Notenbank steckt im Dilemma Die Fed traut sich nicht

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Unterschiedliche Ziele

Die Amerikaner haben einen weiteren Vorteil, ist sich Ökonom Polleit sicher. „Ihr Bankenapparat ist weitgehend funktionsfähig und relativ klein. Die Bilanzsumme der US-Banken entspricht ungefähr 85 Prozent des Volkseinkommens.“ Zum Vergleich: im Euroraum beträgt diese Quote etwa 320 Prozent.

Keine Deflation in Sicht

Auch in Jahr acht nach Ausbruch der Finanzkrise ist in Europa und Japan kein Ende der hyperexpansiven Geldpolitik in Sicht. Mit immer neuen Maßnahmen versuchen die EZB und die Bank of Japan, die Wirtschaft zu stimulieren. Im Frühjahr erst senkte EZB-Chef Mario Draghi nicht nur erneut den Leitzins. Auch der Zins für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB liegt seitdem bei minus 0,4 Prozent.

All das sind verzweifelte Versuche, die gefürchtete Deflation zu verhindern. In der Tat liegt die Inflationsrate im Euroraum derzeit bei etwa Null Prozent, unterschritt im April und Mai sogar die Nulllinie. Von einer echten Deflation kann aber trotzdem keine Rede sein. Sie ist durch das Schrumpfen der Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) definiert - und die expandiert wegen der laufenden Druckerpressen um mehr als zehn Prozent. Wir haben eine Geldmengeninflation.

Janet Yellen - die erste Frau an der Spitze der Fed
Janet Yellen galt als Favoritin für den Posten an der Spitze der US-Notenbank, seitdem der frühere Finanzminister Lawrence Summers Mitte September erklärt hatte, er stehe für das Amt des Fed-Vorsitzenden nicht zur Verfügung. Die 67-jährige Yellen gilt als enge Vertraute Ben Bernankes. Seit 2012 ist sie stellvertretende Vorsitzende der Fed. Quelle: AP
Hinsichtlich der Finanzkrise hat Janet Yellen eine weißere Weste als Summers. „Vielmehr noch hat Yellen frühzeitig die großen Gefahren der Finanzkrise erkannt und mit als erste davor gewarnt“, sagt Fed-Beobachter Bernd Weidensteiner von der Commerzbank. Quelle: AP
Seit den 70er Jahren arbeitete die Ökonomin immer wieder für die Fed in Washington, war später auch Chefin der Notenbank in San Francisco. Zwischendurch beriet sie den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Quelle: REUTERS
Yellen ist eine ausgewiesene Arbeitsmarktexpertin - ein Pfund, mit dem sie wuchern kann. Denn die Fed hat anders als etwa die EZB nicht nur den Auftrag, für stabile Preise zu sorgen, sondern auch für Vollbeschäftigung. Und sie koppelt ihre Zinspolitik an die Arbeitslosenquote, die mit über sieben Prozent zwar langsam fällt, aber noch immer auf einem für amerikanische Verhältnisse hohen Niveau liegt... Quelle: REUTERS
Die Fed versucht, die Lage mit massiven Konjunkturhilfen zu verbessern. Die Maßnahmen - etwa milliardenschwere Anleihe-Käufe - haben aber Nebenwirkungen für die Wirtschaft und sind daher umstritten. Die frühere Berkeley-Professorin Yellen betont, im Zweifelsfall eine höhere Inflation für eine niedrigere Arbeitslosenquote in Kauf zu nehmen. Quelle: AP
Yellen ist in der fast 100-jährigen Geschichte der Zentralbank die erste Frau an der Spitze. Sie steht für eine Fortsetzung der ultra-lockeren Geldpolitik Bernankes. Mit ihr dürfte die Fed Experten zufolge noch länger auf Konjunkturhilfen setzen und eine Zinserhöhung auf die lange Bank schieben. Quelle: dpa
Yellen gilt als konsens-orientiert, loyal und uneitel. Stets hat sie in ihrer langjährigen Laufbahn in der Fed alle Beschlüsse der Führung mitgetragen und sich nicht ins Rampenlicht gedrängt. Quelle: REUTERS

Preisdeflation würde bedeuten, dass die Verbraucherpreise sinken. Die EZB schürt die Furcht vor dieser Art von Deflation seit Jahren. Damit liegt sie jedoch falsch. Verbraucher und Wirtschaft würden von sinkenden Preisen profitieren, erst recht wenn sie mit einer steigenden Produktivität einhergehen.

