




Frankfurt Obwohl viele Notenbanker schon lange von einer Zinswende sprechen, zweifeln die Märkte, ob sie tatsächlich kommt. Die US-Notenbank Fed und die Bank von England zögern mit einer Zinserhöhung, vor allem aus Angst davor, was ein solcher Schritt in den Schwellenländern auslösen könnte. Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) hingegen deutet manches auf eine weitere geldpolitische Lockerung hin.
So hält Spaniens Notenbankchef und EZB-Ratsmitglied Luis Maria Linde die geringe Inflation im Euroraum für „besorgniserregend“. Im September waren die Preise in der Euro-Zone um 0,1 Prozent zurückgegangen. Eigentlich strebt die EZB auf mittlere Sicht eine Preissteigerung von knapp zwei Prozent an. Linde brachte deshalb verstärkte Geldspritzen der EZB ins Gespräch.
Auch die Zusammensetzung des von der Zentralbank betriebenen Wertpapierankaufprogramms könne verändert werden. Aus Sicht vieler Ökonomen ist es lediglich eine Frage der Zeit, wann die EZB weitere Maßnahmen beschließt. Sie könnte zum Beispiel mehr Anleihen kaufen als geplant oder den Zeitraum der Käufe über den September 2016 hinaus ausweiten.
Fragen zum EZB-Anleihekaufprogramm
Die Preisentwicklung im Euroraum bereitet den Notenbankern Sorgen. Im Januar und Februar sind die Verbraucherpreise auf Jahressicht jeweils gesunken. Deshalb befürchten die Währungshüter eine Deflation, also einen anhaltenden Preisrückgang quer durch die Warengruppen. Das könnte dazu führen, dass Verbraucher und Unternehmen Anschaffungen in Erwartung weiterer Preissenkungen verschieben und die Wirtschaft erlahmt. Dies will die EZB mit den Käufen verhindern: „Das Programm wird dazu beitragen, die Inflation wieder auf ein Niveau zurückzuführen, das mit dem Ziel der EZB im Einklang steht.“ Die EZB strebt eine Teuerungsrate von knapp zwei Prozent an.
Die EZB kauft Wertpapiere am Sekundärmarkt - also nicht direkt bei Staaten, sondern bei Banken oder Versicherern. So wird Geld ins Finanzsystem geschleust. Die EZB erwartet, dass das Programm den Unternehmen in ganz Europa helfen wird, leichter Zugang zu Krediten zu erhalten. Das werde die Investitionstätigkeit steigern, Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum insgesamt stützen. Dafür druckt sich die EZB quasi selbst Geld, die Menge (Quantität) des Zentralbankgeldes nimmt zu, daher der Begriff „Quantitative Lockerung“ (QE).
Die EZB will Papiere von Eurostaaten, von internationalen Institutionen wie der Europäischen Investitionsbank (EIB) oder von nationalen Förderbanken wie der KfW kaufen. Bei Staatsanleihen gilt: Gekauft werden nur Papiere von guter Bonität. Anleihen, die von Ratingagenturen als Ramsch gewertet werden, sind außen vor - es sei denn, das Land befindet sich in einem Sanierungsprogramm der EU und erfüllt alle Sparauflagen. Die Überprüfung des Programms muss abgeschlossen sein. Damit ist im Moment ausgeschlossen, dass die EZB Anleihen Zyperns oder Griechenlands kauft.
Bislang vor allem wie ein Schmierstoff für Aktienmärkte. Da viele andere Geldanlagen wegen der niedrigen Zinsen kaum noch etwas abwerfen, stecken Investoren ihr Geld in Aktien. Die Kurse steigen. Experten warnen, dass dadurch Blasen an den Aktienmärkten entstehen können. Ähnliches gilt für Immobilienmärkte. Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret sieht die Gefahr, dass viele Anleger auf der Suche nach Rendite zu Vermögenswerten greifen, die sie bisher wegen deren Risiken gemieden haben: „Die Entstehung von Preisblasen wird damit wahrscheinlicher, und das könnte zu einem Problem für die Stabilität des Finanzsystems werden.“
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet, dass der Reformeifer in Krisenländern nachlassen könnte - schließlich wird das Schuldenmachen billiger, wenn die EZB als großer Akteur auf den Plan tritt. Kritiker werfen der EZB zudem vor, sie finanziere letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit.
Im Prinzip schon, doch sie hat ihr Pulver weitgehend verschossen. Das gilt vor allem für die Zinsen, mit denen die Geldpolitiker eigentlich die Inflation steuern: Eine Zinssenkung verbilligt Kredite und soll Konjunktur wie Inflation antreiben. Doch die EZB hat den Leitzins schon auf 0,05 Prozent gesenkt, also quasi abgeschafft. „Gäbe es noch Spielraum, so hätte die EZB die Leitzinsen bereits gesenkt. Da diese Möglichkeit aber nicht mehr bestand, war das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten das einzig geeignete Instrument, mit dessen Hilfe die EZB ein ähnliches Ergebnis erreichen konnte“, erklärt die EZB.
Doch auf längere Sicht sind mit den extrem niedrigen Zinsen immer größere Gefahren für die Finanzstabilität verbunden, warnt das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in einer neuen Studie, die dem Handelsblatt vorab vorliegt.
Das Problem dabei: Die geringen Zinsen verleiten Investoren bei der Suche nach Rendite zu immer riskanteren Anlagen. Das Geld, was sie sie sich leihen, fließt in die Finanzmärkte und treibt die Vermögenspreise an. Schnelle Anstiege der Aktienpreise, wie zwischen Herbst 2014 und Frühjahr 2015, seien jedoch der Nährboden für Kurskorrekturen, die „eine Bedrohung für die Finanzstabilität darstellen,“ schreiben die Studienautoren Thomas Theobald und Silke Tober vom IMK sowie Emanuel List von der Wirtschaftsuniversität Wien.