„Ja, Grüß Gott, ich hoffe, ich störe nicht.“ Mit dieser freundlichen Einleitung beginnt Rainer Gottwald alle seine Telefonate. Wenn er einen Journalisten am Hörer hat, erkundigt er sich höflich, ob die aktuelle Ausgabe schon fertig sei oder ob er lieber später noch mal anrufen solle. Nein, nein, es passt schon.
Besser gleich als später, der Rentner aus Landsberg am Lech ist immer im Einsatz. Er hat das Thema seines Lebens gefunden: Die Sparkassen. Dass diese im Geld schwimmen und mehr an darbende Kommunen ausschütten müssten. Dass die Verwaltungsräte unqualifiziert seien und mit den Vorständen gemeinsame Sache machten, statt den Chefs im Auftrag der Bürger auf die Finger zu schauen. Das sind Gottwalds feste Überzeugungen. Und natürlich, dass sich das Sparkassenwesen ändern muss.
Dieses Ziel treibt ihn an, deshalb versorgt er die Wirtschaftsredaktionen quer durch die Republik zuweilen mit mehr Informationen über die neuesten Streiche seiner bayerischen Bürgerinitiative, als die Journalisten jemals aufschreiben könnten.
Sparkasse in Zeiten von Minizins und Digitalisierung
Immer mehr Kunden wickeln immer mehr Bankgeschäfte digital ab: Vom heimischen Computer aus, mit der App auf dem Smartphone, online per Videoberatung. Flächendeckende Filialnetze, wie sie Sparkassen und Volksbanken unterhalten, werden zum Kostenfaktor. „Der Kunde geht nicht mehr in die Geschäftsstelle“, konstatierte vor einigen Wochen der bayerische Sparkassenpräsident Ulrich Netzer. Inzwischen komme ein Kunde im Schnitt nur einmal pro Jahr in eine Filiale, nehme aber 108 Mal jährlich online Kontakt auf. Bundesweit leisten sich die aktuell 409 Sparkassen laut nach Angaben des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) 14 451 (Vorjahr: knapp 14 900) Filialen – inklusive Selbstbedienungspunkten. Der Verband rechnet mit einer weiteren Ausdünnung des engmaschigen Netzes. Die Sparkassen in Bayern beispielsweise haben bereits angekündigt, in diesem Jahr bis zu 220 ihrer 2200 Geschäftsstellen zu schließen.
Ganz aufgeben wollen die Institute ihre Präsenz in der Fläche nicht. „Wir werden die Filialen am Ende immer unter zwei Überschriften prüfen: Der Kunde erwartet noch mehr Beratung, Beratungs-Know-how. Die reine Abwicklung gehört immer stärker der Vergangenheit an“, sagte DSGV-Präsident Georg Fahrenschon im März. „Wir sehen einen klaren Trend unsere Filialen in Sachen Beratung noch stärker aufzuladen und zugleich den digitalen Kanal auszubauen.“
Sparkassen verdienten lange gut daran, für Kredite mehr Geld zu kassieren als sie ihren Kunden an Zinsen fürs Sparen zahlten. Doch die Differenz aus den beiden Positionen, der Zinsüberschuss, wird tendenziell kleiner, weil die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf Null gesenkt hat. Sorge bereitet vielen Instituten zudem, dass immer mehr Kunden Gelder kurzfristig parken - während bei Krediten möglichst lange Laufzeiten gefragt sind. Steigen die Zinsen wieder, könnten Kunden ihre Einlagen rasch abziehen.
In der gesamten Branche wird an der Gebührenschraube gedreht. „Die Zeit von weiten Angeboten kostenloser Kontoführung ist aus meiner Sicht vorbei“, sagte Fahrenschon im März. „Wir werden Leistungen bepreisen müssen - und zwar verursachergerecht.“ Auch die genossenschaftlichen Sparda-Banken stimmten auf Preissteigerungen „auf breiter Front“ ein - etwa Gebühren für Überweisungen in Papierform oder die Girocard. Die Noch-Deutsche-Bank-Tochter Postbank arbeitet derzeit an einem neuen Preismodell. Postbank-Chef Frank Strauß sagte der „Welt am Sonntag“, ob das Girokonto kostenlos bleibe, könne er noch nicht sagen. Die Commerzbank will ab 1. Juni von Kunden des bislang kostenlosen Girokontos, die Papierbelege einreichen, eine Gebühr von 1,50 Euro pro Überweisung verlangen.
