China wächst stetig - und damit auch der Hunger nach Rohstoffen aller Art. Und jedes Mal, wenn die Chinesen ein neues Must-have entdecken, zuckt die westliche Welt zumindest kurz zusammen. Denn auf einmal wird das Land des Lächelns vom Ex- zum Importeur - und der Rest der Welt muss zusehen, woher er seltene Erden, Industriemetalle, Mais, Soja und sonstige Rohstoffe beziehen soll, wenn China seine Schätze lieber für sich behält, anstatt sie zu verkaufen.
China und EU handeln jeden Tag für mehr als eine Milliarde Euro
China und Europa sind voneinander abhängig. Das Reich der Mitte wird in diesem Jahr zum größten Exportmarkt der Europäer aufsteigen und damit die USA überholen. Umgekehrt ist die Europäische Union der größte Abnehmer chinesischer Ausfuhren. Beide Seiten handeln jeden Tag mit Waren im Wert von mehr als einer Milliarde Euro.
Nach einem Zuwachs von 37 Prozent 2010 stiegen die europäischen Ausfuhren nach China im vergangenen Jahr von Januar bis November um 21 Prozent auf 124 Milliarden Euro. Deutschland hat mit deutlichem Abstand und knapp der Hälfte der EU-Ausfuhren nach China den größten Anteil daran, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. 60 Prozent der EU-Ausfuhren waren Maschinen und Fahrzeuge.
Während die 27 EU-Länder im Jahr 2010 rund 19,8 Millionen Autos produzierten, waren es in China nicht viel weniger: rund 18,3 Fahrzeuge.
Die Importe aus China kletterten nach einem Anstieg von 31 Prozent 2010 im vergangenen Jahr bis November um weitere fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 244 Milliarden Euro. Seit Jahren gibt es ein großes europäisches Defizit im Handel mit China, das 2010 noch bei 168 Milliarden Euro lag. Aus diesem Überschuss sammelt China die Euros in seinen weltgrößten Devisenreserven im Wert von insgesamt 3,18 Billionen US-Dollar an. Rund ein Viertel sollen Euros sein.
Während die Leistungsbilanz der 27 EU-Länder im vergangenen Jahr bei minus 24 Milliarden Euro lag, konnte China einen deutlich positiven Saldo von 258 Milliarden Euro verbuchen. Auch das BIP der Chinesen war 2011 mit 12.900 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch wie das BIP der EU (5100 Milliarden Euro).
Die Wirtschaftskooperation zwischen Europa und China ist rasant gewachsen. Doch beklagen europäische Unternehmen in China schlechten Marktzugang, ungleiche Wettbewerbsbedingungen, mangelnde Transparenz und Rechtsunsicherheiten.
Schlechter Schutz des geistigen Eigentums ist unverändert ein großes Problem. Sieben von zehn in China tätigen europäischen Unternehmen wurden nach eigenen Angaben schon Opfer von Urheberrechtsverletzungen mit teils erheblichen Verlusten. Mehr als die Hälfte aller Raubkopien, die der Zoll in Europa sicherstellt, stammt aus China.
Die 27 EU-Staaten zählen mit 7,1 Milliarden Euro 2010 zu den fünf wichtigsten Investoren in China - neben Taiwan, Hongkong, USA und Japan. Rund 20 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in China stammen aus Europa. China investiert aber nur sehr zögerlich in Europa. Zwar stiegen die chinesischen Investitionen 2010 von 0,3 auf 0,9 Milliarden Euro, doch stammen nur 1,7 Prozent aller ausländischen Investitionen in Europa aus China.
Binnen 46 Jahren - zwischen 1961 und 2007 - ist beispielsweise der Fleischkonsum der Chinesen um knapp 1400 Prozent gestiegen. Allein im Jahr 2010 aß jeder Chinese rund 54 Kilogramm Rind-, Schweine- oder Hammelfleisch, nur zwei Prozent der Chinesen ernährten sich vegetarisch. Und das ist auch wenig überraschend, steigt doch der Fleischkonsum eines Menschen in der Regel mit seinem Einkommen.
Unabhängig vom sich derzeit abschwächenden Wirtschaftswachstum Chinas hat sich die ökonomische Situation des Landes in den letzten Jahren derart verbessert, dass auch der Bedarf der Chinesen nach Fleisch gestiegen ist. Aktuell stehen die Chinesen mit ihrem Pro-Kopf-Fleischkonsum weltweit auf Platz 40 - Tendenz steigend. Derzeit generiert die chinesische Lebensmittelindustrie in China rund 20 Prozent ihres Umsatzes durch Fleischprodukte, 2010 wurden in China insgesamt 79,25 Millionen Tonnen Fleisch produziert. Das entspricht einer Steigerung von 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr, so eine Marktanalyse der deutschen Auslandshandelskammer in Shanghai.
