Prozessfinanzierung Renditechancen dank Klagen mit Kalkül

Investoren haben eine renditestarke Anlage entdeckt: die Finanzierung millionenschwerer Schadenersatzklagen. Für spezialisierte Unternehmen sind sie ein gutes Geschäft. Wie Sie mitverdienen.

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Prozessfinanzierung ist die Entdeckung der Investoren: Wie Sie bei Schadensersatzklagen mitverdienen Quelle: Getty Images, Montage

Prozessfinanzierer lieben solche Fälle: Als Volkswagen-Aktionäre angesichts der Enthüllungen um manipulierte Abgastests im September zwischenzeitlich die Hälfte ihres Investments verloren hatten, witterte Bentham Europe ein gutes Geschäft. Der Ableger des australischen Prozessfinanzierers IMF Bentham machte den 200 größten VW-Aktionären das verlockende Angebot, ohne Risiko auf Schadensersatz zu klagen. Vor Gericht, unter anderem in Braunschweig, will Bentham mit der US-Wirtschaftskanzlei Quinn Emanuel nachweisen, dass VW für den Aktienkurs relevante Informationen zurückgehalten habe – und deshalb Schadensersatz zahlen muss.

Bis zu zehn Millionen Euro könnte das Verfahren kosten. Kein Problem für den Finanzierer. Die australische Mutter IMF Bentham kommt auf rund 186 Millionen Dollar Nettovermögen und hat binnen 15 Jahren Verfahren mit über 1,6 Milliarden Dollar Streitwert finanziert. Da kann auch ein Prozess von zwei oder mehr Jahren nicht schrecken. Bei Erfolg würde Bentham bis zu 30 Prozent des Schadensersatzes kassieren.

Auf diese Prozessfinanzierer können Anleger setzen

Internationale Prozessfinanzierer mischen zunehmend den deutschen Markt auf, der bislang von den Töchtern von Rechtsschutzversicherern wie Legial (Ergo) und Roland Prozessfinanz dominiert wurde. Zum Jahresanfang hat die auf Kartellrechtsfälle spezialisierte US-Kanzlei Hausfeld ein Büro auf dem Berliner Ku’damm eröffnet. In den Umzugskartons hat sie eine Finanzierungsvereinbarung über 30 Millionen Euro des angloamerikanischen Prozessfinanzierers Burford Capital. Mit dem Geld sollen Kartellstreitigkeiten deutscher Mandanten ausgefochten werden.

Die internationalen Finanzierer widmeten sich bevorzugt Kartellfällen, sagt Arndt Eversberg, Vorstand bei Roland Prozessfinanz. Diese Verfahren seien „wegen der üblicherweise im mittleren bis hohen zweistelligen Millionenbereich liegenden Streitwerte lukrativ“. Deutsche Prozessfinanzierer wie Roland Prozessfinanz, Legial oder Foris übernehmen Fälle schon ab 100.000 Euro Streitwert, auch sie kassieren im Erfolgsfall 20 bis 30 Prozent des Prozessertrags.

Die Eigendarstellung, wonach Prozessfinanzierer vor Gericht jedem David den Kampf gegen Goliath ermöglichen, taugt eher für Hochglanzbroschüren. Vor allem anderen steckt hinter der Übernahme von Anwalts- und Prozesskosten gegen Erfolgsbeteiligung ein lukratives Geschäft. Das zeigt das Interesse von US-Hedgefonds. Elliott Management investiert in Kooperation mit Bentham im großen Stil in Prozesse, Eton Park hält ein Aktienpaket im Wert von über zehn Millionen Euro an Burford. Angelockt werden die Investoren von hohen Renditen, die zum Teil abgekoppelt von den Finanzmärkten sind: Kommt die Konjunktur aus dem Tritt, sollten Prozessfinanzierer besonders gut verdienen, weil Rechtsstreitigkeiten dann zunehmen.

Aktienkurs der Prozessfinanzierer Burford Capital und Foris

Burford hat den Gewinn nach Steuern im ersten Halbjahr 2015 um 43 Prozent auf 24 Millionen Dollar gesteigert. Privatanleger können mitverdienen. IMF Bentham und Burford sind genau wie die deutsche Foris börsennotiert (siehe Chartgalerie).

