Es gab in der jüngeren Vergangenheit kaum ein Jahr, das mit so vielen Krisen gestartet ist. In Europa haben wir die Flüchtlingskrise und eine zunehmende Abwendung von den europäischen Gemeinsamkeiten. In Großbritannien droht sogar der Austritt aus der EU – der Brexit. Weltweit ist es vor allem der Konflikt im Nahen Osten, der die Weltgemeinschaft immer mehr in Bedrängnis bringt. Jede dieser Entwicklungen hat das Potenzial zu eskalieren und die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft deutlich zur drücken. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass die Weltbörsen einen der schlechtesten Jahresauftakte hatten und kräftig gefallen sind. Jedoch war es nicht die Gesamtheit der aufgezählten Krisen, die zu den Kursstürzen geführt haben. Es waren zunächst nur der chinesische Aktienmarkt sowie der schier abstürzende Ölpreis.
Die Entwicklung des Ölpreises kann man auf zwei Weisen interpretieren. Zum einen könnte der fallende Ölpreis ein Indiz sein, dass die Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft sich in den letzten Monaten deutlich abgeschwächt hat. Oder: Die rückläufigen Ölpreisnotierungen sind Ausdruck der massiven Überproduktion auf den weltweiten Ölmärkten. Ich selbst tendiere zur zweiten Alternative.
Saudi Arabien versucht seine Markteinteile auszuweiten
Warum? Die Konjunkturdynamik in den Industrieländern hat sich bislang nicht merklich verlangsamt. Das Wachstum der Schwellenländer befindet sich zwar auf einem sehr niedrigen Niveau. Aber auch hier stabilisieren sich die Märkte gerade wieder. Das alles spricht gegen eine nachlassende weltweite Wachstumsdynamik. Dagegen leidet der Ölmarkt unter einer massiven Überproduktion. Das Ölkartell der OPEC funktioniert nicht mehr. Insbesondere Saudi Arabien trägt zu einer hohen Überschussproduktion an Rohöl bei. Damit versucht das Land seine Marktanteile auszuweiten.
Ein weiterer Grund für die fallenden Ölpreise sind die vor wenigen Tagen aufgehobenen Iran Sanktionen. Damit kann Iran nun wieder Öl exportieren und die Überversorgung der Märkte nimmt weiter zu. Dies wird in den Rohölpreisen bereits diskontiert. Die Marktreaktion auf den zunehmenden Konflikt zwischen Saudi Arabien und den Iran bestätigt die These, dass der niedrige Ölpreis hauptsächlich von einer Überversorgung an Rohöl verursacht wird. Als der Konflikt offenbar wurde, sind die Ölpreise weiter gefallen und nicht wie sonst üblich gestiegen. Die Logik hinter dieser Preisreaktion war, dass mit dem Konflikt zwischen den beiden Ländern eine Einigung innerhalb der OPEC weiter an Wahrscheinlichkeit verloren hat.
Somit ist aus meiner Sicht der Hauptgrund für den sehr niedrigen Ölpreis ein Zuviel an Öl und nicht eine nahende Rezession der Weltwirtschaft. Diese Sichtweise hat wichtige Implikationen für die Erwartungen über die weitere Entwicklung der Finanzmärkte.
Ganz wichtig: Ein niedriger Ölpreis stärkt die Kaufkraft der privaten Haushalte und Unternehmen. Damit wirkt der niedrige Ölpreis wie eine globale Steuersenkung. Die real steigende Kaufkraft wird im aktuellen Zyklus teilweise zum Schuldenabbau verwendet, eine Entwicklung die sehr positiv zu bewerten ist. Zum anderen Teil wird aber auch der private Konsum gestärkt. Diese Entwicklung kann man bereits an der kräftigen Dynamik des Konsums in den Industrieländern ablesen, der in 2015 erheblich zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum beigetragen hat. Diese positive Entwicklung dürfte sich auch in den nächsten Monaten fortsetzen. Sie wird von den Aktienmärkten zurzeit noch deutlich unterschätzt und kann in den kommenden Monaten zu positiven Überraschungen an den Aktienmärkten führen.
