Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank hat in Deutschland klare Folgen: Die Bürger verlieren Milliarden, die Finanzminister gewinnen. Deswegen wächst der Druck auf den Bund.
Deutschlands Sparern gehen durch die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank alljährlich Milliarden Euro verloren. Die jährlichen Zinsgutschriften auf Spareinlagen sind von 2009 bis 2015 auf ein Drittel ihrer früheren Höhe geschrumpft - von 13,8 auf 4,4 Milliarden Euro, wie aus den in den Monatsberichten der Bundesbank veröffentlichten Zahlen hervorgeht.
Dabei sind für die Bürger die tatsächlichen Nullzins-Verluste noch weit höher als nur die verlorenen Zinsgutschriften auf dem Sparbuch. Nicht enthalten in den monatlich veröffentlichten Zahlen der Bundesbank zu den Spareinlagen sind die Verluste bei Bausparverträgen, Lebensversicherungen und anderen Kapitalanlagen.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Die großen Gewinner hingegen sind Bund und Länder: Die Ausgaben für die Schuldzinsen sind stark geschrumpft - allein der Bund zahlte 2015 fast 15 Milliarden Euro weniger als 2009, abzulesen an den Haushaltszahlen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) fordert eine Wiedergutmachungsaktion: Es wäre „mehr als gerechtfertigt, wenn insbesondere der Bund durch eine stärkere Unterstützung des Sparens einen Teil dieser Vorteile wieder an die benachteiligten Sparer zurückgäbe“, sagte Präsident Georg Fahrenschon in dieser Woche.
„Die anhaltende Niedrigzinsphase bringt zunehmend die persönliche Lebensplanung von Millionen Bundesbürgern in Gefahr“, kritisiert Sparkassenpräsident Fahrenschon. „Viele Menschen sehen es realistisch und gehen daher davon aus, dass sie wegen fehlender Zinserträge nicht mehr zum vorgesehenen Zeitpunkt in Rente werden gehen können.“ Fahrenschon fordert vom Bund eine Änderung des Vermögensbildungsgesetzes, mit der der Bund seine Förderung des Sparens aufstocken würde.
Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen
Verbraucher sparen bei Darlehen, ob für den neuen Fernseher oder für die eigenen vier Wände. Hausbauer können sich zu historisch günstigen Konditionen Geld leihen. Nach Angaben des Bankenverbandes BdB sind Hypothekendarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung derzeit zu Effektivzinsen von durchschnittlich etwa 1,4 Prozent zu haben. 2007 lagen sie noch bei mehr als fünf Prozent.
Billiger ist es auch geworden, das eigene Konto zu überziehen. Vor fünf Jahren lagen die Dispozinsen nach Angaben der Finanzberatung FMH im Schnitt noch bei 11,26 Prozent. Mittlerweile sind es demnach durchschnittlich 9,51 Prozent.
Seit Jahren ist günstiges Notenbankgeld der zentrale Treibstoff für die Börsen. Aktionäre können von steigenden Kursen profitieren. Zuletzt wagten sich die eher börsenscheuen Deutschen wieder stärker an den Aktienmarkt. Knapp 9,01 Millionen Menschen besaßen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts im vergangenen Jahr Aktien und/oder Anteile an Aktienfonds - das ist der höchste Stand seit 2012.
Mit der Ausgabe von Anleihen finanziert die öffentliche Hand - neben Steuereinkünften - einen Großteil ihrer Ausgaben. Am Montag fiel die sogenannte Umlaufrendite, die ein durchschnittliches Maß für die „Verzinsung“ von Staatspapieren mit einer Laufzeit von drei bis 30 Jahren ist, in Deutschland erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik in den negativen Bereich. Der Bund „verdient“ in einer solchen Situation somit an seiner eigenen Schuldenaufnahme, anstatt den Gläubigern - den Käufern der Anleihen - einen Zins zu zahlen.
Stand: 7. Juni 2016
Die CSU verlangt Ausgleich in anderer Form: „Dieses Geld muss an die Menschen zurückgegeben werden“, sagte Bayerns Finanzminister Markus Söder auf Anfrage. „Die Zeit ist reif für Steuerentlastungen. Wir wollen die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen um mindestens zehn Milliarden Euro entlasten.“ DZ-Bank-Chefvolkswirt Stefan Bielmeier hatte am Freitag einen staatlichen Altersvorsorgefonds angeregt, der aus den Zinsersparnissen der öffentlichen Hand finanziert werden soll.
Der Anlass dieser Forderungen: 2009 zahlte der Bund noch 38,1 Milliarden Euro Kreditzinsen an die Banken. Im vergangenen Jahr waren es laut Finanzbericht 2016 des Ministeriums lediglich 23,2 Milliarden - obwohl der Schuldenberg der Bundesregierung von über einer Billion Euro seit 2009 weiter gewachsen ist.
Wie sehr der Bund von der Nullzinspolitik profitiert, macht eine andere Rechnung noch sehr viel deutlicher: der Vergleich mit den ursprünglichen Befürchtungen im Hause Schäuble. So prophezeiten die Bundeshaushälter im Jahr 2011 für 2015 noch eine Zinsbelastung von 49 Milliarden Euro, nachzulesen unter anderem im damaligen Jahresbericht des Bundesrechnungshofs. Tatsächlich wurde wegen des Zinsverfalls dann weniger als die Hälfte dieser Summe fällig.