbul nicht die erste Stadt des Landes ist, die an die Opposition gefallen ist. Alle weiteren großen türkischen Städte wie Izmir und Ankara werden inzwischen von der Oppositionspartei regiert. Wie die Politologin Bilgin Ayata erklärte, sei die Türkei in den vergangenen Jahren von einer sehr tiefen Spaltung geprägt, da sich ohnehin fast die Hälfte der Bevölkerung sehr stark gegen die Regierung Erdoğans gestellt habe.

Selbst die so arg gebeutelte Türkische Lira, deren Wert sich gegenüber dem Euro in den zurückliegenden drei Jahren geradezu halbiert hat, zeigt sich seit der Wahl Ende Juni in einer deutlich besseren Verfassung. So zog der Kurs der heimischen Währung innerhalb von nur zehn Tagen um rund drei Prozent an. Experten sehen dafür in erster Linie die Entspannung im Streit zwischen der Türkei und den USA als Ursache – indirekt könnte aber auch die Verhandlungsbereitschaft Erdoğans auf den Machtverlust im eigenen Lande zurückzuführen sein.

Nachdem die Euphorie in Anbetracht des Sieges des Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu bei der nachgeholten Bürgermeister-Wahl in Istanbul groß ist und die Türkische Lira sowie der Leitindex legten zeitweise deutlich zugelegt hatten, schrieb die Commerzbank in einem Kommentar: „Das Ergebnis deutet darauf hin, dass in der Türkei freie und faire Wahlen stattfinden und demokratische Prozesse funktionieren.“

Türken wollen eine andere Wirtschaftspolitik

Piotr Matys, Stratege für Schwellenländer bei der niederländischen Rabobank erklärt: „Das Wahlergebnis spiegelt die wachsende Unzufriedenheit der Wähler über die wirtschaftlichen Probleme von anhaltend hoher Inflation und einer schwachen Währung.“ Viele Anleger hoffen daher, dass der Sieg Imamoglus eine Initialzündung darstellt und wichtige Reformen in der Türkei in Gang setzt. Matys ist jedoch skeptisch, ob sich die Hoffnung so schnell erfüllen wird: „Es ist eine klassische Erleichterungsrallye und wahrscheinlich wenig nachhaltig.“

Die angespannte wirtschaftliche Situation in der Türkei dürfte unter anderem auf die unorthodoxe Wirtschaftspolitik Erdoğans zurückzuführen sein. So hatte die Regierung beispielsweise Anfang des Jahres nach den stark gestiegenen Preisen für Obst und Gemüse, vegetarische Grundnahrungsmittel von Behörden verkaufen lassen. Sollten im Zuge einer politischen Umkehr derart willkürliche Eingriffe mehr und mehr ausbleiben, wäre der Weg zurück zu geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen frei. Und da die Börse Hoffnungen darauf als längerfristigen Trend aufnehmen könnte, wären die Aussichten auf starke Renditen im türkischen Markt gar nicht so unrealistisch.

Türkei-Fonds für Wagemutige

Hoffnungsschimmer für Anleger

Obwohl sich die gesamtwirtschaftliche Situation der Türkei beispielsweise wegen einer hohen Arbeitslosenquote von 14 Prozent und einer grassierenden Inflation von rund 20 Prozent alles andere als rosig darstellt, könnte mit der sich - wenn auch nur vage – abzeichnenden politischen Umkehr eine ökonomische Trendwende einhergehen. Denn wie Gregor Holek, Türkei-Experte bei der österreichischen Raiffeisenbank, feststellt: „Das Kurs-Gewinn-Verhältnis türkischer Aktien ist mit einem Wert von 7,1 noch sehr niedrig.“ Und der Gewinn liegt ja bekanntlich im Einkauf, sagt eine alte Anleger-Binse.

So haben etwa entsprechende Finanzprodukte bereits reagiert. Einer der aussichtsreichsten Aktienfonds mit Schwerpunkt Türkei, der HSBC GIF Turkey Equity, hat seit Ende Mai in Euro um mehr als 30 Prozent zugelegt. Der vor allem auf türkische Titel aus dem Sektor Konsum fokussierte Fonds, hat keinerlei Beschränkung auf die Marktkapitalisierung – beschränkt sich also nicht nur auf großen Schwergewichte und mittelgroßen Unternehmen, sondern darf auch in kleine und exotische Werte investieren. Das zumindest hat sich für Anleger schon gelohnt.

Für interessierte ETF-Anleger bietet der Finanzmarkt ebenfalls Alternativen, auch wenn diese nicht ganz an die Performance von Aktienfonds mit Schwerpunkt türkische Unternehmen heranreichen. Aber das wäre bei diesem relativ kleinen und speziellen Anlageuniversum auch verwunderlich.

Ob ein Investment in die Börse der Türkei derzeit sinnvoll erscheint, ist schwer zu beantworten. Für besonders mutige Investoren jedoch gilt: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“

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