Rohstoffexperte "Gold bleibt erste Wahl"

Der Rohstoffexperte von Credit Suisse, Tobias Merath, favorisiert für 2012 Gold und Kupfer. Er warnt vor einem in die Höhe schießenden Ölpreis.

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Tobias Merath, Schweizer Großbank Credit Suisse

Herr Merath, durchlaufen Rohstoffe eine kurzfristige Korrektur oder stehen wir am Beginn einer langfristigen Trendumkehr?

Merath: Trendwenden an den Rohstoffmärkten fielen in der Vergangenheit stets zusammen mit fallender oder stagnierender globaler Industrieproduktion. Ein solches Szenario können wir derzeit nicht am Horizont erkennen. In Europa sind die Konjunkturaussichten nicht sehr rosig toll, aber in den USA könnte es besser laufen, als viele erwarten. In China sieht es nach einer sanften Landung aus. Der Zinserhöhungszyklus dort dürfte auslaufen. Auch in Lateinamerika gehen die Zentralbanken wieder auf einen stimulierenden Pfad. Das sind global gesehen ja die Regionen, die viel Rohstoffe verbrauchen.

Also Rohstoffe kaufen?

Merath: Vorsicht. Die technische Analyse mahnt noch zur Vorsicht. Wichtige Trendlinien sind gebrochen, die Abwärtsbewegung ist noch nicht gebremst. Es ist ratsam, noch etwas zu warten!

Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

Merath: Die Ursache orte ich an den Kreditmärkten. Rohstoffe sind eine Anlageklasse, die stark auf Finanzierung angewiesen ist. Es gibt derzeit Finanzierungsstress am Geldmarkt. Vor allem europäische Banken haben große Probleme, sich Dollar zu beschaffen. Die brauchen sie aber, um ihre Dollarengagements, etwa in Rohstoffen oder in Krediten an Rohstoffanleger zu finanzieren. Dieser Finanzierungsstress führt dazu, das Rohstoffe verkauft werden müssen.

Die wichtigsten Notenbanken haben die Konditionen für Notfall-Liquiditätsprogramme in einer konzertierten Aktion gelockert und verlängert. Hilft das?

Merath: Das zeigt, wie ernst die Lage ist. Zumindest kurzfristig nimmt die Intervention etwas Druck aus dem Kessel, weil sie den europäischen Banken die Refinanzierung ihrer auf Dollar lautenden Anlagen erleichtert.

Rohstoffe wurden in der Vergangenheit immer als alternative Anlageklasse gepriesen, deren Preise sich unabhängig von Aktien oder Anleihen bewegen. Sind sie das tatsächlich?

Im Prinzip schon, zumal Rohstoffe selbst ja keine homogene Anlageklasse sind. Aber Rohstoffe reagieren nun einmal sehr empfindlich auf Schwankungen an den Kreditmärkten. Das ist der Grund, warum in Krisen die Korrelation von Rohstoffen zu Aktien stark zunimmt. Rohstoffe sind keine stressfreie Zone. Seit der Stress im Finanzsystem wieder zunimmt, ist das Engagement in den Rohstoffmärkten stark gefallen. Die Probleme an den Kreditmärkten haben viele Marktteilnehmer aus den Rohstoffmärkten getrieben.

Sie meinen Spekulanten?

Merath: Die auch. Aber die Probleme treffen ja auch Produzenten und Verbraucher, die Preisrisiken absichern und physisch in Rohstoffen handeln müssen. Wenn sich zum Beispiel eine Fluggesellschaft den Kerosinbedarf für die nächsten sechs Monate absichern will, dann setzt sie auf steigende Preise. Fällt der Preis, muss sie Geld nachschießen. Dafür braucht sie eine Kreditlinie. Wenn die Bank aber eine Liquiditätsklemme hat, dann wird die Bank versuchen, die Kreditlinie zu verteuern oder zu reduzieren. Wenn die Fluggesellschaft dann einen Margin-Call bekommt, also die Aufforderung, Geld nachzuschießen, sie aber nicht mehr über eine ausreichende Kreditlinie verfügt, muss sie die Position abbauen und verkauft.