In Europa sind die Banken seit Jahren kaum noch in der Lage und teils nicht mehr Willens, Kredite zu vergeben. Während in den USA über eine Zinserhöhung diskutiert wird, scheint in anderen Wirtschaftsregionen kein Ende der expansiven Geldpolitik in Sicht.

Helikoptergeld in Japan und Europa?

Im Gegenteil. „Es gibt keine Tabus mehr“, sagt Polleit. Früher oder später muss deshalb Helikoptergeld kommen, glaubt Polleit. Etwa in Japan, das schon lange mit niedrigen Inflationsraten zu kämpfen hat. „Die Probleme werden dazu führen, dass EZB oder die Bank of Japan davon Gebrauch machen werden.“

Milton Friedman, der spätere Wirtschafts-Nobelpreisträger, brachte 1969 die Idee auf, dass Helikoptergeld über einer Stadt abzuwerfen. Genau so wird es nicht kommen. Aber es gibt Alternativen, die den gleichen Effekt erzielen würden.

Zum Beispiel könnte jeder Bürger eine bestimmte Summe frisch gedruckten Geldes bekommen, zum Bezahlen von Schulden, Sparen oder Konsumieren. Denkbar wäre auch, dass ein Land beim Auslaufen einer Staatsanleihe die Anleger ausbezahlt, dazu aber keine neue Staatsanleihe begibt. Das würde den absoluten Schuldenstand des Staates verringern.

In den vergangenen Monaten haben sich einige Experten zu Wort gemeldet, um das Konzept zu vertreten. Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzmarktaufsicht FSA, sagt, die Zentralbanken sollten zu einer "monetären Finanzierung" übergehen.

Im Klartext hieße das: Der Staat soll mehr Geld ausgeben und dieses Mehr direkt von der Notenbank überwiesen bekommen - ohne Rückzahlung. 

Unterschiedliche Aufgaben von Fed und EZB

Kritikern geht es im Kern darum, dass der EZB Staatsfinanzierung grundsätzlich verboten ist. Und die Geschichte legt nah, dass das in der Tat keine gute Idee wäre. Staaten, die ihre Schulden und Staatsausgaben mit der Gelddruckmaschine finanzieren wollten, hatten rasch mit Preisblasen oder Hyperinflation zu kämpfen. Und auch die Geldflut der EZB wird die Verbraucherpreise über kurz oder lang nach oben treiben.

Die Aufgaben der EZB und der Fed unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Die Federal Reserve ist neben der Geldpolitik auch der Vollbeschäftigung und dem Wirtschaftswachstum verpflichtet, während die EZB vorrangig Geldwertstabilität zu sichern hat.

Der Fed stehen dazu verschiedene Instrumente zur Verfügung. So vergibt sie zum Beispiel sogenannte Kredite an Geschäftsbanken und setzt die Mindestreservesätze fest, die eine Geschäftsbank halten muss. Außerdem steuert sie die Geldmenge über sogenannte Offenmarktgeschäfte. Dabei werden Staatspapiere von der Zentralbank angekauft oder verkauft. 

Die Kernaufgabe der EZB besteht darin, Preisstabilität zu erreichen. Diese definiert sie mit einer Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Insofern kann man durchaus die Meinung vertreten, dass die EZB seit einiger Zeit nicht mehr im Bereich ihres Mandats agiert. Indem sie Staatsanleihen kauft betreibt sie indirekte Staatsfinanzierung, das ist ihr gemäß der EU-Verträge nicht gestattet.

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