Ökonomendebatte Haben die Zentralbanken die Welt gerettet?

Heute blicken die führenden Vertreter der Ökonomenzunft wieder mit Selbstbewusstsein in die Welt. Quelle: imago images

Zehn Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise feiern sich Zentralbanker und Finanzminister auf dem größten Ökonomentreffen der Welt in der US-Südstaatenmetropole Atlanta als Retter des Finanzsystems. Doch die wahre Ursache der Krise verschweigen sie.

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Zehn Jahre ist es her, dass sich die Welt im Tiefpunkt der Finanzkrise befand. Für die Volkswirtschaftslehre war es eine dunkle Zeit. Denn kaum ein Ökonom hatte den Orkan heraufziehen sehen, der sich im Zuge der vorangegangenen Kreditexzesse aufgebaut hatte. Ohne Vorwarnung brach die Krise daher über die Weltwirtschaft herein – und bescherte den Ökonomen den Vorwurf, trotz oder gerade wegen ihrer hochmathematischen Modellanalysen als Wissenschaftler versagt zu haben.

Heute blicken die führenden Vertreter der Ökonomenzunft wieder mit Selbstbewusstsein in die Welt. Das zeigt die Diskussion auf der Jahrestagung der American Economic Association, der größten Ökonomenkonferenz der Welt, die an diesem Wochenende in der US-Südstaatenmetropole Atlanta stattfindet. Ein Schwerpunktthema des Treffens ist die Standortbestimmung der Zunft zehn Jahre nach der Lehman-Pleite. Welche Lehren lassen sich aus den Ereignissen von damals ziehen und wie sehen die Aussichten für das globale Wachstum in den nächsten Jahren aus?

Um diese Fragen zu diskutieren, sind die Stars der Zunft nach Atlanta gereist, darunter die ehemaligen US-Notenbankchefs Ben Bernanke und Janet Yellen, der derzeitige Chef der Fed, Jerome Powell, sowie die beiden ehemaligen US-Finanzminister Henry Paulson (unter George W. Bush) und Timothy Geithner (unter Barack Obama).

von Hauke Reimer, Mark Fehr, Heike Schwerdtfeger, Anton Riedl, Cornelius Welp, Saskia Littmann, Niklas Hoyer, Christof Schürmann

Was die Hauptakteure von damals auf dem Podium boten, grenzte jedoch an Selbstbeweihräucherung. Bernanke, Paulson und Geithner betrachten sich als Retter des globalen Finanzsystems. In der damaligen Krise sei es ihnen gelungen, eine Kernschmelze des Systems zu verhindern, weil Finanz- und Geldpolitik an einem Strang gezogen haben.

So wies Bernanke darauf hin, dass ihn seine Studien über die Ursachen der Großen Depression gelehrt hätten, im Falle einer drohenden Implosion das Finanzsystems helfe nur, die geldpolitischen Schleusen weit zu öffnen und die Banken mit Zentralbankgeld zu fluten. Die Politik der quantitativen Lockerung, also des Ankaufs von Staatsanleihen, die die Fed unter seiner Führung entwickelt habe, sei daher richtig gewesen und habe entscheidend zur Erholung der Wirtschaft beigetragen.

Dass diese im historischen Vergleich anämisch ausfiel, sei nicht die Schuld der Fed, sondern eine Folge der demografischen Zeitenwende. Weil die Babyboomer seit einigen Jahren in Rente gehen, sind Arbeitskräfte knapp. Das bremse das Wachstum. Dass die milliardenschweren Rettungsaktionen die im Boom aufgebauten Produktionsverzerrungen konserviert, den Strukturwandel gebremst und somit das Wachstum verlangsamt haben, erwähnt Bernanke in seinen Ausführungen nicht.

Sollte die Wirtschaft in den nächsten Jahren wieder in die Krise geraten, werde die Notenbank nicht zögern erneut Staatsanleihen in großem Stil zu kaufen, ist Bernanke überzeugt. Dass es immer wieder zu Krisen komme, sei eine Folge der Fristentransformation, also des Zusammenwirkens von kurzfristigen Einlagen und langfristige Krediten in den Bankbilanzen, so Bernanke.

Geithner verteidigte die damalige Entscheidung, die systemrelevanten Banken mit Steuergeldern zu rekapitalisieren, auch wenn dies der Politik den Vorwurf einhandelte, die Banken zu retten, während Millionen Häuserbesitzer wegen Zahlungsschwierigkeiten ihre Immobilien verloren. Mittlerweile verfügten die Banken zwar über mehr Eigenkapital. Wichtiger aber sei, dass Regierung und Zentralbank jederzeit bereit stünden, das System notfalls mit Steuergeld und frisch gedrucktem Geld zu retten.

Die wahre Ursache der Finanzkrise von 2008 aber erwähnten die Notenbanker und Finanzminister auf dem Podium in Atlanta nicht: Das Fiat-Geldsystem, das es der Zentralbank und den Geschäftsbanken erlaubt, Geld und Kredit aus dem Nichts in die Welt zu bringen und den Zins nach Gusto zu manipulieren. Ein solches Eingeständnis war auch nicht zu erwarten. Denn es liefe auf die Forderung hinaus, das Fiat-Geldsystem durch ein voll gedecktes Geld zu ersetzen, das – wie Gold – nicht beliebig vermehrbar ist.

