Notenbanken Die weltfremde Logik der EZB

Nach sechs Jahren expansiver Geldpolitik ohne nachhaltige Wirkung scheint den Zentralbanken nur noch eine Option zu bleiben – sie müssten die Staatsschulden de facto selbst übernehmen. Was lange Zeit undenkbar war, wird heute immer offener als Option diskutiert.

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Mario Draghi mit 20 Euro Note Quelle: dpa

Es sind waghalsige Experimente, die die großen Notenbanken in den USA, Europa und Japan seit Jahren unternehmen: Um ihre Länder vor einer tiefen strukturellen und ökonomischen Krise zu bewahren, fahren die jeweiligen Währungshüter gigantische Wertpapier-Kaufprogramme, staatlich administrierte Null- und Negativzinsen und die offene Abwertung von Währungen auf.

Heinz-Werner Rapp, Vorstand und Chief Investment Officer beim Vermögensverwalter FERI Quelle: Presse

War Zentralbankpolitik früher ein seriöses, fast beschauliches Handwerk mit klaren Regeln, ist sie heute ein Spielfeld für geldpolitischen Voodoo-Zauber. Und mit welchem Ergebnis?

Die angestrebten Inflationsziele werden nicht annähernd erreicht – im Gegenteil: Die meisten Länder verzeichnen seit geraumer Zeit eine deutlich sinkende Preisdynamik und oft sogar klar deflationären Druck. Auch das Wachstum hat sich – von einem konjunkturellen Strohfeuer in den USA abgesehen - nirgendwo auf der Welt zuletzt erkennbar belebt. Trotz anhaltender Geldfluten steht die globale Weltwirtschaft schwächer da als vor drei Jahren – und auch das Jahr 2016 dürfte geprägt sein durch fragile Märkte mit starken Einbrüchen, Rezessionsrisiken und stark deflationären Unterströmungen.

Zur Person

Weltfremde Logik

Die Logik der Zentralbanken, allen voran der EZB, dass das Finanzsystem durch noch tiefere Negativ-Zinsen belebt werden könnte, ist weltfremd. Das zeigt sich unter anderem an der aktuellen Krise der Bankaktien: Die Geldhäuser stecken in einem Dilemma, weil sie in einem Umfeld negativer Zinsen Kreditausfälle bewältigen müssen und zusätzlich unter den Kosten der Regulierung leiden. Profitables Wirtschaften ist so kaum möglich.

Trotz dieser ernüchternden Bilanz wird einfach weitergemacht wie bisher - nach dem Motto „Viel hilft viel“. Bei einem Medikament, das eigentlich zur Linderung verschrieben wird, kann eine Überdosierung toxisch wirken. Dass das auch für die Geldpolitik gilt, haben immerhin nun auch die obersten Währungshüter anderer europäischer Länder erkannt: Sowohl die schwedische als auch die dänische und die Schweizer Zentralbank mahnen in Richtung EZB, dass die Maßnahmen ein Limit erreicht habe, an dem die langfristigen Kosten den kurzfristigen Nutzen klar übersteigen.

Ultima Ratio der Geldpolitik

Bleibt die Frage: Wenn alle monetären Experimente am Ende nichts bewirken, welche Optionen bleiben dann überhaupt noch? Im Kampf gegen deflationäre Kräfte könnten die Zentralbanken gezwungen sein, zu noch extremeren Maßnahmen zu greifen: Etwa ein konkretes Inflationsziel anzukündigen - und dieses durch unlimitierte Geldschöpfung auch zu realisieren. Als Ultima Ratio könnten sie sogar zu einer Politik der offenen monetären Finanzierung von Staatsschulden übergehen. Die Zentralbanken würden dann de facto bereits bestehende oder auch neue Staatsschulden übernehmen. Diese als „OMF“ („overt monetary financing“) bereits offen diskutierte Option hätte einen eindeutigen Effekt: Inflation würde – quasi mit Gewalt – herbeigezwungen, die Deflation wäre beendet. Das OMF-Konzept geht auf Lord Adair Turner zurück, den früheren Vorsitzenden der britischen Finanzmarktaufsicht FSA.

Auch wenn es heute vielen Marktteilnehmern noch wie ein undenkbares Theorem erscheint, nähern sich einige Zentralbanken dem OMF bereits an: Speziell die Bank of Japan, aber auch die EZB, die Bank of England und die US-FED sind auf dem besten Weg, die letzte Karte der Geldpolitik auch tatsächlich zu spielen. Letztlich fehlt zu einer echten OMF-Politik wohl nur noch der politische Rahmen. Doch auch hier gibt es schon erste Signale: Zuletzt haben sowohl die OECD als auch das japanische Finanzministerium sowie die Spitzenpolitiker beim G 20 Gipfel in Singapur verlauten lassen, dass "man" mehr schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme einsetzen müsse, um die Weltwirtschaft vor dem Absturz zu bewahren.

Todesstoß für Finanz- und Währungssystem

Ein OMF-Szenario würde sich sicher zunächst positiv auf Aktien und andere Risiko-Assets auswirken, für die Nullzins-geprägten Rentenmärkte jedoch wäre es höchst gefährlich. Und es wäre wohl der Todesstoß für das bisherige marktbasierte Finanz- und Währungssystem.

Für Investoren ist somit im weiteren Jahresverlauf große Vorsicht angebracht. Das Vertrauen in die Allmacht der Notenbanken ist ohnehin schon erschüttert – wenn die Geldpolitik nicht bald erkennbare deutliche Effekte bringt, wird es zu weiteren massiven Verwerfungen an den Kapitalmärkten kommen. Der Jahresanfang gab dafür bereits einen Vorgeschmack.

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