"Geld sucht Gold"

Goldbarren und Goldgranulat Quelle: REUTERS

Was muss passieren, damit die Rohstoffmärkte wieder reibungslos funktionieren?

Merath: Die Finanz- und Staatsschuldenkrise sollte sich zumindest nicht weiter verschlimmern. Irgendwann kommen die Marktteilnehmer zurück. Das müssen sie auch. Eine Fluggesellschaft hört ja nicht einfach auf zu fliegen. Die Politik hat verschiedene Anläufe gemacht, der große Wurf war noch nicht darunter. Das grundsätzliche Problem ist nicht gelöst. Banken haben Staatsanleihen gekauft, die jetzt wackeln. Und, weil sie Abschreibungen fürchten, leihen sie sich gegenseitig kein Geld mehr. Kehrt das Vertrauen zurück, können Rohstoffe einen schnellen Dreher nach oben bekommen. Im Moment ist das aber noch zu früh. Wir beobachten die Politik deshalb mit Argusaugen.

Gold trägt kein Kreditrisiko...

...wenn Sie es physisch halten. Der Barren verschwindet ja nicht einfach und sagt: „Ich zahle nicht.“ Das ganze Konzept der risikofreien Anlage ist ins Wanken gekommen. Konservative Anleger, die bisher viele Bonds gehalten haben, machen sich immer mehr Gedanken über Kreditrisiken. In Phasen, in denen die Bonität in Frage gestellt wird, sind Edelmetalle erste Wahl. Zudem entgehen Goldbesitzern, die ja keine Zinsen bekommen, anderswo kaum Einnahmen. Das heißt, die Opportunitätskosten der Goldhaltung sind minimal. Das Sparbuch bringt kaum Zinsen, Anleger tragen aber auch hier ein Kreditrisiko. Die Zentralbanken werden die Zinsen eher noch weiter senken und noch mehr Liquidität in die Finanzmärkte pumpen. Die Inflation mag sich abschwächen, aber die Realzinsen bleiben negativ und werden es noch eine ganze Weile bleiben. Je länger die Zinsen tief und die Kreditrisiken hoch bleiben, umso mehr Geld sucht Gold.

Warum fällt der Goldpreis dann an Tagen, an denen der Stress an den Kreditmärkten besonders hoch ist, etwa als die Renditen spanischer oder italienischer Staatsanleihen stark nach oben gingen?

Merath: Wenn kurzfristig Liquidität beschafft werden muss, wird alles verkauft, auch Gold. Das betrifft weniger physisches Gold, dafür aber Gold-Futures an den Terminmärkten, wo der Goldpreis gemacht wird. Da haben wir dann den gleichen Effekt wie bei Rohstoffen. Der bringt bei Gold aber immer wieder attraktive Kaufgelegenheiten.

Die europäischen Staaten sind blank, einige haben aber noch viel Gold. Drohen Verkäufe von Seiten der Notenbanken?

Merath: Das ist schwer denkbar, selbst im Fall von Griechenland. Verkaufen kommt politisch gesehen nicht in Frage. Das wäre den Bürgern nicht mehr vermittelbar und wirkte wie ein Offenbarungseid.

Werden Schwellenländer weiter Goldreserven aufbauen?

Merath: Davon gehe ich aus. Länder, die ihre Goldreserven erhöhen, sind ja oft jene mit einer gemanagten Währung, die also keinen freien Wechselkurs zulassen. China zum Beispiel verkauft permanent Renminbi gegen Dollar, hält die Dollar aber nicht in Münzen und Noten, sondern in US-Staatsanleihen. Entsprechend baut sich Peking so ein Kreditrisiko auf. Um das zu reduzieren, bleibt ihnen eigentlich nur Gold.

Welche Rohstoffsektoren bieten Chancen, wenn sich die Kreditmärkte beruhigen?

Merath: Die Korrektur hat die Metallpreise stark unter ihren fundamentalen Wert gedrückt. Trotz der jüngsten Verlangsamung des Wirtschaftswachstums sich die Versorgungssituation eher noch verschlechtert. Besonders angespannt ist die Lage bei Kupfer, weil die Minenproduktion nicht mit der Nachfrage Schritt hält. Die Lagerbestände decken gerade noch zehn Tage des Verbrauchs. China nutzt den Preisrückgang und kauft. Die chinesischen Nettoimporte ziehen stark an.