Noch scheut sich die Branche davor, die Parkgebühr, die ihnen die EZB aufgebrummt hat, an Privatkunden weiterzureichen. Sparkassen-Präsident Fahrenschon mag nicht einmal den Begriff „Strafzins“ in den Mund nehmen. Der ehemalige bayerische Finanzminister betont: „Entscheidend ist, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um diesen verheerenden Effekt der Niedrigzinspolitik nicht beim privaten Sparer ankommen zu lassen.“ Auch die Volks- und Raiffeisen zeigen sich bislang eisern: „Wir werden versuchen, das Thema Negativzinsen unseren Privatkunden nicht zuzumuten“, sagt der Präsident des Dachverbandes BVR, Uwe Fröhlich.
Die Sparkasse Oberhausen - ein mittelgroßes Institut - schreckte Mitte März mit der Ankündigung auf, sie schließe Strafzinsen für reiche Privatkunden nicht mehr grundsätzlich aus. Betroffen wären aber nur Kunden, die Geldbeträge im siebenstelligen Bereich anlegen wollen, erklärte ein Sprecher. Denkbar seien in solchen Fällen künftig Verträge, die Strafzinsen erlaubten. Der Sprecher betonte: „Da wird kein privater Sparkunde in absehbarer Zeit betroffen.“ Bereits im Herbst 2014 hatte die Deutsche Skatbank in Thüringen für Aufsehen gesorgt, weil sie EZB-Strafzinsen an ihre Kunden weitergibt - allerdings bis heute nur dann, wenn die Einlagen eines Kunden bei dem genossenschaftlichen Institut drei Millionen Euro überschreiten.
Ein Trost: Völlig freie Hand haben die Institute beim Thema Gebühren nicht - gerade in einem so umkämpften Markt wie Deutschland. „Wer zu stark an der Gebührenschraube dreht, wird angesichts des starken Wettbewerbs allerdings Kunden verlieren“, erklärt Frank-Christian Pauli vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Für zusätzliche Konkurrenz sorgen junge FinTechs, die online auf Kundenfang gehen. Die niedrigen Zinsen haben auf der anderen Seite auch Vorteile für Verbraucher: Kredite, etwa für die Baufinanzierung oder den Autokauf, sind aktuell extrem günstig zu haben.
Der unermüdliche Ruheständler ist kein Gelangweilter auf der Suche nach Streit für ein bisschen mehr Lebensinhalt. Seine Argumente sind es wert, sich mit ihnen auseinander zu setzen, auch wenn man seiner Meinung nicht immer bis zur letzten Konsequenz folgen muss.
Gottwald hat es geschafft, eine Debatte loszutreten. Und das ist gar nicht so einfach in der behäbigen und verschwiegenen Sparkassenwelt. Die Chefs lokaler Sparkassen zeigen sich zwar gern auf den Spendengalas oder Sportveranstaltungen im Ort, welche von den Geldinstituten öffentlichkeitswirksam gesponsert werden. Doch ansonsten reden sie nur ungern über Dinge, die in der Sparkasse so passieren und fällen ihre Entscheidungen lieber im Verborgenen. Das, obwohl die Kommunen als Träger der Sparkassen das Management eigentlich aufmerksam kontrollieren müssten.
Den Bürgermeistern und Landräten in den Aufsichtsräten gelingt es aber kaum, wirksame Kontrolle im Sinne einer guten Unternehmensführung auszuüben. Handelt es sich bei ihnen doch um banktechnische Laien, die es sich zudem mit „ihrer“ Sparkasse nicht verscherzen wollen. Schließlich sind die Institute mit dem weißen S auf rotem Grund einer der größten Gewerbesteuerzahler der Republik und geben gerade schrumpfenden Dorfgemeinschaften noch einen Rest gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Eine der wenigen Ausnahmen ist der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD). Er zwang die Großsparkasse der NRW-Landeshauptstadt nach einem langen juristischen Kampf zu höheren Ausschüttungen. Zu einem solchen Sieg gehören Mut und Glück, kein Wunder, dass kaum Politiker den Showdown mit der Sparkasse wagen – würden sie damit doch ihre Karriere aufs Spiel setzen.
Geisel halfen am Ende teure Gutachten teurer Anwaltskanzleien und die Tatsache, dass sich das für die Sparkassenaufsicht zuständige NRW-Finanzministerium, ebenfalls SPD-regiert, am Ende auf seine Seite stellte. Und was man im Vergleich zu kleinen Gemeinden nicht vergessen darf: Für Düsseldorf ist die Sparkasse zwar ein wichtiger aber sicher nicht der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Ratsherren in Großstädten können sich einen Konflikt mit dem kommunalen Geldinstitut also eher erlauben als ihre Amtskollegen in kleineren Gemeinden.