In den USA, wo die Klagesummen oft schwindelerregend sind, lohnt das Geschäft besonders. Hier sollen pro Jahr bis zu drei Milliarden Dollar in Prozesse fließen.

Während es Burford in den vergangenen Jahren gelang, Erträge und Aktienkurs kontinuierlich zu steigern (siehe Grafik), musste Bentham jüngst Rückschläge hinnehmen. Im Geschäftsjahr 2015 (bis Ende Juni) sank der Nachsteuergewinn um gut ein Drittel auf umgerechnet 4,5 Millionen US-Dollar. An der Börse verlor Bentham seit dem Frühjahr 2015 fast die Hälfte an Wert.

Gewinnprognosen?

Der Rückgang illustriert das Hauptrisiko der Branche: Große Finanzierer wie Burford oder Bentham übernehmen Fälle meist erst bei über zehn Millionen Dollar Streitwert. Gehen mehrere Verfahren verloren, schlägt das schnell auf das Ergebnis durch. Zwar sichern die Finanzierer teilweise die bei einer Gerichtsniederlage entstehenden Kosten mit speziellen Versicherungen ab, doch selbst dann bleibt ein Risiko. So war es bei Bentham: Der größte Verlust im Geschäftsjahr 2015 entstand, als Bentham und die südafrikanische National Potato Cooperative einen seit 2009 laufenden Rechtsstreit gegen die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers um angeblich mangelhafte Bilanzprüfung verloren.

Die deutlich kleinere Foris schreibt im Halbjahresbericht, dass eine Gewinnprognose angesichts „der hohen Ergebnisvolatilität des Bereiches Prozessfinanzierung“ nicht möglich sei. An den guten Geschäftsaussichten von Bentham sollten die Rückschläge aber nichts ändern, sodass Anleger die niedrigen Kurse zum Einstieg nutzen können.

Anders ist es bei dem auf der Kanalinsel Guernsey angesiedelten Fonds Juridica Investments – mit über 200 Millionen Dollar Kapital durchaus eine Branchengröße. Der börsennotierte Fonds kündigte nach mehreren Gerichtspleiten im November an, keine neuen Verfahren mehr zu finanzieren.

Jahresrenditen von teils über 100 Prozent, wie sie Prozessfinanzierungsfonds erzielen, sind mit hohen Risiken verbunden. Die Fonds, wie die britischen Harbour Litigation Funds mit einem finanzierten Streitwert von knapp 3,5 Milliarden Euro, stehen daher nur vermögenden Anlegern offen. Sie können Verluste wegstecken. Auch die Anlagevehikel von US-Prozessfinanzierern wie Parabellum oder Gerchen Keller setzen hohe Mindestinvestments von 100.000 Dollar und mehr voraus. An Kapital mangelt es nicht: Allein Gerchen Keller verfügt über 1,4 Milliarden Dollar.

Das wurde 2015 aus 100.000 Euro
Ukraine Quelle: dpa
Brasilien Quelle: dpa
Ölverschmierte Hände Quelle: dpa
Aktien Griechenland Quelle: dpa
Magere Schweine Quelle: dpa
Kaffee Quelle: dpa
Atomkraft Quelle: dpa

Ein seit November 2014 aktives Internetportal, Lexshares aus den USA, will einen simpleren Zugang bieten. Lexshares lockt mit einer jährlichen Rendite von immer noch sagenhaften 50 Prozent, die Anleger in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt erzielt hätten. Registrierte Investoren können in vorgestellte Verfahren beliebig viel investieren, ab 2500 Dollar. Erst wenn genug Geld zusammengekommen ist, geht es los. Mit dieser Finanzierung im Schwarm (Crowdsourcing) sammeln auch Start-ups bei einer breiten Anlegerschar Geld ein. Doch Lexshares setzt gemäß den Regeln der US-Finanzaufsicht SEC hohe Einstiegshürden: Investoren müssen ein jährliches Einkommen von über 200.000 Dollar oder ein flüssiges Vermögen von über einer Million Dollar haben.