"Iran im Blickfeld"

Ölpumpen auf einem Ölfeld bei Ponca City, Oklahoma, USA Quelle: dpa

Wie verlässlich sind die Rohstoffstatistiken überhaupt, mit denen ihre Zunft arbeitet?

Merath: Die Statistiken sind mitunter unvollständig. Bei Öl und Industriemetallen funktionieren sie aber eigentlich ganz gut. Im Prinzip sind alle großen Lager an den Börsen registriert.

Auch in China?

Merath: Bei der Shanghai Future Exchange sind wir auch ein bisschen skeptisch. Da schauen wir uns zusätzlich an, was etwa die chinesischen Einkäufer zahlen, im Vergleich zum Weltmarkt. Das ist auch ein guter Indikator für die Versorgungslage. Bei Agrarrohstoffen hält sich die Zuverlässigkeit der Statistiken aber in Grenzen.

Woran liegt das?

Merath: Die Preise für Grundnahrungsmittel sind politisch eine sensible Angelegenheit. Wichtige Exportländer sind ja nicht unbedingt an einem starken Preiseinbruch interessiert, während Importeure keinen steilen Preisanstieg mögen.

Diskutiert wird viel über steigende Lebensmittelpreise, dabei sind auch die gefallen...

...und sie werden vermutlich weiter unter Druck stehen, was übrigens gut für die Weltwirtschaft wäre, weil der Inflationsdruck nachließe. Anfang des Jahres ging man von schlechten Ernten aus. Mit Blick auf eher tiefe Lagerbestände sorgte das für einen steilen Preisanstieg. Das stellte sich, nachdem abzusehen war, dass die Ernte auf der Nordhalbkugel doch nicht so schlecht ausfallen wird, aber immer mehr als Übertreibung heraus. Diese preisliche Übertreibung ist noch nicht bereinigt. Die Agrarpreise waren schon immer extrem schwankungsanfällig. Das wird auch so bleiben. Weil die Lager trotz besserer Ernten immer noch wenig gefüllt sind, werden Sorgen vor Ernteausfällen immer wieder zu starken Preisausschlägen führen, gerade bei unverzichtbaren Grundnahrungsmitteln.

Warum hat sich der Ölpreis im Vergleich zu anderen Industrierohstoffen so stabil gehalten?

Merath: Die weltweite Nachfrage wächst schneller als das Angebot. Seit Monaten fallen die Lagerbestände. Das stützt den Preis. Auch rückten geopolitische Risiken wieder in den Vordergrund und sorgen für einen Risikoaufschlag. Jetzt steht der Iran im Blickfeld. Der Ölpreis wird sich oben halten und bietet in gewisser Weise einen Stabilitätsanker für Rohstoffanleger.

Könnte sich der Ölpreis als Konjunkturkiller erweisen, wenn die Situation im Iran eskaliert?

Merath: Aktuell rechtfertigt die Wirtschaftslage den Ölpreis. Die Frage ist, wie teuer muss Öl werden, um schädlich für die Weltwirtschaft zu sein. Einen noch wichtigeren Effekt als die Geopolitik hat in meinen Augen aber die Geldpolitik auf den Ölpreis. Ein steigender Ölpreis treibt die Inflation. Normalerweise würden dann die Zinsen steigen, um die Wirtschaft abzukühlen. Aber Zinssteigerungen sind ja nicht möglich, weil sie die Schuldensituation noch verschärften. Die Notenbanken in den USA, in Europa und in Japan sind nicht in der Lage, die Zinsen zu erhöhen. Schauen sie nur auf die Bank of England, wo die Inflation stetig über vier Prozent liegt. Wenn die Tolerierung der Inflation politisch gewollt ist, dann besteht die Gefahr, dass der Ölpreis überschießt. Und das kann sich zu einem Bumerang für die Weltwirtschaft entwickeln.

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