Fundamentaler Umbruch
Die positiven Konjunkturimpulse gehen natürlich zu Lasten der ölfördernden Länder. Doch im Nahen Osten sind die finanziellen Reserven groß genug, um dort eine ungünstige Entwicklung zu vermeiden. Anders ist es in Russland. Hier könnte der anhaltende niedrige Ölpreis für eine weitere wirtschaftliche Destabilisierung des Landes sorgen. Und das könnte den gesamten osteuropäischen Raum in Mitleidenschaft ziehen. In der aktuellen Flüchtlingsdiskussion ein kaum beherrschbares Risiko für Europa. Vom niedrigen Ölpreis geht aber noch eine weitere Gefahr für die Weltwirtschaft aus. Viele Unternehmen der US-amerikanischen Schiefergasindustrie sind hoch verschuldet - Großteils finanziert über den Anleihemarkt. Einige Unternehmen könnten in Zahlungsschwierigkeiten kommen. Damit könnte der gesamte High-Yield-Sektor - also hochverzinste Anleihen mit entsprechendem Risiko - unter Druck kommen, was sich insgesamt sehr ungünstig auf die Finanzmärkte auswirken dürfte. Die gute Nachricht ist hier, dass immer noch viele Unternehmen profitabel arbeiten. Damit ist diese Gefahr zurzeit noch überschaubar, wenn auch erste Spuren des niedrigen Ölpreises sichtbar werden.
Insgesamt würde ich aber den fallenden Ölpreis als überwiegend positiv für die Weltwirtschaft einschätzen. Insbesondere die Industrieländer profitieren hiervon. Insgesamt sollte der Ölpreis im Laufe von 2016 kaum steigen und weiter um die 30 US-Dollar pendeln. Das größte Risiko hier wäre eine Einigung der OPEC, die durch den zunehmenden ökonomischen Druck schneller als erwartet wieder zusammenfindet.
Chinesische Konjunktur losgelöst von Börsenentwicklung betrachten
Noch ein kurzer Blick auf China. Die aktuelle Entwicklung in China erinnert stark an die Turbulenzen vom Sommer 2015, als enttäuschende Konjunkturindikatoren wochenlang zu Ausverkäufen an den dortigen Aktienmärkten geführt haben. Weltweit wurden Befürchtungen geschürt, in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt stünde ein scharfer Wachstumseinbruch bevor. Wir haben schon damals davor gewarnt, die hochvolatilen chinesischen Aktienmärkte als Konjunkturbarometer (miss-) zu verstehen. Weder sind sie in der Vergangenheit dem Konjunkturzyklus zuverlässig vorausgelaufen, noch haben sie die reale Nachfrage positiv oder negativ beeinflusst – das haben die massiven Kurskorrekturen vom letzten Sommer gezeigt. Sie blieben ohne reale Wirkung. Entsprechend sollte man auch jetzt die chinesische Konjunktur losgelöst von der Börsenentwicklung analysieren.
Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum
Seit Jahren schießen die Immobilienpreise in Chinas Großstädten in ungeahnte Höhen - seit Monaten mehren sich jedoch Zeichen für einen Kollaps.
Neben den trägen Staatsbanken hat sich in China ein großer Markt von nicht-registrierten Geldinstituten etabliert, die der Staat bislang nicht kontrollieren kann.
Banken haben ohne genaue Prüfung Firmen immense Kredite für unproduktive und verschwenderische Investitionen gegeben.
Mit Subventionen der Regierung haben viele Branchen gewaltige Überkapazitäten aufgebaut, beispielsweise die Solarindustrie. Aber sie werden ihre Produkte nicht los.
Chinas Wirtschaft hängt vom Export ab. Geraten wichtige Abnehmerländer in Krisen, hat auch China Probleme.
Die jüngsten Wirtschaftszahlen aus China haben zwar einige Enttäuschungen mit sich gebracht, zeichnen insgesamt aber ein gemischtes und aus unserer Sicht noch kein beunruhigendes Bild. Insgesamt bestätigen die aktuellen Zahlen das Bild, dass sich Chinas Wirtschaft in einem fundamentalen Umbruch befindet. Die Bedeutung des industriellen Sektors, der bislang fast 50 Prozent zur Wirtschaftsleistung beisteuert, lässt nach. Dies zeigt sich in den Wachstumszahlen der Industrie, die sich innerhalb der vergangenen Jahre weit mehr als halbiert haben.
Insgesamt schlägt sich der Strukturwandel in China in einem nachlassenden gesamtwirtschaftlichen Wachstum nieder – ein Trend der sich auch in diesem und im kommenden Jahr fortsetzen wird. Nach wie vor sollte die Wirtschaftspolitik Pekings aber noch ausreichend Spielräume besitzen, um sich erfolgreich gegen einen größeren Wirtschaftseinbruch stemmen zu können.
Zusammengenommen sehe ich also keine Gründe jetzt in Panik zu verfallen. Deutlich niedrigere Aktiennotierungen könnten vielmehr eine gute Gelegenheit sein, da damit auch die Bewertungsrelation wieder günstiger werden. Jedoch sollte man auch in den kommenden Monaten weiterhin mit einer hohen Volatilität rechnen. Denn die Welt geht zwar nicht unter, sie ist aber viel unruhiger geworden.