Finanzieren Investoren nur einen einzigen Rechtsstreit, ist ihr Risiko extrem. Unterliegt der von ihnen finanzierte Kläger, kann ihr Geld weg sein. „Das ist eher Zockerei unter Juristen“, sagt Nicolas Egger, der in der Schweiz auch Prozessfinanzierungsinvestments vermittelt. Zumal Verfahren Jahre laufen: Burford Capital etwa hatte Ende 2014 erst 63 Prozent der 2010 finanzierten Prozesse beendet.

Debatte um Prozessfinanzierung

Die Aktivitäten von US-Finanzierern in Europa sehen die hiesigen Anbieter mit gemischten Gefühlen. Die Aufmerksamkeit für das Geschäftsmodell steige zwar, sagt Thomas Kohlmeier, Vorstand bei der Ergo-Tochter Legial. Aber: „Wenn Prozessfinanzierer aktiv Klagen und Kläger einwerben, sehe ich das kritisch.“ Legial verstehe sich als Dienstleister von Anwälten. Hinter der Kritik steckt mehr als die Sorge vor unliebsamer Konkurrenz. Auch in den USA tobt eine Debatte um den Boom der Prozessfinanzierung. „Der Trend zur Spekulation im Justizwesen ist alarmierend“, sagt Chuck Grassley, Vorsitzender des Rechtsausschusses im US-Senat. Grassley hat großen Prozessfinanzierern einen Brief mit Fragen zum Geschäftsgebaren geschrieben. Vorgehen und Verträge der Konzerne seien „intransparent“, ihr Einfluss auf das Rechtswesen besorgniserregend.

James Batson, Rechtsanwalt bei Bentham, widerspricht. Einfluss habe man keinen. Bentham schreibe Klienten nicht vor, mit welchen Anwälten sie arbeiten oder wann sie einen Vergleich annehmen sollten: „Wir stellen nur das Geld zur Verfügung.“

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Damit machen es sich die Finanzierer aber etwas zu einfach, sagt der deutsch-amerikanische Rechtsanwalt Reinhard von Hennigs, Büroleiter von BridgehouseLaw in Charlotte, North Carolina: „Sie haben keinen Einfluss auf Urteile – aber sie entscheiden mit, ob Gerichtsverfahren stattfinden oder nicht“, sagt er. Bentham etwa nimmt maximal 20 Fälle pro Jahr in den USA an, den Großteil der über 200 Anfragen lehnt das Unternehmen ab. „Wie die Rolle der Investoren zu bewerten ist, hängt für mich von zwei Faktoren ab“, sagt von Hennigs. „Welche Fälle nehmen die Prozessfinanzierer an, und woher kommt ihr Geld?“

Über beides will Bentham-Anwalt Batson nicht so genau sprechen. Ob ein Fall finanziert werde, hänge an einer „Vielzahl von Kriterien“. Ein Aspekt seien natürlich die Erfolgsaussichten. Bekannt ist auch, dass Prozessfinanzierer auf die erwarteten Kosten in Relation zum Streitwert und auf die Finanzstärke des Anspruchsgegners achten. Schließlich nützt es ihnen wenig, wenn ihr Kläger vor Gericht zwar gewinnt, sein Geld aber nicht eintreiben kann. Andere Kriterien will Anwalt Batson nicht enthüllen: Geschäftsgeheimnis. Nur so viel: Ein Team von Anwälten prüfe die Anfragen. Interventionen von außen gäbe es nicht.

Aber ist es wirklich vorstellbar, dass Firmen und Vermögensverwalter, die große Anteile an Bentham oder Burford halten, Klagen gegen Konzerne zulassen, deren Aktien sie ebenfalls im großen Stil im Depot haben? Oder ist umgekehrt ein Prozessfinanzierer besonders klagewillig, wenn ein Konkurrent der eigenen Geldgeber geschädigt werden kann? Rechtsanwalt von Hennigs glaubt, dass nur mehr Transparenz diese Zweifel aus der Welt räumen kann.

Bentham-Anwalt Batson wischt die Bedenken beiseite: Die Firma habe kein Interesse an Industriepolitik, sondern wolle Geld verdienen. Für seine Wetten strebe Bentham eine Rendite von mindestens 200 Prozent für das eingesetzte Geld an.

Das ist doch mal ein Wort.

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