Dieser Hunger auf Fleisch beeinflusst allerdings auch andere Marktsegmente. So kaufte China im vergangenen Jahr 900.000 Tonnen Mais in den USA zu. Und das obwohl China noch in den 1990er Jahren als einer der größten Maisexporteure galt. Da Mais aber als Hauptfuttermittel für Schlachttiere verwendet wird, tut sich das Reich der Mitte schwer, mit der wachsenden Getreidenachfrage Schritt zu halten. 2010 hat China rund 160 Millionen Tonnen Mais verbraucht - die eigene Ernte deckt dabei nur die Binnennachfrage, für Bevorratung reicht sie nicht aus.
Chinas neues In-Obst
Hanver Li, Vorstandsvorsitzender des Marktforschungsunternehmens Ja Intelligence prognostiziert, dass China im Jahr 2012 zwischen sieben und zehn Millionen Tonnen Mais importieren wird. Bis 2015 rechnet er mit einer jährlichen Einfuhr von 15 Millionen Tonnen. Lis Vorhersage deckt sich mit der Schätzung des US-Getreiderats. "Langfristig sollte das einen ziemlich großen Einfluss auf die weltweiten Preise für Mais haben", sagt Li. Und der ist durch die Dürreperioden in den USA ohnehin schon heftigen Schwankungen unterworfen.
Doch der wachsende Wohlstand der Chinesen treibt nicht nur die Nachfrage nach Fleisch und Futtermittel, sondern auch nach Früchten. Gerade die Einwohner von Großstädten haben es auf Obst abgesehen - das neue Objekt der Begierde ist der Apfel. Ähnlich wie beim Fleischkonsum steigt auch der Verbrauch von Obst mit zunehmendem Wohlstand. So aßen die Chinesen im letzten Jahr 80 Prozent mehr Äpfel als noch vor vier Jahren. Weltweit stieg der Verbrauch im gleichen Zeitraum um 36 Prozent. Der wachsende Appetit auf Äpfel hat allerdings keine Auswirkung auf das Geschäft der internationalen Konkurrenz: China ist der größte Apfelproduzent der Welt, allein im Jahr 2010 wurden dort 33,26 Millionen Tonnen Äpfel geerntet und verkauft. Die Nummer zwei, die USA, bringen es dagegen nur auf rund vier Millionen Tonnen. Deutsche Obstbauern ernteten im letzten Jahr 898.400 Tonnen Äpfel und landet damit im internationalen Vergleich auf Platz 14. Die Konsequenz: Die einzige Nation, die Chinas wachsende Nachfrage befriedigen kann, ist China selbst - so lange es seine Äpfel auf dem Binnenmarkt verkauft, statt sie zu exportieren.
Äpfel essen statt Konzentrate verkaufen
Das ruiniert allerdings den Saftproduzenten und Rohstoffhändlern die Margen. Mittlerweile werden in China nur noch rund 15 Prozent der produzierten Äpfel zu Saft beziehungsweise Saftkonzentrat verarbeitet, vor vier Jahren war es noch etwas mehr als ein Drittel der Ernte. Und das bekommen nicht nur chinesische Händler zu spüren. 70 Prozent des in den USA verkauften Saftkonzentrats kommen aus China, im Jahr 2009 produzierte das Land 51 Prozent der weltweiten Gesamtmenge an Apfelsaftkonzentraten. Dementsprechend müssen Verbraucher für ihren Saft tiefer in die Tasche greifen. So berichtet der chinesische Hersteller Haisheng Juice Holdings von einem Preissprung von vier auf zwölf Dollar pro Gallone Apfelsaftkonzentrat.
Auf die deutschen Kunden dürfte sich die Entwicklung vorerst nicht auswirken - vor allem, da der deutsche Apfelsaftkonsum stetig sinkt. Im Jahr 2003 betrug der Pro-Kopf-Verbrauch noch 13,1 Liter, 2010 waren es nur noch 8,1 Liter. Als Absicherung gegen chinainduzierte Preisschwankungen bleibt sonst nur - entgegen dem Trend, Bioprodukte aus aller Herren Länder einzufliegen - der Verbrauch von Direktsäften beziehungsweise Produkten aus der Region. Das schont dann nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die CO2-Bilanz.