Festhalten an der Alchemie der Geldschöpfung

Daran aber haben weder die vom makroökonomischen Steuerungswahn beseelten Zentralbanker, noch die durch die Gelddruckmaschine prächtig verdienenden Banker und die ausgabewütigen Politiker ein Interesse. Daher bewegte sich die Diskussion in Atlanta in gewohnten Bahnen: An der Alchemie der Geldschöpfung hält man fest und wenn das System mal wieder aus dem Ruder läuft, werden die Steuerzahler und Sparer zur Kasse gebeten.

Kontrovers verlief die Diskussion über die Aussichten für das künftige Wachstum der Weltwirtschaft, das nach wie vor stark von der US-Konjunktur bestimmt wird. Der Produktivitätsforscher Dale Jorgenson von der Harvard-Universität wies darauf hin, dass der langfristige Wachstumstrend der Wirtschaft von der Menge und Qualität der Arbeitskräfte, dem Kapitalstock und der totalen Faktorproduktivität bestimmt wird. In Letzterer spiegelt sich der technische Fortschritt wider, der die entscheidende Größe für das Wachstum ist. Je nachdem wie hoch man das Produktivitätswachstum für die nächsten Jahre einschätze, könne die US-Wirtschaft zwischen 1,5 und 2,5 Prozent wachsen.

Der Produktivitätsforscher Robert Gordon von der Northwestern University veranschlagt das realisierbare Wachstumspotenzial am unteren Rand des von Jorgenson aufgezeigten Spektrums. Gordon ist überzeugt, dass der Produktivitätsschub infolge der IT-Revolution bereits ausgelaufen ist und in den nächsten Jahren keine bahnbrechenden Innovationen zu erwarten sind.

Das Produktivitätswachstum in den USA habe im Schnitt der vergangenen Jahre nur bei mageren 0,5 Prozent gelegen. Selbst mit großen Investitionsanstrengungen ließe es sich allenfalls auf knapp ein Prozent steigern, glaubt Gordon. Da die arbeitsfähige Bevölkerung in den nächsten Jahren zudem nur um etwa ein halbes Prozent pro Jahr wachse, müssten sich die USA à la longue auf Wachstumsraten von mageren 1,5 Prozent pro Jahr einstellen.

Behält Gordon Recht, hätte das nicht nur für den Wohlstand der US-Bürger und die Weltwirtschaft Konsequenzen. Es würde auch die Pläne von US-Präsident Donald Trump über den Haufen werfen, der darauf setzt, dass Steuersenkungen und Deregulierungen das langfristige Wirtschaftswachstum auf rund drei Prozent hieven.

Kevin Hassett, der wirtschaftspolitische Chefberater von Trump, verbreitete in Atlanta jedoch Zuversicht. Er rechnete den versammelten Ökonomen vor, dass die US-Unternehmen die Steuerersparnisse zum überwiegenden Teil in neue Maschinen und Anlagen gesteckt haben.

Die Ausgaben der Unternehmen für Ausrüstungsinvestitionen hätten in den ersten drei Quartalen 2018 um 343 Milliarden Dollar über ihrem langfristigen Trend gelegen. Die Investitionen hätten in diesem Zeitraum einen Prozentpunkt zum Wirtschaftswachstum beigetragen.

Die Sorge, die Steuersenkungen gießen Öl ins Feuer der heiß gelaufenen US-Konjunktur, hält Hassett für unbegründet. Die steuerinduzierte Investitionsoffensive erhöhe den Kapitalstock, steigere das langfristige Güterangebot und wirke einer konjunkturellen Überhitzung entgegen.

Der Trump-Berater wies zudem darauf hin, dass durch den Investitionsschub die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften gestiegen sei. Davon hätten vor allem die unteren 90 Prozent der Einkommensbezieher profitiert. Ihre Nominallöhne hätten stärker zugelegt als die der oberen 10 Prozent, sagte Hassett. Im Schnitt aller Beschäftigten seien die Löhne zuletzt um 3,2 Prozent gestiegen, was deutlich über der Kernrate der Inflation von rund 1,6 Prozent liegt. „Mit den Reallöhnen der Arbeiter in den USA geht es wieder bergauf“, frohlockte Hassett.

Dass sich die Börsen derzeit auf Talfahrt befinden und die Teilnehmer an den Finanzmärkten Rezessionsszenarien durchspielen, beunruhigte die Ökonomen in Atlanta nicht. Selbst der Wachstumspessimist Gordon hält Rezessionsszenarien derzeit für übertrieben. Die Konjunktur sei robust, es habe sich ein positiver Kreislauf aus Investitionen, Beschäftigung und Konsum herausgebildet, der nicht so schnell abbreche.

Das hört sich überzeugend an. Nur: Die Erfolgsbilanz der Ökonomen in Sachen Wachstums- und Konjunkturprognose ist nicht gerade überwältigend. In der Vergangenheit versprühten sie häufig gerade dann am meisten Zuversicht, wenn sich die nächste Krise bereits anbahnte.

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